US-General Edwin Walker und das Fake-Attentat
Major General Edwin Anderson Walker. Bild (unbekanntes Datum): U.S. War Department/gemeinfrei
Vor 60 Jahren genoss das damalige "Gesicht der radikalen Rechten" in den USA große Publicity wegen eines Mordanschlags.
Am 10. April 1963 meldete der rechtsextreme Ex-Major General Edwin Anderson Walker einen versuchten Anschlag auf sein Leben. Der umstrittene Politiker gab an, jemand habe ihn in seinem Haus durch das Fenster zu erschießen versucht, jedoch sei das Projektil vom Fensterkreuz abgefälscht worden und dann in der Wand eingeschlagen. Splitter hätten Walker lediglich an seinem Unterarm verletzt. Walker ordnete den Fall sofort ohne jeden Beleg kommunistischer Bedrohung zu.
Nachdem am 22. November 1963 John F. Kennedy erschossen wurde, erschien am 29. November in einer rechten deutschen Zeitung ein Interview mit Walker, in dem dieser den Verdächtigen Lee Harvey Oswald als Kommunist bezeichnete und auch des Anschlags auf Walker selbst beschuldigte. Hätte Justizminister Robert Kennedy seinerzeit die Ermittlungen nicht gestoppt, hätte Oswald im Gefängnis gesessen. Tatsächlich fand die mit der Untersuchung des Kennedy-Attentats befasste Warren-Kommission im Dezember 1963 Indizien für einen entsprechenden Verdacht.
Doch zahlreiche Ungereimtheiten wecken erhebliche Zweifel an der Authentizität des ohnehin dubiosen Anschlags. Neue Informationen deuten darauf hin, dass der ohnehin schillernde Walker und sein PR-Mann Robert Surrey bei ihren Aussagen vor der Warren-Kommission über den angeblichen Tathergang gelogen haben. Die Umstände sprechen vielmehr für einen Publicity-Stunt.
Ultrarechter General
Der Texaner Edwin Walker (1909-1993) hatte im Zweiten Weltkrieg kanadisch-US-amerikanische Spezialkräfte bei Anlandungsaktionen in Europa kommandiert sowie ein Regiment im Korea-Krieg. Später beriet Walker u.a. den chinesischen Nationalisten General Chiang Kai-shek, der 1938 im Zweiten Japanisch-Chinesischen Krieg in der Provinz Henan durch Zerstörung von Deichen eine Million Menschen getötet hatte.
Während des Korea-Kriegs hatte 1951 ein Streit über den Einsatz von nuklearen Waffen zwischen Präsident Truman und dem Oberbefehlshaber General Douglas MacArthur über die mit UN-Mandat ausgestatteten internationalen Truppen mit dessen Entlassung geendet. Der populäre Kriegsheld MacArthur bemühte sich bei den Republikanern um eine Präsidentschaftskandidatur, unterlag jedoch General Eisenhower, der dann die Wahl 1952 gewann. Die Spannungen zwischen Militär und Politik blieben.
Walker fungierte 1957 als Kommandeur des Militärs in Little Rock, Arkansas, als es dort zu Rassenunruhen kam. Der rassistische Gouverneur Orval Faubus hatte die Nationalgarde eingesetzt, um neun Schüler mit schwarzer Hautfarbe am Zutritt zur High School zu hindern.
Präsident Eisenhower unterstellte daraufhin die Behörden seinem Oberbefehl, der durch Militärpräsenz durchgesetzt wurde. Walker befolgte zwar den Befehl des Präsidenten gewissenhaft, er beschwerte sich jedoch wegen des Einsatzes des Militärs für ein politisches Ziel, das er definitiv nicht teilte.
Walker wandte sich rassistischen Propagandisten zu wie dem evangelikalen Prediger Billy James Hargis sowie dem texanischen Ölbaron H. L. Hunt, dessen rechtskonservatives Rundfunkprogramm "Life Line" täglich bundesweit zu empfangen war.
