UN-Nothilfekoordinator: Großer Krieg im Nahen Osten "gefährlich nahe"

David Goeßmann

Palästinensische Flüchtlinge. Bild: Screenshot Democracy Now

Gaza-Situation sei die "schlimmste humanitäre Krise, die er je erlebt" habe. Lage im Libanon und Jemen nach Angriffen angespannt. Was Israel vor dem IGH erwartet.

Der Nothilfekoordinator der Vereinten Nationen hat am Freitag davor gewarnt, dass die Gefahr eines umfassenderen Konflikts im Nahen Osten rapide zunimmt, da Israels Angriffe auf den Gazastreifen andauern, der nach Angaben des UN-Beamten durch die fast ständigen Luftangriffe und die erdrückende Blockade "unbewohnbar" geworden ist.

"Das Gespenst eines weiteren regionalen Übergreifens des Krieges ist gefährlich nahe", sagte Martin Griffiths, UN-Untergeneralsekretär für humanitäre Angelegenheiten, in einer Erklärung und verwies auf die humanitäre Katastrophe in Gaza, die zunehmenden israelischen Angriffe im Westjordanland und die Raketenangriffe auf Israel. "Die Hoffnung war noch nie so schwer fassbar wie heute."

Griffiths, ein langjähriger Diplomat, bezeichnete die Situation in Gaza als die "schlimmste humanitäre Krise", die er je erlebt hat.

Raketen auf Libanon

Israel und die Vereinigten Staaten hatten im Libanon und im Irak letzte Woche Angriffe durchgeführt und dabei einen hochrangigen Hamas-Funktionär und den Anführer einer mit dem Iran verbündeten Miliz getötet.

Am Samstag reagierte die Hisbollah auf den israelischen Drohnenangriff auf ein Bürogebäude in der libanesischen Hauptstadt Beirut mit dem Abschuss von Raketen auf einen Militärstützpunkt im Norden Israels, was die Angst vor einer Eskalationsspirale verstärkte.

Berichten zufolge arbeiten die USA auch an Plänen zur Bombardierung des Jemen als Reaktion auf die Angriffe der Huthi auf Schiffe im Roten Meer. Die Huthi haben erklärt, dass die Angriffe aufhören werden, sobald Israel seine Angriffe auf den Gazastreifen beendet.

Getötet, verwundet, vermisst: Vier Prozent der Bevölkerung von Gaza

Der Euro-Mediterranean Human Rights Monitor erklärte am Freitag, dass rund 68.000 Wohneinheiten in Gaza durch israelische Luftangriffe vollständig zerstört wurden. Nach Schätzungen der Gruppe wurden seit dem 7. Oktober etwa vier Prozent der Bevölkerung des Gazastreifens – mehr als 90.000 Menschen – durch israelische Angriffe getötet, verwundet oder vermisst.

Am Donnerstag beginnt die Anhörung zur Genozid-Anklage Südafrikas vor dem Internationalen Gerichtshof der Vereinten Nationen (IGH) gegen Israels Vorgehen im Gazastreifen. Der Antrag umfasst 84 Seiten.

Der Antrag an den IGH, ein Gremium der Vereinten Nationen, das sich aus 15 gewählten Richtern zusammensetzt, enthält mehrere Seiten mit Zitaten hochrangiger israelischer Beamter – darunter Israels Premierminister Benjamin Netanjahu, Staatspräsident Isaac Herzog und Verteidigungsminister Joaw Galant –, in denen nach Ansicht der Antragssteller die "völkermörderische Absicht gegen das palästinensische Volk" zum Ausdruck kommt. So sagte Gallant, dass man im Gazastreifen "menschliche Tiere" bekämpfe.

Völkermord-Klage Südafrikas

Aus juristischer Sicht müssen nach internationalem Recht unterschiedliche Bedingungen erfüllt sein für einen Völkermord. Vor allem die genozidale Absicht, in der bestimmte Taten begangen werden, ist oft schwer nachweisbar. Es gibt daher eine kontroverse Diskussion darüber, ob der Vorwurf im Fall des Gaza-Kriegs zutrifft.

Raz Segal, ein israelischer Historiker und Völkermordforscher, jedenfalls bezeichnet Israels Angriff als ein "Lehrbuchbeispiel von Völkermord", der nach internationalem Recht definiert ist als "ein Verbrechen, das in der Absicht begangen wird, eine nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe ganz oder teilweise zu vernichten".

Laut einer diplomatischen Depesche, die Axios vorliegt, fordert das israelische Außenministerium seine Botschaften überall auf der Welt auf, die Diplomaten und Regierungen des jeweiligen Gastlandes unter Druck zu setzen, damit sie rasch eine "sofortige und unmissverständliche Erklärung mit folgendem Inhalt abgeben: Öffentlich und klar zu erklären, dass IHR LAND die empörenden, absurden und unbegründeten Anschuldigungen gegen Israel zurückweist."

Der ehemalige Direktor von Human Rights Watch, Kenneth Roth, erklärte, die Depesche zeige, dass Israel "offensichtlich besorgt über ein Urteil bezüglich des Antrags Südafrikas" sei.

"Israel drängt andere, den Antrag zu verurteilen, in der Hoffnung, den Internationalen Gerichtshof zu einer Entscheidung zu bewegen, die eher auf Politik als auf Fakten beruht", schrieb Roth in den sozialen Medien.