US-Senat testet Gnutella

Senatsanhörung bringt alle prominenten Kontrahenten der MP3-Debatte an einem Ort zusammen

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Gestern hatte der Justizausschuss des US-Senats zu einer Anhörung über die Zukunft der Musik im Internet geladen. Von der RIAA über Napster und MP3.COM bis zu Metallica und einem Gnutella-Entwickler waren alle gekommen, um ihre Sicht der Dinge darzulegen.

Seit der Watergate-Affäre sollen Anhörungen des US-Senats nicht mehr so einen Besucherandrang erlebt haben. Kein Wunder, schließlich versprach die Liste der eingeladenen Zeugen zum Thema "Music on the Internet: Is There an Upside to Downloading?" auch spektakuläre Auseinandersetzungen: Erstmals trafen in der Öffentlichkeit Napster-CEO Hank Barry und Metallica-Drummer Lars Ulrich aufeinander. Außerdem hatte Senator Orrin G. Hatch MP3.COM-Chef Michael Robertson, Fred Ehrlich von Sony Music, Emusic.com-Chef Gene Hoffman, den Folkmusiker Roger McGuinn, Gnutella-Entwickler Gene Kan und Jim Griffin von der Firma Cherry Lane Digital eingeladen. Im Publikum saß außerdem Napster-Gründer Shawn Fanning.

Senator Hatch erklärte zuallererst, dass es bei der Sitzung nicht so sehr um die laufenden juristischen Auseinandersetzungen zwischen der RIAA, MP3.COM und Napster gehe. Vielmehr wolle man mehr über die neuen Technologien lernen und erfahren, welche Auswirkungen sie auf Musiker und Konsumenten hätten. Um diesen Lernprozess nicht auf schöne Worte zu beschränken, führte Hatch Senat und Publikum das Filesharing-Programm Gnutella vor. Er suchte einen Song der Rock-Band The Creed, bekam hunderte Suchergebnisse, lud eine MP3-Datei herunter und spielte sie dem Auditorium vor. Süffisant bemerkte Hatch währenddessen, heute morgen habe er in seinem Büro Metallica gehört, was zu großem Gelächter führte.

"Sie haben unsere Musik entführt."

Nach dieser kurzen Musikpause durfte Lars Ulrich seine Position erläutern. Er beklagte: "Napster hat unsere Musik entführt, ohne uns zu fragen." Das Verhalten der Napster-User verglich er mit dem von Ladendieben - mit dem Unterschied, dass Ladendiebe bestraft würden.

Roger McGuinn, ehemaliges Bandmitglied der Byrds, wies hingegen auf die schlechte finanzielle Situation vieler Musiker im herkömmlichen Musikbusiness hin. Er selbst habe für alle 15 Byrds-Alben jeweils nur ein paar tausend Dollar bekommen. Dagegen gebe ihm eine Site wie MP3.COM 50 Prozent der Einkünfte aus den Plattenverkäufen. McGuinn verschenkt sowohl auf MP3.COM als auch seiner eigenen Website Songs im MP3-Format. Statt Verlusten habe ihm das Umsatzsteigerungen von etwa 20 Prozent eingebracht.

Nach McGuinn kam Hank Barry in seiner Rolle als Napster-CEO zu Wort. In einem historischen Rundumschlag erklärte er, dass das Internet ursprünglich als dezentrales Netzwerk geplant gewesen sei. Große Content-Anbieter hätten es in den letzten Jahren jedoch immer weiter zentralisiert. Napster führe das Internet jetzt wieder zurück zu seinen Wurzeln. In Bezug auf den Rechtsstreit mit der RIAA um angebliche Copyright-Verletzungen wiederholte er die Argumente der kürzlich veröffentlichten Napster-Verteidigungsschrift. Außerdem führte er die steigenden CD-Verkaufszahlen der US-Musikindustrie auf Napster zurück: "Mehr Zugang zu Musik führt zu mehr Interesse an Musik und steigert die Verkaufszahlen."

MP3.COM beklagt sich über Verträge mit den Majors

MP3.COM-Chef Michael Robertson brachte wieder etwas Praxis in die Anhörung, indem er dem Ausschuss das my.mp3.com-Angebot vorführte. Besonders wichtig war ihm dabei der Vorteil des BeamIt-Services, also die Möglichkeit des direkten Zugriffs auf Online erworbene Musik, gegenüber herkömmlichen Vertriebswegen: "Wenn man bei CDNOW.COM eine CD kauft, ist das nicht wirklich CD now - man muss warten, bis sie in der Post ist."

Auch Robertson war der Meinung, seinen Teil zu den höheren CD-Verkaufszahlen beigetragen zu haben. Besonders auffällig an seinen Ausführungen war, dass er Pay-per-Listen-Praktiken scharf angriff: Die Konsumenten "zahlen nicht jedes Mal etwas, wenn sie den Play-Button ihrer Stereoanlage betätigen - und sie sollten es auch nicht im Internet tun." Scheinbar ist er doch nicht mehr so glücklich über seine erst kürzlich mit BMG und der EMI abgeschlossenen Verträge, die genau solche Pay per Listen-Abgaben für my.mp3.com vorsehen.

Fred Ehrlich, Präsident der Sony Music-Abteilung für neue Technologien, sah seine Firma als einen Pionier der Online-Musikdistribution. Man habe schon lange Websites mit Sound-Samples, bald werde es auch kostenpflichtige Downloads geben.

"20 Million Napster-Users can't be wrong."