1957 traf Walker den Geschäftsmann Robert Welch, der 1958 mit ultrakonservativen Industriellen wie Fred C. Koch die rechtsextreme John Birch Society gründete. Die gut finanzierte Organisation verbreitete bizarre Theorien über eine kommunistische Unterwanderung der US-Elite auf höchster Ebene und sah selbst Roosevelt, Truman und Eisenhower und sogar die damals ultrarechte CIA als Agenten Moskaus.
Das Spektrum Welchs revisionistischer Spekulation über Verschwörungen reichte von einem Geheimbund in Sparta über die Bayrischen Illuminaten bis hin zur amerikanischen Hochfinanz.
Die John Birch Society stieß vor allem in Militärkreisen auf Resonanz und brachte es bis Mitte der 1960er-Jahre auf rund 100.000 Mitlieder. Zur Agitation unterhielt sie bundesweit Lesesäle. Die Bircher attackierten vor allem den Obersten Richter des Supreme Courts Earl Warren, weil dieser die damals noch geltenden Rassengesetze teilweise außer Kraft gesetzt hatte.
Walker hatte Eisenhower um seine Entlassung gebeten, da er glaubte, dass die Regierung von einer kommunistischen Verschwörung unterwandert sei. Stattdessen unterstellte ihm der Präsident die in Deutschland stationierte 24th Infantry Division mit 10.000 Soldaten.
Während seines Kommandos in Augsburg ließ Walker Pamphlete der John Birch Society verteilen. Nach Vorwürfen von Soldaten über politische Indoktrination wurde Walker abgezogen. Der Major General lehnte ein Angebot der Regierung Kennedy auf ein Kommando in Hawaii ab und schied auf eigenen Wunsch aus der Armee aus, um sich einer politischen Karriere zu widmen.
Rechter Rebell
Walker inszenierte sich als rechter Volkstribun, unternahm Vortragsreisen und wurde so das Gesicht der radikalen Rechten in den USA.
Finanziert vom einflussreichen Milliardär H.L. Hunt bewarb sich Walker als Gouverneur von Texas, unterlag jedoch bei 1962 bei den Primaries der Demokraten John Conally, der die Protektion von Vizepräsident Johnson genoss.
Walker machte mit Handgreiflichkeiten gegen einen Journalisten Schlagzeilen, als dieser ihn auf eine Lobrede auf Walker durch den Anführer der American Nazi Party, George Lincoln Rockwell, ansprach.
Walker hetzte öffentlich gegen den schwarzen Bürgerrechtsaktivisten James Meredith, als dieser sich an der Universität von Mississippi einschrieb. Dies führte zu Ausschreitungen, bei denen sechs Marshalls angeschossen und zwei Zivilisten quasi exekutiert wurden, darunter ein französischer Journalist. Die Regierung Kennedy sandte daraufhin 30.000 Soldaten, um die Ausschreitungen zu beenden.
Justizminister Robert Kennedy ließ Walker verhaften und wollte ihn psychiatrisch untersuchen lassen. Die Bürgerrechtsvereinigung ACLU, die ansonsten auf Walkers Gegenseite stand, kritisierte jedoch die Instrumentalisierung von Psychiatrie durch Politik scharf.
Das öffentliche Interesse verlegte sich jedoch auf die nun einsetzende Kuba-Krise. Walker hinterlegte eine Kaution, die Anklagen verliefen im Sande. Zuhause in Dallas wurde der rechte Aktivist von seinen Anhängern enthusiastisch gefeiert.
Walker-Attentat
Anfang 1963 rief Walker dazu auf, Kuba militärisch von Kommunisten zu befreien. In dieser Zeit bestellte jemand unter dem Namen "Alec Hidell" ein Mannlicher Carcano-Gewehr.
Am 10. April machte Walker Schlagzeilen mit dem Anschlag durch einen Unbekannten. Angeblich habe Walker alleine am Küchentisch gesessen, als jemand einen Schuss durchs Fenster abgegeben habe, der vom Fensterkreuz abgefälscht worden sei. Walkers PR-Mann und rechte Hand Robert Surrey, sagte aus, er sei an dem Abend zwei Meilen entfernt in seinem Haus gewesen und habe Walker dann nach dem Schuss auf einen Anruf hin angetroffen.
