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Türkische Satire: Das Ende des Humors

Im Gespräch mit der in Istanbul lebenden Journalistin Sabine Küper-Büsch über ihre Ausstellung türkischer Satire und über die Lage vor Ort

Seit Anfang der Neunziger lebt die deutsche Journalistin Sabine Küper-Büsch in Istanbul. Sie arbeitet gemeinsam mit ihrem Mann Thomas Büsch als Dokumentarfilmerin und portraitiert immer wieder für deutsche Medien die Situation in der Türkei, aber auch in angrenzenden Ländern. Nun hat sie unter dem Titel "Schluss mit Lustig. Aktelle Satire aus der Türkei" 46 Karikaturisten und Comiczeichner in einem Buch versammelt und zeigt die letzte noch halbwegs freie Bastion der türkischen Medienwelt. Doch auch die großen Satiremagazine Uykusuz und LeMan stehen zunehmend unter Druck. Bis zum 27. August sind die Arbeiten außerdem in der Caricatura Galerie in Kassel zu sehen. Im Gespräch mit Telepolis gibt Küper-Büsch Einblicke in die lange türkische Satiretradition und die Probleme, mit denen humorvolle Gesellschaftskritik in der heutigen Türkei zu kämpfen hat.

Nicht nur in der politischen Lage, sondern auch in den Karikaturen findet man viele Parallelen zur Zeit nach dem Putsch von 1980. Inwiefern ist die damalige Phase mit heute vergleichbar?
Sabine Küper-Büsch: Der Putsch von 1980 war von starken Unruhen in den politischen Lagern begleitet. Die Linke und die Rechte bekriegten sich, es gab innen- und außenpolitische Interessenskonflikte. Viele der damaligen Eskalationen waren vom türkischen Staat selbst gesteuert und auch die USA hatten sich eingemischt. Es wurde eine Destabilisierung hervorgerufen, die als Begründung dafür herhielt, vehement gegen die vermeintlich Schuldigen vorzugehen.
Die Strafverfolgung war noch extremer als heute, Menschen wurden hingerichtet. Die Militärregierung entrechtete mit Notstandsgesetzen die Justiz, ähnlich wie heute. Bis jetzt ist unklar, was bei dem Putschversuch von 2016 eigentlich genau passiert ist, aber die staatliche Legende ist zementiert. Damals trat das Militär als Stabilitätsgarant auf, heute ist es die Erdogan-Regierung. Hunderttausende Menschen stehen vor Gericht oder warten auf ihre Verhandlung. Die Vorwürfe sind absurd, ein gutes Beispiel dafür ist aktuell der Prozess gegen die Mitarbeiter der Cumhuriyet. Journalistische Arbeit und Meinungsäußerungen werden als Terrorpropaganda interpretiert.
Wie gelingt es Blättern wie Uykusuz und LeMan, trotz der Repressionen noch weiter teils heftige Beiträge zu publizieren?
Sabine Küper-Büsch: Satire hat den Vorteil, dass sie metaphorisch und allegorisch ist. Die Karikaturisten haben gelernt, Tabuzonen teilweise zu meiden. Zum Beispiel wird man keine Zeichnung finden, die konkret versucht, das staatliche Szenario zum Putschversuch anzuzweifeln. Aber es gibt hintersinnige Anspielungen, wie in einer Zeichnung mit zwei Bauern am Tisch, die Melone essen, und einer sagt: "Es heißt, dass 80 Prozent der Wassermelone zu Fethullah Güen gehören."
Erdogan als Hitler darzustellen, ist kein Problem. Satire ist die Spielwiese innerhalb der Medienwelt, auf der am meisten noch gesagt werden kann. Das heißt aber keineswegs, dass die Satiriker frei sind, wie ich bedrückenderweise auch in den letzten Wochen im Rahmen der Ausstellung erlebt habe. Es herrscht eine starke Selbstzensur. Die Freiheit ist massiv eingeschränkt, ist aber immerhin noch größer als im TV-Bereich oder bei den Tageszeitungen.

