Transformation War Game: Im globalen Sandkasten

Das Sci-Fi-Szenario einer Gefechtssimulation erhebt den Anspruch, die Lage der Weltpolitik zu kommentieren

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Gefechtssimulationen sind nichts Neues (Willkommen im Virtual Sniper Park). Seit dem 11. September machen sie jedoch immer mehr von sich reden: Im Zuge des Anti-Terror-Alarms werden Radarsysteme in Küstenregionen und Truppenbeweglichkeit im Rahmen von innerstädtischen Ausnahmezuständen getestet. Auch das Transformation War Game findet dieses Jahr wieder pünktlich zum Monatsende statt. Ab heute wird eine Woche lang die Armee der Zukunft in globalen Krisenszenarien aktiviert, die neue Maßstäbe setzen: Sie wollen zeitgenössische Geopolitik vermitteln . Wenn alles gut geht, kann diese neue Spiellogik bald im freien Markt verankert werden.

Telelearning von Morgen? Das Computerspiel Real War, zunächst für die US-Armee entwickelt, feiert Erfolge auf dem freien Markt (Frame Shot von Real War)

Das Transformation War Game findet seit drei Jahren in den Carlisle Barracks statt. Es versteht sich als Studien- und Analyseplattform und ist aus den "Army After Next" War Games hervorgegangen. Seinen Namen hat das Projekt von General Eric K. Shinseki, der Oktober 1999 seine Vision für die US-Armee verkündete: Objective Force. Mit diesem pathetischen Fachbegriff meinte er die Armee der Zukunft am Besten beschreiben zu können, die im Zuge des globalen Strukturwandels erst dann ihre neue Gestalt angenommen hat, wenn die technologischen Durchbrüche auf allen Ebenen des Kampfsystems Wirklichkeit geworden sind.

Die Objective Force soll nicht zuletzt die Geschwindigkeit von Kampfprozessen neu definieren. Im letztjährigen Transformation War Game ging es demnach unter anderem darum, die Fähigkeit der US-Armee zu testen, eine kampffähige Brigade an jeden Schauplatz der Welt innerhalb von 96 Stunden zu manövrieren, eine Division in 120 Stunden und fünf Divisionen in 30 Tagen. Das Spielszenario projizierte die gegenwärtige geopolitische Situation in das Jahr 2015. Zu diesem Zeitpunkt hatten sich Iran und Irak längst zu der Independent Republic zusammengeschlossen. Durch Syrien und der Türkei von ihrer Wasserversorgung abgeschnitten, zettelte die Independent Republic einen Krieg an, der die USA auf den Plan rief. Bill Rittenhouse, der Spielleiter, kommentierte die damaligen Direktiven wie folgt:

"Das Szenario ist nicht plausibel, weil ist es nicht wahrscheinlich ist, dass der arabische Irak sich mit dem persischen Iran zusammenschließt. Aber es ist für den Zweck unseres Spiels nützlich. [...] Es geht schließlich um Lernprozesse. Es geht darum, unsere Stärken, und, vielleicht noch wichtiger, unserer Schwächen zu verstehen. Solche Informationen können wir Entwicklern von Kampfsystemen zur Verfügung stellen, die damit wiederum operative und organisatorische Aspekte der Objective Force gestalten."

Während die letztjährigen Transformation War Games das Wesen des Spiels (vgl. Game Theory) auf sein pädagogisches Potential hin auszuschöpfen versuchten, stehen bei der Version von diesem Jahr neue Ansprüche auf dem Spielprogramm. Das ins Jahr 2020 projizierte Szenario sieht eine weltweite Krisensituation vor, die sich an verschiedenen Orten auf der Erde über den Zeitraum von einem Jahr zuspitzt. So soll es Angriffe auf das US-amerikanische Territorium geben. Einige davon werden in Form von Cyber-Attacken gegen Finanzinstitutionen stattfinden, andere wiederum gegen die Infrastruktur.

Wer künftig "mitmischen" will, muss nicht nur schnell sein, sondern auch ein Händchen für Zeitgeschichte und Geopolitik haben (Postermotiv von War Games, John Badham, 1983)

Teile der Objective Force werden mobilisiert, um sich einem Aggressor entgegen zu stellen, der in der kaspischen Region von Albanien aus Aserbeidschan angreift. Doch das ist noch die kleinste Herausforderung: Im kleineren Rahmen wird es zu Kontingenzen in Indonesien kommen, die Chinas Aufmerksamkeit auf sich ziehen. China wiederum setzt unabhängig davon ein vereinigtes Korea unter militärischen Druck. Kolumbien nähert sich unterdessen einer Krise, die sich auf Venezuela auszubreiten droht. US-amerikanische Soldaten sind zwar nicht mehr in Bosnien stationiert, aber die Truppen erhalten nach wie vor den Frieden im Kosovo. Die US-Armee muss auch mit der NATO zusammenarbeiten, um die Krise in Albanien in den Griff zu bekommen. Mit Blick auf die bevorstehenden Transformation War Games sagt Rittenhouse heute:

"Man muss die Vorstellungskraft wirklich nicht überstrapazieren: All das kann in der nahen Zukunft passieren und reflektiert im Großen und Ganzen die Lage der Weltpolitik von heute. [...] Wir versuchen zu verstehen, was die Bewältigung solcher Krisen in einer Zeit bedeutet, in der wir Truppen auf der ganzen Welt erhalten. [...] Obwohl diese Krisenszenarien heute eine Relevanz haben, ist es auch sehr wichtig, dass sie als ein globaler Sandkasten dienen. Mit diesem War Game wollen wir alle militärischen Quellen und Bestände de USA bündeln und zeigen, wie man sie global einsetzt."

Neben zahlreichen Veteranen des US-Militärs wird Greg Jaffe vom Wall Street Journal als Repräsentant der Presse anwesend sein. Er wird dafür sorgen, dass sich diese Vorgänge in den Carlisle Barracks Gehör in den Mainstreammedien verschaffen. Frei nach dem Motto "Was für die Armee gut ist, wird auch in der zivilen Öffentlichkeit Anklang finden" ist ein Export dieser neuen Spielmoral auf den freien Markt nicht abwegig.

Der Schwerpunkt kommerzieller Spiele würde sich damit jedenfalls verlagern: Wurde bislang Reaktionsschnelligkeit und strategische Übersicht trainiert (Wer sich früh übt ...), könnten Spiele künftig Lernprozesse in Bereichen wie Zeitgeschichte und Geopolitik beschleunigen.