Er habe aber bereits am 6. April zwei Verdächtige gesehen, deren Auto kein Kennzeichen gehabt habe. Die Wunden waren so leicht, dass sie keiner Behandlung bedurften.
Der damals 14-jährige Nachbar Kirk Coleman hatte nach dem Schuss zwei Männer beobachtet, die jeweils auf dem Parkplatz einer nahegelegenen Kirche in Autos gestiegen seien. Eines davon sei schwarz mit einem weißen Streifen gewesen. Auch andere Zeugen sahen ein solches Auto aus Richtung Walkers Haus fahren.
Walker will nach der Tat sofort seinen Freund Robert Surrey angerufen haben, der sich um ihn gekümmert habe. PR-Mann Surrey war ebenfalls Aktivist in der John Birch Society. Beide bewerteten diese jedoch inzwischen als zu weich und tendierten zur American Nazi Party. Die Männer begleiteten einander zum Schießtraining.
Walker schlachtete die Story aus und posierte in seinem Haus für Reporter als demonstrativ gelassen. Erstaunlicherweise nahm Walker den Anschlag nicht zum Anlass für Sicherheitsmaßnahmen. Er engagierte zwei Privatdetektive, die erfolglos Walkers früheren Mitbewohner und gekündigten Mitarbeiter William MacEwan Duff auf den Zahn fühlten, den Walker so zeitweise in Misskredit brachte.
Im Oktober attackierte Walker Außenminister Adlai Stevenson vor dessen Besuch in Dallas, in dem er eine Protestkundgebung "US Day" im selben Veranstaltungsraum durchführte, in dem auch Stevenson Tage später sprach. Zu Walkers Zuhörern gehörte auch Lee Harvey Oswald, der hierüber an die Kommunistische Partei berichtete.
Walker hielt Kontakte zu den Exilkubanern und erhielt auch Besuche ausländischer Rechtsextremisten, so etwa von Jean Souètre von der französischen Organisation de l’armée secrète. Ein Mann dieses Namens soll am 22. November in Dallas verhaftet und ausgewiesen worden sein.
Vor dem Besuch des Präsidenten druckten und verteilten Surrey und Walker das berühmte Flugblatt, in dem sie Kennedy als "Verräter" schmähten.
Nach den Morden in Dallas wurde Walker mehrfach telefonisch von der in München ansässigen Deutschen Nationalzeitung und Soldatenzeitung befragt. Die Zeitung war ursprünglich von der CIA gesponsert worden, um den Nato-Beitritt zu fördern, hatte sich jedoch zum führenden Organ deutscher Rechtsextremisten entwickelt.
Laut dem am 29. November erschienenen Artikel hatte Walker Oswald des Anschlags auf ihn selbst beschuldigt. Als die Behörden Walker mit seiner Beschuldigung konfrontierten, bestritt Walker solche, der Artikel hätte ihn überrascht. Den Ermittlern in Deutschland und den USA blieb unklar, inwiefern Walker spekulierte oder der Journalist oder der mit Walker befreundete Herausgeber Gerhard Frey das Interview manipuliert hätte.
Einen Bezug Oswalds zum Walker-Attentat stellten die Behörden erstmals am 2. Dezember her. Oswalds Witwe Marina übergab eine Anweisung vom Frühling, die Oswald ihr für den Fall hinterlassen hatte, dass er etwa festgenommen würde. Marina berichtete, Oswald habe Walker als Faschist bezeichnet, einen Tyrannenmord etwa an Hitler gerechtfertigt und sei am fraglichen Tag mit dem Bus zum Haus des Generals gefahren. Zudem hatte Oswald Fotos von Walkers Haus besessen und Pläne, wo er etwa seine Waffe vergraben könne.