Die Leute kaufen keine Zeitungen mehr

Das Kultmagazin Penguen erschien vor wenigen Monaten zum letzten Mal. Weshalb wurde es eingestellt? Und was machen die Zeichner heute?
Sabine Küper-Büsch: Penguen ist pleite gegangen. Das hat eine längere Vorgeschichte. Penguen ist aus LeMan hervorgegangen und wollte weniger polemisch und politisch sein. Dabei war schon die Titelfigur ein Symbol für den Status der türkischen Demokratie: Der kleine dicke Pinguin, der nicht selbst fliegen kann und mit angehefteten Flügeln versucht abzuheben.
Einzelne Zeichner des Heftes haben sich recht heftig mit dem Thema Religion befasst. Bahadir Baruter zeichnete ein Bild, das in der Öffentlichkeit als blasphemisch wahrgenommen wurde: In einer Moschee steht da zwischen arabischen Schriftzeichen an der Wand "Es gibt keinen Gott, die Religion ist eine Lüge." Baruter wollte damit eigentlich nur kritisieren, dass die meisten Türken kein Arabisch können und die Originalsuren gar nicht interpretieren können. Aber das führte zu einem Shitstorm in den sozialen Medien, zu einem Brandanschlag auf die Redaktion von Penguen, die danach umziehen musste. Baruter wurde zu einer Gefängnisstrafe verurteilt, die dann zur Bewährung ausgesetzt wurde.
Leider wurde er auch im Kollegenkreis kaum unterstützt, das hat ihm sehr zugesetzt. Ab da ging es mit Penguen bergab, viele Zeichner sprangen ab. Andere arbeiten inzwischen für Uykusuz. Aber auch den anderen Satirezeitschriften geht es wirtschaftlich schlecht, die Mitarbeiter müssen ihr Geld anderweitig verdienen. Das gilt aber für die gesamte Printlandschaft. Die Leute kaufen keine Zeitungen mehr.
Nach welchen Kriterien hast Du die Arbeiten für "Schluss mit Lustig" ausgewählt?
Sabine Küper-Büsch: Zum einen ging es mir um eine Aufarbeitung der Situation im vergangenen Jahr. Die meisten Arbeiten sind sehr aktuell. Zugleich wollte ich die große Vielfalt der Ansätze und Stile zeigen. Es gibt nicht nur politische Karikaturen sondern auch Comicstrips oder Auszüge aus Graphic Novels.
Einer der Stars der Szene ist Ersin Karabulut. Er hat eine Geschichte gezeichnet, in der die Menschen ihre Gesichter verlieren. Es wird eine Gesellschaft gezeigt, in der die Gesichtslosigkeit propagiert wird. Am Ende werden alle so konformistisch, dass sie auch auf andere Druck ausüben, ihr Gesicht zu verlieren. Als alle gesichtslos sind, sind dann alle glücklich. Und genau das ist es, was momentan in der Türkei passiert. Es gibt einen massiven Anpassungsdruck.

