US-Astronomen bringen Licht ins Dunkle der Dunklen Materie

Verkehrte Welt: Forscher machen mit optischen Teleskopen unsichtbare Dunkle Materie sichtbar

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Sie wurde von Albert Einstein quasi unbewusst als kosmologische Konstante vorgeschlagen, später aber wieder verworfen. Doch ihre Existenz ist so gut wie sicher. Die Dunkle Materie scheint den Kosmos überall und nirgendwo zu durchdringen. Für uns unsichtbar, stellt diese seltsame Energie die Forscher stets vor neue Rätsel. Wie in der aktuellen Ausgabe des New Scientist zu lesen ist, sind amerikanische Astronomen auf der Suche nach Dunkler Materie nunmehr einen entscheidenden Schritt weiter gekommen.

Von der Dunklen Materie wissen Astronomen eigentlich nur, dass es davon in den Weiten des Alls eine irrsinnige Menge gibt. Doch was sich genau hinter dieser unbekannten Energieform verbirgt, aus der das Universum zu über 95 Prozent bestehen soll, ist nach wie vor ein unleserliches Buch mit sieben Siegeln. Was aber vielleicht noch viel schlimmer ist: Bis vor ein paar Jahren dachten die Kosmologen, dass die Dunkle Materie nur eine anders geartete Form der uns bekannten Materie ist. Inzwischen wissen die Forscher jedoch, dass das "sichtbare" materielle Universum quasi nur ein kosmischer "Dreckeffekt" ist und die Dark Matter viel fremdartiger ist als bisher vermutet. Die nichtbaryonische Dunkle Materie stellt ungefähr 30 Prozent, und ein bislang noch völlig unbekanntes anderes dunkles Etwas fast 65 Prozent der Masse des Universums. Das Universum scheint auf der allerhöchsten Skala von einer Form von Energie dominiert zu werden, die antigravitativ ist und das Universum auseinander treibt.

Ausgerechnet optische Teleskope sollen es richten

Nach Jahren der Tristesse und Dunkelheit, die das Rätsel der Dunklen Materie den Astronomen im wahrsten Sinne des Wortes beschert hat, ist die undurchsichtige Angelegenheit jetzt offensichtlich etwas transparenter geworden. Paradoxerweise haben ausgerechnet klassische optische Teleskope Licht ins Dunkle der Dunklen Materie gebracht. Denn mit deren und mit Hilfe eines speziellen Tricks haben jetzt Wissenschaftler unter der Leitung von David Wittman und Anthony Tyson der Lucent Technologie' Bell Laboratories in Murray Hill (New Jersey) Dunkle Materie nachweisen können. Den Grundstein für diesen Erfolg legten die Forscher selbst, als sie mit dem 10-Meter-Keck-Teleskop in Hawaii einen weit entfernten Galaxienhaufen der Sonderklasse orteten.

Die Vorliebe der Kosmologen für die Observation von Galaxienhaufen kommt nicht von ungefähr. Derlei Strukturen hatten entscheidenden Einfluss auf die heutige Masseverteilung im Universum und spielen daher eine Schlüsselrolle bei der Erforschung der kosmischen Strukturbildung. Da die Forscher sich bei der generellen Suche nach solchen Galaxienhaufen bislang auf direkte Beobachtungen beschränkten, blieben deren Bildschirme meist dunkel. Doch nunmehr nutzen sie das natürliche Teleskop-Phänomen der Gravitationslinse. Liegen zwei Galaxien genau in Sichtlinie hintereinander, so dass die erste die dahinter liegende genau verdeckt, wirkt die erste als Gravitationslinse. Ihre Schwerkraft verzerrt das Licht der verdeckten Galaxie - und placiert dadurch ihr Abbild dergestalt, dass es daneben liegend erscheint. Dank solcher Phantombilder können die Sterngucker nicht nur hinter kosmische Fassaden blicken, sondern auch Indizien für das Vorhandensein von unsichtbarer Materie, also Dark Matter finden. Kommt es nämlich zu Verzerrungen, muss dafür die Gravitationskraft der dazwischenliegenden Materie verantwortlich sein: die Dunkle Materie.

Der Coma Galaxienhaufen (im sichtbaren Licht)

Galaxienhaufen mit 15 Galaxien entdeckt

Tatsächlich fanden Wittman und seine Kollegen auf diese Weise verzerrte Bilder von entfernten Galaxien. Nach ihrer jüngsten computergestützten Analyse stellte sich heraus, dass die Verzerrungen auf das Konto eines Clusters gehen, der aus 15 Galaxien besteht. Aber mehr noch: Das Team konnte erstmals messen, wie intensiv die Gravitation der Himmelskörper auf das umgebende Licht einwirkte. Zum anderen gelang es ihnen auch, den Galaxienhaufen mit Hilfe von geeigneter Hard- und Software dreidimensional zu visualisieren und dabei seine Masse und seine Distanz zur Erde zu bestimmen.

Nun, da wir alle Skeptiker eines Besseres haben, da unsere Methode und unsere Technik funktioniert, können wir künftig Materie lokalisieren, die kein Licht produziert, also Dunkle Materie,

freut sich Anthony Tyson. Es sei allerdings schon etwas merkwürdig, ausgerechnet mit optischen Teleskop nach Dunkler Materie zu fahnden, gesteht Tyson. "Wir setzen ein Teleskop ein, dass Licht sammeln soll, um einen durchsichtigen Stoff zu detektieren, der überhaupt kein Licht ausstrahlt". Tysons Ansicht nach eignet sich das Gravitationslinsen-Prinzip besonders gut zur Beantwortung der Frage, inwieweit die Dunkle Energie für die Expansion des Universum verantwortlich sein könnte.

Diese kosmische Verzerrung misst die Struktur der Dunklen Materie im Universum, wie es keine andere Beobachtung messen kann", so Tyson. "Wir haben nun ein mächtiges Werkzeug, um die Grundlagen der kosmischen Theorie zu testen.

3-D-Karte der Dunklen Materie

Für die Zukunft planen die Astronomen, die Technik für die Erstellung einer 3-D-Karte einzusetzen. Damit soll die Verteilung der Masse in begrenzten Regionen des Universums dokumentiert werden. Langfristig soll jedoch eine 3-D-Karte Konturen gewinnen, in der die gesamte Masse des Universums berücksichtigt wird. In den nächsten zehn Jahren könnte dies bereits umgesetzt werden: Dann könnte eine 3-D-Landkarte der Dunklen Materie des Universums vorliegen, vermuten die Dark-Matter-Experten.

Die exakte Erfassung der Dunklen Materie könnte entscheidend dabei helfen, die weitere Entwicklung des Universums besser zu verstehen. Dabei fokussiert sich alles auf die Frage, ob die vorhandene Masse eine ständige Expansion des Weltalls in einem so genannten offenen Universum zulässt, oder ob wir in einem geschlossenen Universum leben, in dem die "Kritische Masse" bereits überschritten ist. In diesem Fall würde die Schwerkraft die Expansion nicht nur stoppen, sondern vielmehr umkehren; am Ende käme es zum Big Crunch ("Großen Kollaps"). Das Universum wäre dann wieder an dem Punkt angelangt, von wo es bereits vor 15 Milliarden Jahren seinen Anfang genommen hat.