Auch der mit Oswald befreundete Erdölgeologe George de Mohrenschildt bestätigte öffentlich Oswalds Abneigung zu Walker. Sowohl Marina Oswald als auch de Mohrenschildt waren jedoch bei ihren Aussagen nicht frei von Interessenkonflikten.
Eine weit verbreitete Legende besagt, die auf Walker gefeuerte Gewehrkugel sei später dem Mannlicher Carcano-Gewehr zugeordnet worden, das Oswald alias "Alec Hidell" bestellt haben und damit auf Kennedy geschossen haben soll. Tatsächlich wäre ein Verschuss der Munition mit der Waffe allenfalls möglich gewesen, ist aber unbewiesen. Insbesondere wurde bei Walker ein anderes Munitionsfabrikat verwendet.
Als Richter Earl Warren 1964 den sogenannten Nachtclubbesitzer Jack Ruby in einem texanischen Gefängnis befragte, warum dieser Oswald in Polizeigewahrsam erschossen habe, wollte Ruby erst dann Klartext reden, wenn er nach Washington verlegt würde. Unter Hinweis auf Lebensgefahr erwähnte Ruby die John Birch Society, an deren Spitze Walker stehe. Rubys Tat, die Leuten die Chance zur Macht verschafft habe, hätte viele Menschen in Lebensgefahr gebracht.
Richter Warren erwiderte, dass er das nicht verstehe. Tatsächlich aber hatte Ruby sehr deutlich kommuniziert, dass er Walker fürchtete. Erst Jahre später wurde bekannt, dass Ruby zur Mafia gehörte und zudem ein langjähriger FBI-Informant mit guten Verbindungen zur rechten Elite in Dallas sowie Johnson und Nixon gewesen war.
Walker bestritt auch gegenüber der Warren Kommission, vor dem Kennedy-Attentat von Oswald gehört zu haben. Als 1975 an Senator Frank Church die CIA durchleuchtete, behauptete Walker in einem Brief an Church, die Dallas Polizei habe ihm berichtet, dass Oswald nach dem Anschlag auf ihn festgenommen worden sei, aufgrund einer höheren Behörde als in Dallas aber wieder auf freien Fuß gesetzt worden sein soll.
Walker dachte über eine Präsidentschaftskandidatur für 1964 nach, unterstützte dann aber Rechtsaußen-Republikaner Barry Goldwater. FBI-Informanten berichteten, dass Walker für den Fall, dass Johnson die Wahl gewänne, eine Revolte mit dem Ku-Klux-Klan geplant hatte. Doch Walkers Karriere hatte ihren Zenit bereits überschritten.
Im Politthriller "Sieben Tage im Mai", der 1964 in die Kinos kam, wurde Walker namentlich in einer Reihe mit dem ebenfalls von Hunt finanzierten Senator Joseph McCarthy gestellt, der überall Kommunisten witterte. U.a. Walker gilt als Inspiration für die Figur des rechtsgerichteten Generals Scott, der einen Militärputsch plant. Auch für den rechtsgerichteten General Jack. D. Ripper in "Dr. Strangelove", der ebenfalls 1964 erschien, soll Walker das Vorbild gewesen sein.
Die Warren Kommission kam zu dem Schluss, dass Oswald auch dieses Attentat begangen haben müsse. "American Hitler" Rockwell, der für einen Wahlsieg einen Nuklearkrieg gegen China versprach, wurde 1967 erschossen, angeblich von einem Parteifreund mit unbekanntem Motiv.
Von Walker selbst hörte man erst wieder über ein Jahrzehnt später, weil er wegen Lüsternheit in einer öffentlichen Herrentoilette usw. verurteilt wurde. 1982 wurde Walker stillschweigend eine Pension bewilligt, obwohl er die Armee aus eigenem Wunsch vorzeitig verlassen hatte.
PR-Stunt?
Die Tat wurde nie aufgeklärt. Allerdings hatten das FBI und die Polizei in Dallas hinter vorgehaltener Hand den Eindruck, als habe Walker den Anschlag lediglich inszeniert, denn er war für seine Sucht nach Aufmerksamkeit bekannt.
