UN-Gerichtsurteil: Wie Israel zum Juden unter den Völkern gemacht wird

Das Urteil des Internationalen Gerichtshofs wird von zwei Seiten kritisiert. Symbolbild: 3D Animation Production Company / Pixabay Licence

Israels Gesellschaft hat den aktuellen Gaza-Krieg nicht gewollt. Die Hamas hat in ihr das Trauma des Holocaust geweckt. Replik auf den Beitrag von Trita Parsi.

Auf den ersten Blick gibt es beim Urteil des Internationalen Gerichtshofs (IGH) zum Israel-Gaza-Krieg keine klaren Sieger und Verlierer. Schließlich wurde das Urteil des UN-Weltgerichts nicht nur von der israelischen Seite, sondern auch von palästinensischen Stellen heftig kritisiert.

Sie monierten, dass das Gericht Israel eben nicht verpflichtet hat, den Krieg sofort zu beenden. Doch tatsächlich war die Entscheidung eine große Niederlage für Israel, wie es Trita Parsi in seinem von Telepolis dokumentierten Artikel auch sehr prägnant formuliert.

Hamas-Terror: Was war vor dem Israel-Gaza-Krieg?

Wenn er von einem schweren Schlag für Israel schreibt, vergisst er, dass Israel tatsächlich einen schweren Schlag erlitten hat – am 7. Oktober, als die Hamas und ihre Verbündeten über Stunden im israelischen Kernland Bewohnerinnen und Bewohner terrorisierte und ermordete.

Für viele jüdische Menschen waren die Oktober-Pogrome ein besonderer Schock, weil sie sie an den auf totale Vernichtung zielenden Antisemitismus des Naziregimes erinnerten. Das ist in diesem Fall nicht einfach – wie bei vielen Gelegenheiten in Deutschland – eine beliebige historische Analogie.

Viele Jüdinnen und Juden haben die Bilder von Menschen gesehen, die misshandelt, verbrannt und geköpft wurden, nur weil sie von den Tätern als Juden gelesen wurden. Das sind die Gründe für historische Analogien, auf die im Beitrag von Parsi mit keinem Wort eingegangen wird.

Oktober-Pogrome der Hamas schamhaft verschwiegen

Der Terror des 7. Oktober kommt bei ihm schlicht nicht vor – wie bei vielen anderen Autorinnen und Autoren, die sich über die Gewalt Israels im Gaza-Krieg äußern. Es ist bemerkenswert, weil viele dieser Autoren sonst immer den Kontext anmahnten, wenn es den Terror der Hamas ging. Deren Mordaktionen waren noch nicht beendet, als schon darauf verwiesen wurde, man müsse den Kontext sehen.

Damit wollten sie davon ablenken, dass es sich am 7. Oktober um antisemitische Massaker handelte, die durch keine Vorgeschichte gerechtfertigt sind. Der Gaza-Krieg aber, der ganz eindeutig eine Antwort der israelischen Regierung und Gesellschaft auf den Terror des 7. Oktober ist, wird nun auf einmal ohne jeden Kontext behandelt.

Dass es ohne die Pogrome des 7. Oktober den aktuellen Krieg im Gaza nicht geben würde, müssen auch die größten Gegner der israelischen Bewegung einräumen. Gerade die rechte Regierung wollte eine Art friedliche Koexistenz mit dem Hamas-Regime in Gaza, was auch erklärte, warum so wenig Militär an der Grenze war, als die Mordaktionen begannen.

Israel – Jude unter den Völkern

Nach dem Schlag vom 7. Oktober, der das Sicherheitsgefühl der israelischen Zivilbevölkerung tief verletzte, kommt der Schlag des UN-Gerichts, deren Folgen Parsi so beschreibt:

Israels politisches System ist in den letzten Jahren zunehmend – und in der Öffentlichkeit – mit Apartheid in Verbindung gebracht worden. Nun wird die Führung des Landes in ähnlicher Weise mit dem Vorwurf des Völkermordes assoziiert werden.

