US-Senator warnt vor Bumerang: Lasst die Finger von russischen Vermögen!

Bild: Wonder AI
Senat erwägt Gesetz zur Beschlagnahmung. Das wäre fatal für den Ukraine-Krieg, so Rand Paul. Es würde auch die Entdollarisierung forcieren. Gastbeitrag.
Das außenpolitische Establishment in Washington steht kurz davor, einen weiteren strategischen Fehler zu begehen.

Der US-Senat ist dabei, das Gesetz Rebuilding Economic Prosperity and Opportunity (Repo) [1] für die Ukrainer durchzudrücken. Dieses Gesetz gibt dem US-Präsidenten die Befugnis, Russlands eingefrorene Staatsgelder in den Vereinigten Staaten zu beschlagnahmen und sie für den Wiederaufbau der Ukraine zu verwenden.
Beschlagnahmung als Akt des Wirtschaftskriegs
Die Beschlagnahmung russischer Staatsgelder ist ein Akt des Wirtschaftskriegs. Die Beschlagnahmung und Überweisung dieser Vermögenswerte an die Ukraine mag Washington ein Gefühl der Tugendhaftigkeit vermitteln, aber sie wird keinen Frieden bringen.
Die Verabschiedung dieses Gesetzes wird die Hardliner in Moskau nur in ihrer Ansicht bestärken, dass Russland nicht nur mit der Ukraine, sondern in Wirklichkeit mit den Vereinigten Staaten und dem Westen Krieg führt. Jede Hoffnung, dass die Vereinigten Staaten und Russland auf eine Stabilisierung oder Verbesserung der Beziehungen hinarbeiten könnten, wird dadurch zunichtegemacht.
Es gibt keine Rechtfertigung für den Einmarsch Russlands in die Ukraine, aber die Verabschiedung dieses Gesetzes wird den Frieden unwahrscheinlicher machen. Die Ukrainer haben ihr Land fast zwei Jahre lang mutig verteidigt, aber selbst der ehemalige oberste Militärbefehlshaber der Ukraine, General Walerij Saluschnyj, räumt ein [2], dass sich der Krieg jetzt in einer Pattsituation befindet.
Russische Gelder: Trumpf bei Verhandlungen
Russlands eingefrorene Guthaben könnten bei den Verhandlungen als Druckmittel eingesetzt werden, doch sobald der US-Kongress dem Präsidenten die Befugnis erteilt, russische Guthaben zu beschlagnahmen, wird auf ihn ein enormer politischer Druck ausgeübt werden, damit er nicht als schwach dasteht.
US-Präsident Biden wurde kürzlich von den Medien und Mitgliedern meiner Partei (Republikaner) an den Pranger gestellt [3], weil er eingefrorene iranische Vermögenswerte im Austausch für fünf amerikanische Geiseln zurückgegeben hatte. Es ist unwahrscheinlich, dass er diese Entscheidung noch einmal treffen wird.
Eine Beschlagnahmung wird Moskau nur davon überzeugen, dass es keine Verhandlungslösung mit der Ukraine geben kann. Das Ergebnis wird eine zerstörte Ukraine sein. Noch mehr ukrainische Soldaten und Zivilisten werden sterben, und noch mehr Städte und Ortschaften werden in Schutt und Asche gelegt werden.
Die Geschichte ist voll von Beispielen für Wirtschaftskriege, die in gewaltsame Feindseligkeiten umgeschlagen sind. Viele Historiker glauben, dass das US-Embargo von 1807, mit dem Frankreich und England für ihre Aggressionen auf See bestraft werden sollten, zum Krieg von 1812 führte.
Moskau: Konfiszierung von 288 Milliarden Dollar aus Westen
In ähnlicher Weise führte die Entscheidung von US-Präsident Roosevelt, Japans Staatsvermögen einzufrieren und ein Embargo für Öl- und Benzinexporte zu verhängen, zu Tokios Entscheidung, Pearl Harbor anzugreifen.
Die Vergangenheit lehrt uns, dass es unklug ist, in jedem Fall mit Racheakten zu reagieren. Die US-Senatoren haben die Pflicht, sich zu fragen, ob unsere Maßnahmen die Sicherheit und den Wohlstand Amerikas gewährleisten werden.
Was das Repo-Gesetz betrifft, so haben die Russen diese Frage bereits für uns beantwortet. Moskau sagt, dass es Vergeltungsmaßnahmen gegen die Vereinigten Staaten und unsere Verbündeten ergreifen wird [4], wobei einige Schätzungen von bis zu 288 Milliarden Dollar [5] an westlichen Vermögenswerten ausgehen, die Moskau beschlagnahmen könnte.