Sogar der bestens vernetzte de Mohrenschildt berichtete, jeder in Dallas habe den Schuss für eine Publicity-Aktion gehalten.
Der militante Rechtsextremist Robert DePughs berichtete dem Autor Jeffrey Caufield für ein 2015 erschienenes Buch, Walker habe ihm 1962 für seine Kampagne zum Gouverneur von Texas angetragen, ihn durch seine Männer entführen zu lassen, um die Tat einer kommunistischen Verschwörung in die Schuhe zu schieben. DePughs habe abgelehnt.
Walker erinnerte sich an die Tat widersprüchlich. Der Polizei hatte er gesagt, der Schuss habe ihn verfehlt, weil er sich gerade nach einem Stift gebückt habe. Vor der Warren Kommission bestritt er eine Bewegung und meinte, dass das Projektil das Fensterkreuz gestreift habe und daher nach oben abgelenkt worden sei. Tatsächlich allerdings hatte der Schuss das Holzteil von unten erwischt und hätte daher nach unten abprallen müssen.
Ein ehemaliger Mitbewohner gab an, Walker könne nicht mehr zwischen Realität und Fiktion unterscheiden.
Allerdings scheint er in einem Punkt definitiv gelogen zu haben: Walker war offenbar doch nicht alleine gewesen.
Robert Alan Surrey
Walkers Darstellung widersprach Robert Surreys Sohn David Surrey, der 2012 von Krankheit gezeichnet seine Erinnerung hinterließ. Der damals 12 Jahre alte David erinnert sich, dass er gemeinsam mit seiner Stiefmutter und seinen Geschwistern in Walkers Haus zu Gast war, um Wahlkampfprospekte zu kuvertieren.
David Surrey berichtete von einem Knall und einem Kommando seines Vaters, in Deckung zu gehen. Dieser habe die Familie dann sofort zum Auto gebracht und nach Hause gefahren.
Bei einem echten Angriff von einem Heckenschützen wäre es allerdings riskant gewesen, das Haus zu verlassen, auch ein Auto bietet praktisch keinen nennenswerten Schutz vor Beschuss. Ferner wäre erklärungsbedürftig, warum Surrey den verwundeten Freund schutzlos zurückgelassen hätte.
Von beinharten Rechtsextremisten wie Walker und Surrey wäre wohl auch eher Gegenwehr als Flucht zu erwarten gewesen als Feigheit vor dem Feind.
Davids jüngerer Bruder William Surrey bestätigte 2013 die Darstellung im Wesentlichen, auch wenn er sich an einige Details anders erinnert. Der Vater habe seine Familie bis auf David nach Hause geschickt. Kurz danach habe der Vater angerufen und sie zurückbeordert. Die Familie habe Robert und David beim Suchen nach den Schützen angetroffen. Dann sei die Polizei eingetroffen.
Wenn Walker und Surrey die Warren Kommission über die Anwesenheit von letzterem belogen haben, stellt sich die Frage, was denn vom Rest der Geschichte glaubhaft ist. Surreys Job als PR-Mann war es, Walker Medienaufmerksamkeit zu liefern, und er hatte Walker oft zu Schießübungen begleitet.
Ein lädiertes Fenster und ein Loch in der Wand waren für Public Relations ein geringer Preis, Walker hätte sich nicht einmal anschießen lassen müssen. Walker wäre nicht der erste Politiker gewesen, der sich an einer inszenierten Bedrohung profilierte, und auch nicht der letzte.
Nachbar Walter Coleman berichtete damals von zwei Männern, die in einem schwarzen Ford mit weißem Streifen weggefahren sei. Was den Behörden nicht auffiel, war die Tatsache, dass Surrey damals ein solches Auto gefahren hatte.
