US-Rüstungsunternehmen sind die Gewinner der Zeitenwende
Seit Mitte Juli hat das Außenministerium in Washington angebahnte Waffengeschäfte in Höhe von knapp 20 Milliarden US-Dollar genehmigt. Auch Deutschland gehört zu den Großkunden.
Eine Supermacht im Abstieg? Nicht so schnell. Der Sommer 2022 ist ein großer für die US-Rüstungsindustrie. Während die politische Klasse in Washington D.C. größtenteils in den Ferien ist, kümmert sich das Außenministerium die Auftragsbücher der Waffenhersteller. In den "Hundstagen" zwischen dem 15. Juli und dem 2. August soll das US-State-Department Waffengeschäfte in Höhe von fast 20 Milliarden US-Dollar bewilligt haben, berichtet der US-Think Tank Responsible Statecraft.
Die Autoren, die unter dem Leitmotiv einer "verantwortungsvollen Staatskunst" schreiben, sind Kritiker einer militärischen Einmischungspolitik der Supermacht. Dazu gehört, dass sie regelmäßig über die lukrativen Geschäfte der heimischen Rüstungshersteller berichten, die mit dem Anspruch, sich weltweit als Führungsmacht zu behaupten, einhergehen. Über enge Verbindungen zwischen der Regierung Biden und den großen fünf der US-Waffenhersteller wurde an dieser Stelle schon früh berichtet.
Die Bewilligung von "möglichen Waffenverkäufen" an ausländische Staaten, im Original "a determination approving a possible Foreign Military Sale" ("Entscheidung über die Genehmigung eines möglichen Erwerbs von Rüstungsgütern und militärische Dienstleistungen durch andere Staaten") seit dem 15. Juli lässt sich in einer Liste des US-Außenministeriums nachverfolgen.
Zuletzt bewilligte das Ministerium am 9. August einen relativ kleinen möglichen Deal mit Brasilien, bei dem es um 222 Javelin-Raketen, 33 Abschussvorrichtungen und dazugehörige Ausrüstung in Höhe von 74 Millionen US-Dollar geht. "Der vorgeschlagene Verkauf dieser Ausrüstung und Unterstützung wird das grundlegende militärische Gleichgewicht in der Region nicht verändern", heißt es dazu.
Das normative Projekt
In den kritischen Augen des Responsible-Statecraft-Autors Connor Echols zeigt sich in dem Deal, der von der Regierung als unbedenklich dargestellt wird, dessen ungeachtet ein Muster, das im Konflikt liegt mit den Proklamationen des US-Präsidenten, Demokratie und Freiheit zu fördern. Brasilien bezeichnet Echols als "rückwärtsgewandte Demokratie mit einem rechtspopulistischen Führer".
Deutlicher wird das Prinzip, Geschäft und geopolitische Interessen haben Vorrang vor dem, was von einem namhaften Historiker als normatives Projekt des Westens und seiner Werte (Menschenrechte, Herrschaft des Rechts, Gewaltenteilung, repräsentative Demokratie) bezeichnet wird, bei den bewilligten Waffengeschäften mit Saudi-Arabien, Ägypten und den Vereinigten Arabischen Emiraten.
Ein Drittel der Genehmigungen eines möglichen Erwerbs von Rüstungsgütern betreffe Autokratien des Nahen Ostens, so Connor Echols in seinem Bericht. Dies mache die Widersprüche des von Präsident Joe Biden erklärten Engagements für die Förderung der Demokratie deutlich. Die größten Geschäfte wurden mit Saudi-Arabien (Verkauf von Raketen für MIM-104 Patriot plus Ausstattung; geschätztes Geschäftsvolumen: drei Milliarden US-Dollar) und den Vereinigten Arabischen Emiraten (Verkauf von Raketen und Komponenten für das Abwehrsystem Thaad; geschätztes Volumen 2,2 Milliarden US-Dollar) angebahnt. Beide Länder sind Parteien im Jemen-Krieg.
Die Fortsetzung dieser Raketenverkäufe signalisiert beiden Regierungen, dass sie für die Kriegsverbrechen, die sie in der Vergangenheit mit US-Waffen begangen haben, keine Strafe zahlen werden. Stattdessen werden ihre Regierungen zu dem Schluss kommen, dass die USA sie weiterhin bewaffnen werden, egal was sie tun, wenn es als Unterstützung ihrer "Selbstverteidigung" ausgegeben werden kann. Je mehr Unterstützung diese Regierungen von den Vereinigten Staaten erhalten, desto rücksichtsloser und unverantwortlicher sind sie, und das macht neue Waffenverkäufe potenziell gefährlich.
Daniel Larison, Responsible Statecraft
Anzufügen ist an dieser Stelle, dass die US-Regierung Anfang dieses Jahres beschlossen hatte, dem demokratischen Musterland Ägypten Waffen im Wert von über zwei Milliarden US-Dollar zu verkaufen.
Andere, kürzlich bewilligte Milliarden-Deals werden mit Deutschland (35 F-35-Kampfjets plus Munition und Ausstattung, voraussichtliche Kosten 8, 4 Milliarden US-Dollar) und den Niederlanden (Verkauf von Flugabwehrraketensystemen MIM-104 Patriot plus Ausstattung; geschätztes Geschäftsvolumen 1,2 Milliarden US-Dollar) gelistet.
Weltweit ganz oben
A propos: Auf der Liste der weltweiten Top 100 Rüstungshersteller, aka "Defense Companies", finde sich ganz oben die fünf großen US-Unternehmen Lockheed Martin, Raytheon Technologies, Boeing, Northrop Grumman und General Dynamics. Ihnen folgt mit AVIC (Aviation Industry Corporation of China) ein chinesischer Rüstungs- und Flugzeugkonzern. Unter den ersten zehn finden sich weiter zwei chinesische Unternehmen, ein britisches (BAE Systems) und ein weiteres US-amerikanisches: L3Harris Technologies.
Angesichts des "Pentagon-Budgets von über 800 Milliarden Dollar pro Jahr und der Dominanz der US-Unternehmen auf dem internationalen Waffenmarkt" seien die Spitzen-Positionen der US-Waffenhersteller kein Wunder, so der Journalist, William Hartung, der Verteidigungsausgaben der US-Regierung zu seinem Spezialgebiet gemacht hat
Unabhängig davon, was mit dem Rest der Wirtschaft in den Vereinigten Staaten passiere, und welche Schwierigkeiten die Führungskräfte der Rüstungsindustrie auch immer anführen mögen - die Realität, wie sie Hartung bewertet, sehe so aus, "dass sie und ihre Unternehmen wahrscheinlich fett und glücklich bleiben werden". Eine andere Frage sei, ob das, was gut für Lockheed Martin und Konsorten ist, auch notwendig gut für die Sicherheit der USA ist?