Trita Parsi

Damit hat das UN-Gericht Israel zum Juden unter den Völkern gemacht, indem es bei all den vielen Kriegen und gewalttätigen Konflikten, die es auf der Welt gibt, ausgerechnet Israel an den Pranger stellt. Hat schon jemand vergessen, dass beim vom Iran und Saudi-Arabien geförderten Konflikt im Jemen zigtausende Menschen umkamen?

Der Jemen-Krieg ist nur Thema, wenn er Lieferketten unterbricht

Der Jemen wird aber nur zum Weltthema, wenn die Schifffahrt durch Huthi-Angriffe so beeinträchtigt wird, dass sogar Tesla in seinen Brandenburger Werk die Produktion zeitweise einstellt.

Um die Rechte der Menschen im Jemen hingegen kümmert sich die Weltgemeinschaft genauso wenig wie um die geschundenen Menschen im Sudan. Sie wollten dort eine neue demokratischere Gesellschaft aufbauen und bangen jetzt um ihr Leben, weil zwei autoritäre Militärfraktionen in dem Land um die Macht kämpfen.

Doch nur Israel wird an den Pranger des UN-Gerichts gestellt für einen Krieg, den die israelische Gesellschaft nicht gewollt hat, der ihr durch den Hamas-Terror aufgezwungen wurde. Das ist eine Aufmunterung von Antisemiten in aller Welt.

Vorwürfe auf Antirassismus-Konferenz: Alles begann in Durban

Diese Entwicklung begann im Jahr 2001, als eine Antirassismus-Konferenz der Vereinten Nationen im südafrikanischen Durban zum Tribunal gegen Israel wurde und auch offen antisemitische Töne zu hören waren. Damals wurde ausgerechnet der Schutzraum der Überlebenden der Shoah zum neuen Juden unter den Völkern, der als einziger angegriffen und diffamiert wurde.

Von Durban zu der Klage Südafrikas gibt es eine klare Linie. Deswegen ist das Urteil keineswegs eine gute Nachricht, nicht für die Jüdinnen und Juden in aller Welt, die noch weiter angegriffen werden, aber auch nicht für die Menschen im Gaza.

Keine israelische Regierung wird dem Urteil nachkommen

Denn keine israelische Regierung wird jetzt den Maßgaben des UN-Gerichts nachkommen, weil nicht nur der gegenwärtigen Rechtsregierung in Israel klar ist, dass es hier nicht um die Menschenrechte in Gaza, sondern die Diffamierung Israels ging. Dabei gäbe es genug gute Gründe, die Art der Kriegsführung zu kritisieren, ohne in antiisraelische Ressentiments zu verfallen.

Dabei sei nur auf das Interview mit dem liberalen US-Soziologen Michael Walzer in der Wochenzeitung Jungle World verwiesen. Walzer weist alle Vorwürfe des Völkermords zurück und betont die Notwendigkeit, dass sich Israel nach den Pogromen vom 7. Oktober verteidigen musste.

Doch er kritisiert auch ungezielte Bombardierungen und macht Vorschläge für ein Gaza ohne die Hamas. Dazu müssten zunächst die Krankenhäuser in dem Gebiet wieder geöffnet werden und dann versucht werden, mit den Teilen der Gesellschaft zu kooperieren, die nichts mit der Hamas zu tun haben.

Das Urteil macht es differenzierten Stimmen in Israel schwerer

Walzer kritisiert auch die rechte israelische Regierung, die unbedingt abgelöst werden müsse. Doch das Urteil des UN-Gerichts macht es schwerer, dass sich solche differenzierten Töne durchsetzen, ob in Israel oder in Palästina.

Daher war das Urteil ein weiterer Schlag für Israel, aber kein Beitrag für Frieden und Menschenrechte im Nahen Osten. Das zeigt sich vor Ort deutlich. Am Montag wurden mehrere Städte Israels erneut von der Hamas mit Raketen beschossen.