Eine Propaganda-Inszenierung wäre plausibler als die Erzählung, Oswald mit der Einstufung als zumindest "Marksman" habe aus ca. 40 Metern Entfernung den am Tisch sitzenden Walker aus dem Hinterhalt verfehlt. Ein solcher Schnitzer passt jedenfalls nicht zur Erzählung über einen Oswald, dem auf der Dealey Plaza der unwahrscheinlichste Treffer in der Geschichte der Schusswaffen gelungen sein soll.
Eine möglichst authentische Inszenierung mit hörbarem Schuss und Fluchtfahrzeug wäre nicht zuletzt deshalb sinnvoll gewesen, weil Surrey und Walker zutreffend vermuteten, dass Walker überwacht wurde, häufig sogar über Abhörwanzen scherzten.
Derartige Propaganda-Tricks sahen jedenfalls dem Mann ähnlich, der Surrey und Walker bezahlte, nämlich Ölbaron H. L. Hunt. Der leidenschaftliche Pokerspieler hatte bereits seinen texanischen Lobbyisten Johnson trickreich als Vizepräsident installiert.
Um die Wahl der Demokraten zu begünstigen, hatte Hunt anonym eine reaktionäre Tirade gegen Kennedys katholischen Glauben lanciert, die intendiert Solidarität mit Kennedy provozierte. Mit seinen unkonventionellen Methoden hatte es Hunt zum damals reichsten Mann der USA gebracht.
Hunts früherer Anwalt John Curington hatte 2018 berichtet, dass Hunt ihn nach dem Kennedy-Attentat mit dem Auskundschaften der Sicherheit Oswalds im Polizeipräsidium beauftragt und dann in den frühen Morgenstunden einen Mafia-Boss zu einem Treffen bestellt hätte. Kurz darauf erschoss Ruby Oswald in Polizeigewahrsam ohne bekanntes Motiv. Curington berichtet auch von einem konspirativen Treffen Hunts mit der verwitweten Marina Oswald. Die Zahlung von Schweigegeld liegt nahe.
Lee Harvey Oswald
Doch David Surrey erzählte noch erstaunlicheres: So habe sein Vater Robert Kontakt mit Lee Harvey Oswald gepflegt. Robert habe ihn mehrfach zu Besuchen in Oswalds Haus in Dallas mitgenommen.
Oswald, Surrey und Walker seien gemeinsam zu Schießübungen gegangen. Tatsächlich wurde in Oswalds Taschentelefonbuch die Nummer von Surrey gefunden, ebenso die von Neonazi Rockwell.
William konnte die Darstellung seines inzwischen verstorbenen Bruders weder bestätigen noch widerlegen.
Oswald, der bereits als Teenager in der paramilitärisch-patriotischen Civil Air Patrol schießen und fliegen gelernt hatte, verkehrte nach seiner Rückkehr aus der Sowjetunion mit Rechtsextremisten und übte Schießen mit reaktionären Exilkubanern. Oswald war auch mit dem Oberhaupt der John Birch Society von Dallas gesehen worden, ausgerechnet im Nachtclub von Ruby.
Ebenfalls mit Oswald wurde der dann später erschossene Streifenpolizist J.D. Tippit gesehen, der nebenberuflich in einem bei Rechtsextremisten beliebten Drive Inn arbeitete. Walkers ehemaliger Mitbewohner William MacEwan Duff wollte sogar von einem Kontakt zwischen Walker und Ruby etwas wissen.
Undercover?
Über Oswalds Verhör gibt es keine gesicherten Informationen, da Polizeichef Will Fritz seine Protokolle vernichtet hatte. Dessen Witwe verlautbarte jedoch, Fritz habe ihr erzählt, Oswald habe sich als Mitglied der Geheimdienstgemeinde zu erkennen gegeben.
Oswalds vorübergehende Auswanderung in die Sowjetunion ist deckungsgleich mit einem damals geheimen Programm des Marinegeheimdienstes, der Amerikaner mit Spionageauftrag auf solche langfristigen Missionen schickte. Mangels Spionagesatelliten war über die Sowjetunion jede Information wertvoll. Im Nachtleben in Dallas soll Oswald mit seinem Status als CIA-Agent renommiert haben.
