Transzendentale Topographien

Dietmar Daths neuer Sci-Fi Roman "Am Blinden Ufer"

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Für Jörg Sundermeier begann die Zusammenarbeit mit Dietmar Dath vor gut sechs Jahren. Damals - als man sich bereits recht gut kannte - war Sundermaier samt Partner auf der Frankfurter Buchmesse unterwegs und traf den Freiburger Autor zum Frühstück, der mit den Worten "ich hab es über Nacht fertiggeschrieben" seine mehrstündige Verspätung entschuldigte. sollte nicht nur Daths zweiter Roman "Cordulla killt Dich!" werden; der Verbrecher Verlag, bei dem das Buch 1995 erschien, wurde damit aus der Taufe gehoben. Nun präsentieren die Berliner Verleger das jüngste Romanwerk des unermüdlichen Produzenten: eine Sci-Fi Geschichte, in der Wissenschaft, Religion und Jugendkultur auf merkwürdige Weise miteinander verwoben werden.

Der Protagonist heisst Volker, er ist ein Leuchtturmwächter. Sein Leben ist eintönig, die Einsamkeit kommt ihm gelegen, er hat sie gesucht. Volker beobachtet das Wetter, das Meer und hat jedwede Unstimmigkeiten der "Abwehr" zu melden. Das Berufskorsett lässt sich als eine Metapher verstehen; klar, es handelt sich um Telearbeit an der Grenze zu einer feindlichen Welt. Dabei ist Volker dem Selbstverständnis nach ein Soziologe: "Er glaubte, rein auf Kommunikation über technische Medien begründete Beziehungen, wie es seine waren, böten sozusagen die Labor-Idealbedingungen für solche Studien".

Volkers Realität entsprechend tut sich auf den ersten Seiten so gut wie gar nichts. Die Zeit steht still. Auch zwischen den Zeilen schleppen sich die Dinge nur mühsam voran. Selbst die Umwelt wirkt alles andere als spektakulär. Nur andeutungsweise schälen sich Konturen einer anderen, fremdartig-surrealen Welt heraus. Bald sickern jedoch geschichtsbezogene Referenzen durch - bislang hatte man sich innerhalb eines zeitlichen Vakuums vorangetastet. Als plötzlich Namen fallen und Erinnerungen ausgetauscht werden, kommt die Geschichte ins Rollen. Dath fächert ein Universum auf, in dem bis auf ein gegenwärtiges popkulturelles Gedächtnis alles aus einer anderen Zeit zu stammen scheint. Futuristische Elemente wirken gestrig. Altertümliches hingegen atmet die Sprache von Morgen. Sci-Fi in der konventionellen Form wird nicht geboten. Hier gibt es keine Raumgleiter, die in irgendwelche nebulösen Galaxien vorstoßen; der Autor geht da wesentlich subtiler vor.

Daths undurchsichtiges Reich fußt auf einer aquatopischen Vision von Versklavung und Unterdrückung und konnotiert damit nicht zu Letzt die mythischen Rhetorikschleifen eines Black Culture-Revisionisten wie Kodwo Eshun. Eines Tages findet die unabwendbare Invasion statt. Ungeheuer - halb Mensch, halb Tier - aus dem Meeresreich gehen auf einen Rachefeldzug und wüten wie blutrünstige Vikinger. Am Rande der Apokalypse ist auch Platz für Liebesgeschichten, wiederkehrende Tag/Träume und Jugenderinnerungen. Eine wichtige Rolle wird zusehends auch von der Natur eingenommen. Im sich stetig ausweitenden Chaos kommen geophysische Absonderlichkeiten bestens zur Geltung: eine transzendentale Topograhie wird geschildert, die "zu beschreiten zu temporalen Monodromie-Erlebnissen" führt. "Homotope Wege wurden an ihren Enden regelmäßig zum gleichen raumzeitlichen Punkt hochgehoben: Boten etwa, die zu verschiedenen Zeitpunkten denselben Weg zu beschreiten begannen und gleich schnell vorangingen, mussten erleben, wie sich der Pfad unter ihren Füßen zusammenzuziehen schien, so dass Läufer B den gleichmässig vor ihm her gehenden Läufer A mühelos ein- und überholte, ohne seine eigenen Schritte messbar zu beschleunigen."

Hier treffen mühelos die Welten von Buckminster Fuller und Kafkas Landvermesser aufeinander. Dath, der im Jahr der NASA-Mission Apollo 13 geboren wurde, versteht es nicht nur, sie inhaltlich kongenial erscheinen zu lassen, sondern auch sprachlich bestens miteinander zu verkitten. Allerdings hebt er nicht allzu heftig ab, wie man es aus seinen anderen prosaischen, aber auch journalistischen Texten kennt. Die zuweilen trockene Rede bleibt schlicht und konkret, immer auch erfindungsreich. Ein unaufdringlicher Zug von Pathos mischt sich auch hinzu. Schließlich gilt es, den überaus hohen Wert von Religion in dieser wundersamen Welt auch sprachlich zu vermitteln.

"Am blinden Ufer", ISBN: 3-9804471-4-6, 240 Seiten, 26 DM Lesungen: 22. Februar: Kaffee Burger, Torstraße 60, Berlin, 21 Uhr 23. Februar: Buchhandlung Pro Qm, Alte Schönhauser Straße 48, Berlin, 20.30 Uhr 26. Februar: Filmhaus , Maybachstr.111, Köln, 20 Uhr