Hier vor Ort herrscht Willkür

Es fällt auf, dass keineswegs nur die aktuelle Politik und Erdogan im Fokus stehen, sondern viele andere Themen, die Satiriker üben oft subtile Gesellschaftskritik, die man so kaum anderswo in der Türkei findet. In Deutschland werden solche Zwischentöne kaum noch wahrgenommen. Woran liegt das deiner Ansicht nach?
Sabine Küper-Büsch: Weil die Heterogenität der türkischen Gesellschaft zu unbekannt ist. Auch die ständige Verklärung der osmanischen Zeit, etwa in Fernsehserien, kennen in Deutschland nicht viele. Auch für viele deutschtürkische Kollegen, die in letzter Zeit Interviews mit mir geführt haben, ist das total fremd. Oft wird das als Folklore wahrgenommen und nicht mit aktueller Politik verknüpft. Dabei läuft das innerhalb der islamisch-konservativen Szene in der Türkei schon seit den Neunzigern und nimmt an Bedeutung zu. Deren Anhänger werden darauf eingeschworen, dass sie einen Krieg gegen eine andere, nichtmuslimische Zivilisation führen.
Die öffentliche Forderung nach der Todesstrafe hat viel mit diesen medialen Vorbildern zu tun. Dabei hat all das mit der tatsächlichen Geschichte nur wenig zu tun. Mir kommt das oft vor wie eine Art osmanisches Disneyland. Das wird in fast allen satirischen Publikationen aufgegriffen. In LeMan gibt es zum Beispiel eine Serie, in der der kleine impotente Sultan mit den Stinkefüßen andauernd von seinen Haremsdamen veralbert wird.
Buch und Ausstellung finden in Deutschland statt - ist es nicht trotzdem riskant, so etwas zu machen, während du in der Türkei lebst?
Sabine Küper-Büsch: Mir war das ein Anliegen. Es ist wichtig, dass diese Arbeiten im Ausland wahrgenommen werden. Deshalb war uns allen, auch den beteiligten Zeichnern, kein Risiko zu groß. Wir zeigen aber in der Ausstellung ausschließlich Bilder, die in der Türkei offiziell publiziert sind.
Einige der Zeichnungen aus dem Buch werden im Rahmen der Ausstellung nicht gezeigt. Weshalb?
Sabine Küper-Büsch: Es gibt im Buch zwei Zeichnungen, wegen denen in der Türkei Ermittlungsverfahren laufen. Das haben wir mit der Redaktion von Uykusuz abgesprochen. Die eine zeigt einen im TV predigenden Erdogan und davor zwei Schafe, die sagen: "Wir machen dich nicht zu unserem Hirten." Das bezieht sich auf eine Rede, in der Erdogan sich selbst mit einem Hirten verglichen hat. Auf dem anderen Bild sieht man Studenten im liberalen Istanbuler Stadtteil Kadiköy, die vor dem Referendum für die Nein-Stimme werben und dafür von der Polizei verprügelt werden.
Humor zeichnet seit jeher türkische Protestbewegungen aus, das zeigte sich auch bei den Gezi-Protesten sehr stark. Inwiefern kann das in der jetzigen Situation gesellschaftlich noch etwas bewirken?
Sabine Küper-Büsch: Satire hat in der Türkei eine hundertjährige Geschichte und hatte schon immer größere Freiheiten als andere mediale Ausdrucksformen. Aber ich habe das Gefühl, dass das gerade kippt.
Die Satire war immer der Hofnarr, der strikte Geschlechterrollen und Herrschaftsstrukturen aufs Korn nahm. Auch Tabuthemen wie Sexualität wurden oft sehr zotig und überraschend verarbeitet. Aber seit den Gezi-Protesten ist in der islamisch-konservativen Ecke ein immenser Hass auf diese Form von Gesellschaftskritik entstanden. Inzwischen sind in den sozialen Medien Propagandazeichner sehr präsent, die keine Satire, sondern Schmähungen produzieren. Das ist nicht lustig, sondern teils gewalttätig. Auf faschistoid wirkenden Zeichnungen wird die Todesstrafe propagiert. Das ist beängstigend. 2008 haben wir als Reaktion auf die Mohammad-Karikaturen schon einmal eine Satireausstellung gemacht unter dem Titel "Die Nase des Sultans". Damals war das türkische Kulturministerium als Partner mit dabei. Das wäre heute undenkbar.
Wie ist denn die Lage vor Ort, kannst Du noch journalistisch arbeiten?
Sabine Küper-Büsch: Ich habe mir, gerade im Gespräch mit Leuten aus Regierungskreisen, völlig abgewöhnt, konfrontative Fragen zu stellen. Das bringt auch nichts mehr, weil man nur noch aggressiv niederargumentiert wird. Stattdessen gebe ich Vorlagen und lasse die Leute reden, um möglichst viel über ihre Denkweise zu erfahren. Das zieht sich teils schon bis in die deutschen Redaktionen. Immer mehr wird bis in die Chefredaktionen hinein diskutiert, was man sagen kann und was nicht, um die Türkei nicht zu vergrätzen.
Es ist eine ganz seltsame Atmosphäre entstanden. Hier vor Ort herrscht Willkür, klar hat man Angst, dass die Polizei vor der Tür stehen könnte. Es ist teils gar nicht nachvollziehbar, warum bestimmte Leute festgenommen werden. Warum zum Beispiel ist Asli Erdogan verhaftet worden, eine völlig harmlose Schriftstellerin, die hin und wieder Kolumnen für Özgür Gündem geschrieben hat? Der Cumhuriyet-Prozess hingegen ist eine gezielte Kampagne gegen eine der CHP nahestehende Zeitung.

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