Aus der Existenz bestimmter CIA-Akten, die früher abgestritten wurden und die noch immer gesperrt sind, schließen Experten, dass Oswald insbesondere sechs Wochen vor dem Kennedy-Attentat irgendeine Rolle in einer verdeckten Operation gespielt haben muss.
Hochrangige CIA-Leute, darunter der Leiter für Gegenspionage James Jesus Angleton persönlich, beobachteten spezielle Akten über Oswald seit Jahren aufmerksam. Eine Rolle als Undercover-Mann einer verfassungswidrigen Inlandsoperation könnte Oswalds seltsames Verhalten bei und nach seiner Festnahme erklären.
Denkbar wäre es etwa, dass Oswald die Pro-Castro-Bewegung infiltrieren oder deren Gegner provozieren sollte, etwa durch sein Auftreten als Fair Play for Cuba Committee von New Orleans, dessen einziges Mitglied er war. 2018 wurde freigegeben, dass ein Mitbegründer des echten Fair Play for Cuba Committees, Richard Thomas Gibson, in Wirklichkeit für die CIA gearbeitet hatte.
JFK-Attentatsforscher Greg Doudna gelangt zu dem Schluss, dass Oswald über Rechtsextremisten berichten sollte. Als Kontaktmann Oswalds gilt vielen FBI-Mann James Hosty, der allerdings ausgerechnet mit Surrey befreundet war (und ebenfalls an einen PR-Stunt glaubte).
Der vom FBI beobachtete Walker, der ja tatsächlich Umsturzpläne ausheckte und Umgang mit internationalen Rechtsextremisten hatte, wäre das prominenteste Überwachungsziel gewesen.
Doudna hält es für plausibel, dass Oswald tatsächlich den Schuss auf den zu dem Zeitpunkt allerdings leeren Raum abgab und Surrey Schmiere stand. Soweit sich Oswald Marina gegenüber mit der Tat gebrüstet hatte, könnte dies halbironisch gewesen sein, da das Attentat nicht ernst gemeint war, oder eben zur Inszenierung gehören. U.a. Peter Dale Scott wies darauf hin, dass für echte Attentäter das überregionale Bestellen eines Gewehrs wegen des Paper Trails viel zu auffällig gewesen wäre.
Doudna schließt aus dem akribischen Ansammeln und Hinterlassen von Spuren durch Oswald selbst, dass dieser durch seine Beteiligung an der letztlich peinlichen Inszenierung Kompromat gegen Walker produzierte. Die Geheimdienste hätten den General entweder erpressen oder in der Öffentlichkeit als einen Hochstapler blamieren können.
Wenn Walker das Attentat auf sich selbst inszeniert hatte, so war dies ein Lausbubenstreich gegen die Manipulationen der öffentlichen Meinung durch schmutzige Tricks, wie sie Walkers politischer Mitbewerber John Conally 1980 unterstützte. Der Texaner, der 1963 im Wagen von Kennedy an der Hand getroffen wurde, hatte nach fehlgeschlagenen Griffen zum Präsidentenamt auf eine Position als Außenminister gehofft.
Wie kürzlich bekannt wurde, unterstützte er Reagans Wahlkampf auf perfide Weise, indem er der Regierung Carter schadete. Hierzu hatte Conally konspirative Kontakte in den Iran geknüpft, um die Geiselkrise künstlich zu verlängern.
Wikipedanten
In der deutschsprachigen Wikipedia stehen Beiträge, die Bezug zum Attentat auf JFK haben, seit eineinhalb Jahrzehnten unter der Protektion des Hamburger Wikipedianers Dr. Philip "Phi" Heyde. Zu Walker ist dort allen Ernstes zu lesen:
"Am 10. April 1963 versuchte der spätere Kennedy-Attentäter Lee Harvey Oswald ihn zu erschießen."
Eine Täterschaft Oswalds wurde für keinen der beiden Anschläge bewiesen.