Nicholas Mulder, Assistenzprofessor für Geschichte an der Cornell University, weist auf die Gefahr [6] eines "destabilisierenden Präzedenzfalls hin, den westliche Länder schaffen würden, indem sie Vermögenswerte beschlagnahmen, um einen Krieg zu beenden, an dem sie nicht offen beteiligt sind".
China: Rückzug aus Dollar beschleunigen
Professor Mulder erklärt [7], dass ein solches Vorgehen "die Zwangsmaßnahmen erweitern würde, die Staaten bei Streitigkeiten ergreifen könnten, an denen sie nicht direkt beteiligt sind".
Die Konfiszierung von Russlands Vermögenswerten wird mit Sicherheit auch andere Länder, darunter China, davon überzeugen, dass man den Vereinigten Staaten als Garant der Weltwirtschaft nicht mehr trauen kann. Sie werden versuchen, sich vom Dollar abzuwenden und ihre Reserven in anderen Währungen zu halten.
Dieser Prozess der Entdollarisierung wird eine Katastrophe ohnegleichen sein, da er die Finanzkraft Amerikas schwächen und dafür sorgen wird, dass der Wohlstand, den die US-Amerikaner zu erwarten haben, nicht mehr erreichbar ist.
Ferner wird dieses Gesetz den Russen ein weiteres Instrument in die Hand geben, um Ressentiments gegen die Vereinigten Staaten zu schüren. US-Politiker sprechen von einer "regelbasierten internationalen Ordnung", aber die Annahme, dass die Vereinigten Staaten das Vermögen eines anderen Landes, mit dem wir uns nicht im Krieg befinden, konfiszieren können, ist rechtlich bedenklich.
USA kann nicht mehr erwarten, ungestraft zu handeln
Professor Mulder argumentiert [8], dass "wirtschaftliche Repressalien das Vorrecht der geschädigten Staaten sind, nicht das Dritter". Anstatt die Einhaltung des Völkerrechts zu erzwingen, werden unsere Maßnahmen unseren Gegnern zeigen, dass wir es missachten.
Der Kreml wird dieses Gesetz nutzen, um der Welt zu zeigen, dass Washington zwar von anderen die Einhaltung der Regeln verlangt, wir aber bereit sind, sie zu brechen, wann immer wir es für richtig halten.
In einer multipolaren Welt kann Washington nicht mehr erwarten, ungestraft zu handeln, insbesondere wenn es sich um eine Atommacht handelt. Während des Kalten Krieges waren wir uns der ernsten Gefahren bewusst, denen unser Land ausgesetzt war.
Aber drei Jahrzehnte wiederholter außenpolitischer Katastrophen belegen, dass das außenpolitische Establishment Washingtons schwer angeschlagen ist.
Die Ablehnung dieses katastrophalen Gesetzentwurfs wäre ein guter Anfang, um diese beschädigte Außenpolitik wieder in Ordnung zu bringen.
Der Artikel erscheint in Kooperation mit dem US-Magazin Responsible Statecraft und findet sich dort im englischen Original [9]. Übersetzung: David Goeßmann [10].
Rand Paul ist US-Senator aus dem Bundesstaat Kentucky und Republikaner. Er ist Mitglied des Ausschusses für auswärtige Beziehungen des US-Senats.
URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-9629685
Links in diesem Artikel:
[1] https://www.congress.gov/bill/118th-congress/senate-bill/2003
[2] https://www.politico.eu/article/valery-zaluzhny-ukraine-top-general-war-russia-reach-stalemate/
[3] https://www.nbcnews.com/politics/national-security/republicans-slam-us-prisoner-swap-deal-iran-rcna104616
[4] https://www.reuters.com/world/kremlin-says-it-has-list-western-assets-be-seized-if-russian-assets-are-2023-12-29/
[5] https://www.businessinsider.com/russia-economy-west-lose-assets-direct-investment-russia-retaliates-seizure-2024-1
[6] https://www.ft.com/content/2c917ef5-60bd-4825-89e4-8b88dc9080a8
[7] https://www.ft.com/content/2c917ef5-60bd-4825-89e4-8b88dc9080a8
[8] https://www.ft.com/content/2c917ef5-60bd-4825-89e4-8b88dc9080a8
[9] https://responsiblestatecraft.org/russian-frozen-assets-ukraine/
[10] https://www.telepolis.de/autoren/David-Goessmann-7143590.html
Copyright © 2024 Heise Medien