UN-Ikone Maurice Strong: Zwischen Umweltpolitik, Öl-Business und Weltregierung

Philipp Fess

Beeindruckende Biografie: UN-Ikone Strong auf der Weltumweltkonferenz 1972. Bild: UN Photo / Yugata Nagata

Anfang der 1970er fordern die UN schon einmal die große Transformation. Was die Ölpreiskrise damit zu tun hat. Das bewegte Leben des kanadischen UN-Funktionärs Maurice Strong (Teil 3 und Schluss).

Wie in Teil 1 bereits erwähnt, findet im Juni 1972, ein Jahr vor der Ölpreiskrise, die Weltumweltkonferenz (engl. United Nations Conference on the Human Environment, UNCHE) in Stockholm statt. Ein Paukenschlag, ohne den die Klimabewegung 50 Jahre später undenkbar wäre.

Hinter jener Weltumweltkonferenz in Stockholm, dem UN-Umweltprogramm (Unep) – das einmal helfen wird, den Weltklimarat IPCC hervorzubringen – sowie dem legendären "Earth Summit" in Rio 1992, bei der mit der Agenda 21 der Grundstein für die heute allgegenwärtigen Nachhaltigkeitsziele (sustainable development goals, SDGs) der Agenda 2030 gelegt wurde, steht ein Architekt.

Ein Mann mit einem schier unglaublichen Lebenslauf: der 2015 verstorbene Kanadier Maurice Frederick Strong.

Dabei verkörpert der Mann aus Manitoba selbst die widersprüchliche Mischung zwischen Unternehmer und Umwelt-Aktivist. Nicht nur das: Strong macht ausgerechnet in der Öl-Industrie Karriere, die doch den Klimazielen so diametral entgegensteht. Man denke nur an die jungen Van-Gogh-Saboteure von "Just Stop Oil" – obwohl: Gerade die werden ja in ähnlich widersprüchlicher Weise von der Öl-Erbin Aileen Getty finanziert. Die Öl-Industrie jedenfalls spielt auch eine Rolle bei Strongs erstem Kontakt zur UN.

Wie die kanadische Investigativjournalistin Elaine Dewar in ihrem Buch Cloak of Green (1995) schreibt, lernt Strong bei der Royal Canadian Air Force einen Mann namens Bill Richardson kennen, der ihm die "Welt von Öl, Gas, dem großen Geld und Geopolitik" zeigt.

Mit 18 Jahren begegnet Strong im Hause des befreundeten Militärs und dessen Frau Mary, die der einflussreichen kanadischen Öl-Familie McColl angehört, dem damaligen Schatzmeister der UN, Noel Monod (bei Dewar wohl fälschlicherweise: "Noah").

Dieser, schreibt Dewar, wird ihm später David Rockefeller vorstellen. Die Öl-Dynastie gilt als großzügiger Unterstützer der UN und ihrer Vorgängerorganisation League of Nations, nicht zuletzt hatte sie auch das Grundstück des UN-Hauptquartiers in New York gespendet.

Strong aber bleibt nicht lange in New York. Dewar zufolge verlässt er die UN nach einer zweimonatigen Anstellung als Sicherheitsbeauftragter wieder und kehrt zurück in die Welt des Öls. Dabei profitiert er offenbar von seinen guten Kontakten: 1950 heuert er beim langjährigen Standard-Oil-Mitarbeiter Jack Gallagher als Assistent an, danach ist er eine Weile beim Rockefeller-Ableger Caltex in Nairobi beschäftigt, wo später die Unep-Hauptstelle errichtet werden wird.

1962 wird er erst Vize und schließlich Vorstand der kanadischen Power Corporation, ein Energieversorgungs-Investment-Unternehmen in den Händen der mächtigen Desmarais-Familie, dem ein Ruf als einflussreiches Polit-Netzwerk vorauseilt – nicht nur für kanadische Premierminister, wie Dewar festhält. So holt Strong etwa auch James Wolfensohn ins Unternehmen, den späteren Präsidenten der Weltbank.

Die Vermischung von öffentlichen und privaten Interessen im Leben des Kanadiers erfährt 1968 ihren vorläufigen Höhepunkt, als Strong in seiner zwei Jahre zuvor neugewonnenen Position als Leiter des kanadischen External Aid Office die Gründung der Kanadischen Internationalen Entwicklungsagentur (Cida) sowie des Internationalen Zentrums für Entwicklungsforschung (IDRC) verantwortet.

