US-Kongress: evakuiert statt debattiert
Foto: SaraElizaF
Nach dem Sturm auf das Kapitol verzögert sich die Zertifizierung der WahlmÀnnerstimmen
Am Tag der PrĂ€sentation der PrĂ€sidentenwahlmĂ€nnerstimmen im US-Kongress, der an der amerikanischen OstkĂŒste noch andauert, hat sich der "March to Save America" zu einem Sturm auf das Kapitol entwickelt (vgl. Liveticker zum "Putschversuch" in Washington [1]). Teilnehmer an der Demonstration zerstörten Fensterscheiben des ParlamentsgebĂ€udes [2] und versuchten Absperrungen der SicherheitskrĂ€fte zu ĂŒberwinden [3], wobei es zu gewalttĂ€tigen Auseinandersetzungen [4] kam. Der Polizei gelang es nur mit gezogenen Waffen [5], den Sitzungssaal zu rĂ€umen. Auch [6]das FBI und die Nationalgarde wurde hinzugezogen [7].
AuĂerdem drangen Demonstranten in BĂŒros von Politikern ein, wo sie sich von AFP- und Getty-Fotografen an Schreibtischen ablichten lieĂen. Einige waren dabei unvermummt [8], andere trugen Masken und Kapuzen.
Trump: "Ihr mĂŒsst jetzt nach Hause gehen"
Der 45. US-PrĂ€sident Donald Trump, zu dessen UnterstĂŒtzung der March to Save America einberufen worden war, appellierte via Twitter an die Demonstranten [9]: "Bitte unterstĂŒtzt unsere Hauptstadtpolizei und die SicherheitskrĂ€fte. Sie stehen wirklich auf der Seite unseres Landes. Bleibt friedlich!" Nachdem Joseph Biden ihn öffentlich dazu aufforderte [10], seinen "Amtseid zu erfĂŒllen" und "die Belagerung zu beenden" veröffentlichte Trump auĂerdem eine Videobotschaft [11], in der er ergĂ€nzte:
Ich kenne euren Schmerz. Ich weiĂ, dass ihr verletzt seid. Wir hatten eine Wahl, die uns gestohlen wurde. Es war eine Erdrutschwahl, und jeder weiĂ das - besonders die andere Seite. Aber ihr mĂŒsst jetzt nach Hause gehen. Wir mĂŒssen Frieden haben. Wir mĂŒssen Recht und Ordnung haben. Wir mĂŒssen unsere groĂartigen Rechts- und OrdnungshĂŒter respektieren. Wir wollen nicht, dass jemand verletzt wird. Es ist eine sehr schwierige Zeit. Es hat noch nie eine Zeit wie diese gegeben, wo so eine Sache passiert ist, wo sie es uns wegnehmen könnten, uns allen. Mir, euch, unserem Land. Das war eine betrĂŒgerische Wahl. Aber wir können diesen Leuten nicht in die HĂ€nde spielen! Wir mĂŒssen Frieden haben! Also geht nach Hause. Wir lieben euch, ihr sei etwas sehr Besonderes. Ihr habt gesehen was passiert. Ihr habt gesehen wie andere behandelt werden. So schlecht und so ĂŒbel. Ich weiĂ, wie ihr euch fĂŒhlt. Aber geht nach Hause - und geht friedlich nach Hause. (Donald Trump)
Pence erteilte Trump eine Absage
Auf seiner einige Stunden vorher vor den Demonstranten gehaltenen Rede hatte Trump die PrĂ€sidentschaftswahl ebenfalls als gestohlen bezeichnet. Zeitgleich hatte VizeprĂ€sident Mike Pence ein Schreiben an den Kongress veröffentlicht, in dem er seine Sicht auf die Rolle des VizeprĂ€sidenten bei einer US-PrĂ€sidentschaftswahl offenbart. Er glaube nicht, so der Republikaner darin, "dass die GrĂŒnder unseres Landes den VizeprĂ€sidenten mit der unilateralen AutoritĂ€t schmĂŒcken wollten, zu bestimmen, welche WahlmĂ€nnerstimmen bei der gemeinsamen Kongresssitzung gezĂ€hlt werden, und kein VizeprĂ€sident in der amerikanischen Geschichte hat je solch eine AutoritĂ€t geltend gemacht".