Auch der Emusic.com-Chef Gene Hoffman wollte die Wissbegierde der Senatoren befriedigen. Ermangels schicker Software-Applikationen führte er kurzerhand seinen portablen MP3-Player vor. Dann erklärte er das Emusic.com Geschäftsmodell, das auf dem Verkauf von MP3s in Kooperation mit kleineren Labels basiert. 2 Millionen Songs habe man bisher verkauft.

Der Programmierer Gene Kan trat als Vertreter der Gnutella-Community in der Anhörung auf. Kan war zwar nicht an der Entwicklung des Original-Clients beteiligt, aber an einer Portierung für Unix-Systeme. Außerdem gehört er zu den Gründern der Gnutella-basierten Suchmaschine Infrasearch. Kan bezeichnete das Internet als heiligen Gral der Musikdistribution. Schließlich entstünden keine Mehrkosten, wenn ein Song kopiert werde. Kan empfahl als beste Maßnahme gegen Musikpiraterie das Schaffen von neuen Anreizen für legalen Musikerwerb. So könne man doch jedem erlauben, Musik weiterzuverkaufen und sich den Gewinn mit den Rechteinhabern zu teilen. Kan nannte dieses Modell "Viral Marketing". Im Bezug auf die Filesharing-Debatte sagte er: "20 Million Napser Users can't be wrong."

Neue Businessmodelle verlangte auch James Griffin. Diese müssten das Motiv zur Raubkopie zerstören, nicht die dazu benutzte Technik. Außerdem verlangte er, dass der Zugang zu Kulturgütern wie Musik unabhängig vom Einkommen des Einzelnen möglich sein müsse.

Die RIAA in ungemütlicher Position

Nachdem alle Beteiligten ihre Grundposition erklärt hatten, wurden sie noch detailliert von den Senatoren befragt. Dazu nahm auch RIAA-Präsidentin Hillary Rosen auf dem Podium Platz. Senator Hatch begann sofort, sie detailliert anhand von alltäglichen Beispielen zu den Grenzen des "Fair Use" zu befragen, was Rosen sichtlich unangenehm war. Sie drückte sich um die Antworten, zögerte und meinte schließlich: "Sie bringen mich auf Napster-Argumentationskurs. Da kann ich nicht mitgehen."

Darüber hinaus wollten die Senatoren noch genauer wissen, welchen Einfluss die neuen Technologien auf unbekannte Newcomer haben. Napster-CEO Hank Barry erwähnte in diesem Zusammenhang, dass bereits 17 000 Musiker dem New Artist-Programm seiner Firma beigetreten seien. Regelmäßig bekomme er auch Emails von Musikern mit Seiten bei MP3.COM, die sich über die zusätzliche Promotion durch Napster bedankten. Lars Ulrich von Metallica behauptete hingegen, bei ihrer Überwachung des Napster-Netzwerks seien innerhalb von 48 Stunden zwar 1 400 000 Metallica-Songs heruntergeladen worden, aber lediglich ein einziger eines unbekannten Künstlers. Wie Metallica dies so genau herausgefunden haben will, verriet er aber nicht.

Mit dem FBI gegen Napster-User?

Ein anderer interessanter Punkt betraf die Möglichkeit der Rechtesicherung durch SDMI und andere Verfahren. Während Sony laut Ehrlich fest auf die Technik vertraut, gab Griffin als ehemaliger Mitarbeiter von PGP Inc. zu bedenken: "Wenn jemand Zugriff auf etwas hat, gibt es keine Möglichkeit, ihn davon anzuhalten, es zu kopieren."

Grundsätzlich verschiedener Meinung waren die Beteiligten auch zu der Frage, ob man neue Gesetze für den Online-Musikmarkt brauche. Auffällig auch hier, dass es keine festen Fronten in diesem Geschäftsbereich gibt: Während Kontrahenten wie die RIAA, Napster und Sony gerne alles dem Markt anvertrauen wollen beziehungsweise mit den jetzigen Gesetzen glücklich sind, forderten Robertson für MP3.COM, Lars Ulrich und Emusic-Chef Gene Hoffman dringend neue Gesetze.

Hoffmann ging sogar so weit, dass er die Verfolgung von Napster-Usern durch das FBI forderte. Nur so könne man die Leute von der Unrechtmäßigkeit ihres Tuns überzeugen. Allerdings sitzen Hoffmann auch die Shareholder im Nacken, die nach seiner Aussage Napster für den Kurssturz der Emusic-Aktie verantwortlich machen.

Kongress-Reden via Napster verbreiten

Die weiteren Fragen gaben der Debatte wenig neue Impulse. Insbesondere Lars Ulrich beschränkte sich auf das Wiederholen altbekannter Argumente, was den Napster-CEO regelmäßig zu dem trotzigen Einwurf "Record sales are up!" verleitete. Immerhin erfuhr man am Rande noch, das sich MP3.COM in intensiven Verhandlungen mit Sony befindet. Außerdem konnten die beteiligten Senatoren von Gene Kan darüber aufgeklärt werden, dass eine IP-Adresse keine "Intellectual property"-Adresse ist.

Gelernt haben sie also einiges, die Senatoren. Spaß gehabt ganz offensichtlich auch. Und vielleicht kann man es schon als erstes Signal werten, dass sie darüber witzelten, demnächst ihre Reden via Napster unters Volk zu bringen. Das beste Schlusswort gab dann allerdings Ex-Byrd-Musiker Roger McGuinn von sich: Kostenlose Musik habe es durch Radiostationen doch sowieso immer schon gegeben. Und deshalb gebe es seiner Meinung nach in dieser Debatte einfach nur "viel Aufregung um nichts."