Die Organisationen nehmen die späteren Aufgaben der Entwicklungsbanken vorweg, von denen sich der globale Süden heute bedroht fühlt. Dazu schreibt Dewar:

Die IDRC verfügte über eine Klausel in ihrem Rechtsvorschriften, die es ihr ermöglichte, sowohl Einzelpersonen als auch Regierungen und privaten Organisationen direkt Geld zu geben. […] Wie eine Gewerkschaft war sie eine Einrichtung der Bundesregierung, aber sie war nicht wirklich ein Teil der Regierung – man kann sie am besten als eine privatisierte Regierungsorganisation [governmental organization privatized] bezeichnen – eine GOP.

Elaine Dewar: Cloak of Green, S.274

Die Ziele, welche sich die Entwicklungsorganisationen bis heute auf die Fahnen schreiben, sind unmittelbar mit denen verwandt, die die Länder des globalen Südens heute als Zumutung empfinden. Die nachhaltige Entwicklung gehört ebenso dazu wie der Ausbau des Privatsektors.

Nachdem ein weiteres Jahr in Strongs bewegtem Leben zu Ende gegangen ist, wird er vom ständigen UN-Vertreter Schwedens, Sverker Aström, gebeten, die für 1972 geplante Weltumweltkonferenz zu organisieren.

Ein Jahr zuvor, im Jahr des Nixon-Schocks 1971, veranstaltet Klaus Schwab das erste Treffen des Weltwirtschaftsforums in Davos, das damals noch unter dem Namen European Management Symposium firmiert. Auch hier spielt Maurice Strong eine entscheidende Rolle. Als Strong 2015 verstirbt, veröffentlicht Schwab eine Danksagung:

Er war seit der Gründung des Forums mein Mentor: ein großer Freund, ein unverzichtbarer Berater und viele Jahre lang Mitglied unseres Stiftungsrats.

Klaus Schwab, Maurice Strong: an appreciation, WEF, November 2015

Ein weiteres Jahr später folgt die Ölpreiskrise. Sie trifft auch Kanada schwer. Für Strong, der nach der Weltumweltkonferenz als Geschäftsführer der UNEP in Nairobi arbeitet, ergibt sich daraus eine neue Arbeitsgelegenheit.

1976 wechselt er erneut die Welten, diesmal vom UN-Geschäftsführer wieder zurück ins Ölgeschäft. Pierre Trudeau, ehemaliger Premierminister und Vater des derzeitigen, erklärt Strong zum Präsidenten des aus der Krise hervorgegangenen staatlichen Ölversorgers Petro Canada.

Wie der Vater, so der Sohn: Der ehemalige kanadische Premierminister Trudeau an der Seite seines Sohnes Justin bei einem Besuch des Palais des Beaux Arts in Lille 1982. Bild: PBA Lille / CC-BY-SA-4.0

Nein zur Weltregierung, ja zur Klima-Steuer

In Cloak of Green lässt sich nachvollziehen, wie Elaine Dewar zu der Überzeugung kommt, Maurice Strong sei Teil einer größeren Agenda, die sich der "global governance" verschrieben habe – und hier eben nicht verstanden als völkerrechtliches Regelwerk, sondern in seiner engeren Bedeutung: Weltregierung.

Rio wurde […] in der Öffentlichkeit als eine globale Verhandlung beschrieben, um die Notwendigkeit des Umweltschutzes mit der Notwendigkeit des Wirtschaftswachstums in Einklang zu bringen. Die Eingeweihten wussten, dass es noch andere, tiefgreifendere Ziele gab.

Dazu gehörten die Verlagerung nationaler Regulierungsbefugnisse auf riesige regionale Behörden, die Öffnung aller verbleibenden geschlossenen nationalen Volkswirtschaften für multinationale Interessen, die Stärkung von Entscheidungsstrukturen weit über und weit unter dem Einfluss der neu geschaffenen nationalen Demokratien und vor allem die Integration des sowjetischen und des chinesischen Imperiums in das globale Marktsystem.

Es gab keinen Namen für diese große Agenda, den ich je gehört hatte, und so benannte ich sie später selbst [nach dem häufig genutzten Schlagwort] – die Global Governance Agenda.

Elaine Dewar: Cloak of Green, S.294

In Genf hat Dewar 1989 die Gelegenheit, Strong direkt mit ihren Mutmaßungen zu konfrontieren. Ob er ein "One Worlder" sei, fragt sie angriffslustig, also Fürsprecher einer Weltregierung mit der UN an der Spitze. Strongs Antwort ist vielsagend:

"Ich sage seit Jahren, dass die Welt ein globales Regierungssystem [world system of governance] braucht. Irgendwann einmal werden die UN auf einer globalen Ebene von Systemen direkten Zugang brauchen, nicht den mächtigsten, aber einen zunehmenden […] die UN ist weit davon entfernt, eine Weltregierung zu sein," sagte er.