Damit erteilte Pence Donald Trump eine Absage. Der hatte auf Twitter [12] darauf hingewiesen, dass er die Ergebnisse, nach dem die 306 WahlmĂ€nner fĂŒr Joseph Biden und die 232 fĂŒr ihn selbst ausgewĂ€hlt wurden, nicht fĂŒr den tatsĂ€chlichen WĂ€hlerwillen hĂ€lt. Der Wahlprozess in den USA sei nĂ€mlich "schlimmer als in einem Drittweltland" [13] und "sogar Mexiko" [14] arbeite bei Wahlen mit IdentitĂ€tsnachweisen, die in vielen US-Bundesstaaten nicht nötig sind. Wegen der Manipulationsmöglichkeiten hĂ€tten auch die republikanischen Mehrheiten in mehreren Bundesstaaten die WahlmĂ€nnerauswahlen nicht genehmigt [15], weshalb Pence sie dorthin zurĂŒckschicken solle. Und er appellierte öffentlich an ihn: "Tu es, Mike, dies ist eine Zeit fĂŒr auĂergewöhnlichen Mut!" [16]
Nach der Absage des VizeprĂ€sidenten verlautbarte dessen Chef [17]: "Mike Pence hatte nicht den Mut, zu tun, was man tun hĂ€tte mĂŒssen, um unser Land und unsere Verfassung zu schĂŒtzen: Bundesstaaten die Gelegenheit geben, eine korrigierte Zusammenstellung von Tatsachen zu zertifizieren, nicht betrĂŒgerische oder fehlerhafte, die sie vorher zertifizieren sollten. Die USA verlangen die Wahrheit!"
Dass Pence nicht von einem dafĂŒr nötigen Kompetenzumfang seines Amtes ausgeht, hatte sich allerdings bereits vorher abgezeichnet: Eine Klage des texanischen Abgeordneten Louie Gohmert [18], die so einen Kompetenzumfang gerichtlich feststellen lassen wollte, hatte er letzte Woche ebenso abgelehnt wie kurz darauf der zustĂ€ndige Bezirksbundesrichter Jeremy Kernodle.
EinsprĂŒche ohne Aussicht auf Erfolg
Rechtlich unumstritten war und ist dagegen, dass Abgeordnete das Recht haben, EinsprĂŒche gegen das WahlmĂ€nnervotum einzulegen. Ted Cruz, ein anderer Texaner, hatte solche EinsprĂŒche bereits vor der gemeinsamen Sitzung der beiden Kongresskammern angekĂŒndigt. Im Senat fand er dafĂŒr zwölf Mitstreiter, im ReprĂ€sentantenhaus etwa 140. Wegen dieser angekĂŒndigten EinsprĂŒche hĂ€tten die beiden Kammern nun eigentlich ĂŒber das Ergebnis debattiert - wenn sie nicht wegen des Sturms auf den Kongress davon abgehalten worden wĂ€ren.
Dass nach solchen Diskussionen in beiden Kammern die nötigen Mehrheiten fĂŒr eine Ablehnung zustande kommen, ist allerdings nicht nur deshalb unwahrscheinlich, weil die Demokraten mindestens im ReprĂ€sentantenhaus eine Mehrheit haben: In der anderen Kammer bekannten sich Mitch McConnell und mehrere andere republikanische Senatoren bereits im Vorfeld zu Biden. Noch wahrscheinlicher als vorher ist dagegen, dass Joseph Biden am Mittag des 20. Januar der 46. PrĂ€sident der Vereinigten Staaten wird.
Trump und seine AnhĂ€nger werden dann vielleicht weiter eine verstĂ€rkte Version des StĂŒcks auffĂŒhren, mit dem die Demokraten nach seiner Wahl Premiere feierten, und die LegitimitĂ€t des neuen PrĂ€sidenten mit den verschiedensten Mitteln bis zum Beginn des nĂ€chsten Wahlkampfs infrage stellen. Bereits seit dem Herbst Ă€hneln Trumps Tweets zu China und Biden [19] stark den VorwĂŒrfen, die die Demokraten damals gegen ihn und Russland erhoben. Zu so einer adaptierten Strategie wird möglicherweise auch ein "Druck der StraĂe" gehören. Und in beiden FĂ€llen könnten die politischen Akteure damit Geister beschworen haben, die sie möglicherweise nicht mehr so einfach zĂ€hmen können: Weder in Portland [20] noch in Washington DC [21].
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[4] https://twitter.com/Phil_Lewis_/status/1346911071068516354
[5] https://twitter.com/NBCNews/status/1346910392052695043
[6] https://twitter.com/NBCNews/status/1346924461786767361
[7] https://twitter.com/MikevWUSA/status/1346906722263314432
[8] https://twitter.com/AnthonyQuintano/status/1346917936716505092
[9] https://twitter.com/realDonaldTrump/status/1346904110969315332
[10] https://twitter.com/CBSNews/status/1346928124282466307
[11] https://twitter.com/realDonaldTrump/status/1346928882595885058
[12] https://twitter.com/realDonaldTrump/status/1346808075626426371
[13] https://twitter.com/realDonaldTrump/status/1346818855298072576
[14] https://twitter.com/realDonaldTrump/status/1346822958006886400
[15] https://twitter.com/realDonaldTrump/status/1346698217304584192
[16] https://twitter.com/realDonaldTrump/status/1346808075626426371
[17] https://twitter.com/realDonaldTrump/status/1346900434540240897
[18] https://twitter.com/USATODAY/status/1345204668658577414
[19] https://twitter.com/realDonaldTrump/status/1316765367851798531
[20] https://twitter.com/mrandyngo/status/1278962503121133570
[21] https://twitter.com/MrAndyNgo/status/1346908211350294542
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