"Vielleicht wird sie nie eine allgemeine Steuermacht bekommen. Wir empfehlen, dass es eine Art von Steuer...im Umgang mit dem Klimawandel geben wird. [Der] plausibelste Weg [ist], wenn [eine] Regierung in Absprache zustimmt, die Steuer auf nationaler Ebene zu erheben und [einen] Teil auf [eine] vereinbarte Formel des Bruttosozialprodukts [zu legen] und ihn in einen von den Vereinten Nationen verwalteten Fonds zu stecken."

Eine solche Steuer, sagte er, würde definitiv nicht im Dienste einer Weltregierung erhoben werden. Dennoch war er überzeugt, dass es in nicht allzu langer Zeit zu einer Weltregierung kommen würde.

Elaine Dewar: Cloak of Green, S.294f

Dewars Schilderungen zufolge war Strong seiner Zeit nicht nur im Hinblick auf eine CO2-Steuer voraus – beziehungsweise auf ein CO2-Kontingent oder einen "Fußabdruck", wie er 2004 vom Seven-Sister-Ölkonzern BP erfunden und zuletzt von Klimaforscher Hans Joachim Schellnhuber als politische Maßnahme ins Spiel gebracht wurde.

Der kanadische Investigativjournalist James Corbett hat 2016 unter Zuhilfenahme von Dewars Buch die beeindruckende Biografie von Maurice Strong nachgezeichnet.

Corbett erwähnt darin unter vielen weiterführenden Informationen zu Strong auch dessen Vorhersage aus dem Jahr der Weltumweltkonferenz 1972, die weit über die bisherigen Forderungen der Umweltbewegung hinausgeht und ein anderes Kapital aufschlägt: eine Lizenzvergabe für Geburten.

Bei allem Einfluss, den er ausgeübt haben mag: Vater dieses Gedankens ist Strong freilich nicht. Als Vater der UNEP und des Welklimarats IPCC greift er hingegen nachvollziehbarerweise die neo-malthusianischen Erwägungen des Club of Rome zur Kontrolle des Bevölkerungswachstums auf, die sich auch im sogenannten Kissinger-Report der USA von 1974 finden (Implications of Worldwide Population Growth For U.S. Security and Overseas Interests).

Die Ursprünge dieser Überzeugung lassen sich bis zum Unesco-Gründer und überzeugten Eugeniker Julian Huxley zurückverfolgen, der Bruder des bekannten Brave-New-World-Autors Aldous Huxley. Eine DIY-Doku auf Youtube hat das auf unterhaltsame und dabei vor allem nicht allzu polemische Weise zustande gebracht.

2017 gibt der Mitverfasser des berühmten Limits-to-Growth-Berichts von 1972, Ökonom Dennis Meadows, dem niederländischen Aktivistenpaar von "We Love Earth" ein Interview. Darin betont er, dass die Klima-Krise nur "ein Symptom" der bevorstehenden malthusianischen Katastrophe sei. Eine Weltbevölkerung von acht oder neun Milliarden Menschen, so Meadows, lasse sich, wenn überhaupt, nur mit einer "ausgeklügelten Diktatur" aufrechterhalten.

Da es eine solche nie gegeben habe, setzt Meadows seine Hoffnungen in einen "allmählichen Niedergang" ("slow decline") des Bevölkerungswachstums. Als vielversprechend gilt ihm eine Einschränkung der weltweiten Energieversorgung, namentlich: von Öl.

Die Erschöpfung der Energie ist ein langsamer Prozess [im Hinblick auf einen allmählichen Niedergang der Bevölkerungswachstums]. Es wird auch in hundert Jahren noch Öl geben, aber es wird viel teurer sein.

Dennis Meadows

Eine Abschlussbemerkung

Dieser Text zielt nicht darauf ab, die Probleme herunterzuspielen, die aus einer rücksichtslosen Ausbeutung der Umwelt, einer wachsenden Weltbevölkerung oder einer verfehlten, nicht nachhaltigen Industriepolitik resultieren.

Ebenso wenig soll damit das Projekt der Umstellung auf erneuerbare und umweltfreundliche Energiequellen abgewertet werden. Vielmehr soll er dazu beitragen, das kritische Bewusstsein gegenüber der "großen Transformation" dort und nur dort zu schärfen, wo sie mit demokratischen und gemeinschaftlichen Werten aufgeklärter Gesellschaften unvereinbar ist.