US-Spähprogramme: Ein Erfolg und alles ist gut?
Eine Studie weist nach, dass die Metadaten-Sammlung für bisherige Terror-Ermittlungen irrelevant waren. Die Geheimdienste wird das wenig beeindrucken
"Das Internet ist kaputt", war als Fazit der monatelangen Enthüllungen über das enorme Ausmaß der Spähprogramme und der sich seit längerem herauskristallisierenden Erkenntnisse über den "Kontrollwahn der Konzerne" gestern von Sascha Lobo zu lesen. Der ehemalige CIA-Chef Michael Morell legt da freilich eine andere, für Kränkungen der Netzgemeinde nur begrenzt empfängliche, Perspektive an: Wenn das Spähprogramm auch nur in einem Fall erfolgreich ist, dann sei es von "unschätzbarem Wert", schreibt Morell: "It needs to be successful only once to be invaluable."
Die Äußerung Morells ist die Zuspitzung seiner Argumentation, mit der er sich gegen "Fehlinterpretationen" der Einschätzung des Expertenrats zur NSA-Überwachung wehrt. Sie wurde tendenziell als Aufforderung an die US-Regierung verstanden, das Spähprogramm auf ein solides rechtsstaatliches Fundament zu stellen (siehe "Machen Sie nie den Fehler, Ihren Regierungsvertretern völlig zu vertrauen"). Manche, wie beispielsweise der Fernsehsender ABC, zogen daraus den Schluss, dass die Experten ein Ende des Überwachungsprogramms forderten.
Morell war Mitglied des fünfköpfigen Expertenrats und stellt in seiner "Korrektur" klar: Nein, zu einem Stopp des Programms habe man nicht aufgerufen. Das "Programm", die Überwachung ohne eigens dafür eingehohlte gerichtliche Ermächtigung, wie sie unter Berufung auf die dafür herangezogene, berüchtigte Section 215 des Patriot Actes durchgeführt wird, sei wichtig für die nationale Sicherheit, weshalb man diese Möglichkeit nicht streichen wolle.
Denn, so Morell, hätte es dieses Programm schon vor 9/11 gegeben, wären die Anschläge wahrscheinlich vereitelt worden. Das ist die Basis seines Satzes, dass nur "ein Erfolg" genügt, um das Spähprogramm zu legitimieren.
Eine heute veröffentlichte Studie des Think Tanks New America Foundation widerspricht mit einer empirischen Analyse. Sowohl der 9/11-Hypothese, wie sie nicht nur Morell äußert, sondern auch dem Kernargument Obamas, das von deutschen Politikern wie dem früheren Innenminister Friedrich beflissen-brav übernommen wurde: "Wir wissen von mindestens 50 Fällen, in denen es um die Gefahr eines Terroranschlags ging, über die wir dank dieser Informationen rechtzeitig Kenntnis erlangt haben, nicht nur in den USA, sondern, auch in einigen Fällen in Deutschland. Damit wurden Leben gerettet."
NSA-Chef Keith Alexander behauptete vor dem Kongress Ähnliches: "the information gathered from these programs provided the U.S. government with critical leads to help prevent over 50 potential terrorist events in more than 20 countries around the world."
Konventionelle Methoden bewähren sich; es geht auch mit dem Gang zum Richter
Stimmt so nicht, wie Kritiker mehrfach wissen ließen, zu lesen war das auch im o.g. Bericht des Expertenrats: "Unsere Überprüfung ergab, dass die Informationen, die über den Gebrauch der Section 215 zur Ermittlung in mutmaßlichen Terrorfällen herangezogen wurden, wie z.B. Telefon-Meta-Daten, nicht wesentlich dazu beitrug, Anschläge zu vereiteln. Dieses Ergebnis wäre in angemessener Zeit auch unter Verwendung konventioneller Vorschriften der Section 215 zu erreichen gewesen."
Die aktuelle Studie (PDF) der New America Foundation erhärtet dies. Für die Aufklärung von Terrordrohungen bzw. die Verhinderung etwaiger Anschläge genügten konventionelle Methoden, das Argument des schnellen Handels ("das Einholen einer richterlichen Ermächtigung ist viel langsamer als Terroristen vorgehen") zieht nicht. Zumal der Ermittlungsapparat selbst, wie dies in einem Fall demonstriert wird, seine anscheinend schwer zu beseitigenden, systemimmanenten (?) Verzögerungsmomente hat.
Yet in the Moalin case, after using the NSA’s phone database to link a number in Somalia to Moalin, the FBI waited two months to begin an investigation and wiretap his phone. Although it’s unclear why there was a delay between the NSA tip and the FBI wiretapping, court documents show there was a two-month period in which the FBI was not monitoring Moalin’s calls, despite official statements that the bureau had Moalin’s phone number and had identified him.
Die Studie rühmt sich einer umfassenden Analyse von 225 Personen, die von al-Qaida oder ähnlichen Organisationen mit Dschihad-Programm rekrutiert wurden, denen in den USA terroristische Akte (seit 9/11) vorgeworfen wurden. Im Wesentlichen zeige sich bei der Analyse, dass "traditionelle Ermittlungsmethoden, wie der Einsatz von Informanten, Hinweise aus lokalen Gemeinschaften und gezielten Geheimdienstoperationen den Anfangsmoment für die Ermittlungen in der Hauptsache der Fälle lieferten, während der Anteil, den die NSA-Schleppnetzfahndung daran hatte, minimal war."
Heißt auf einen kurzen Nenner gebracht: Es geht auch mit dem Gang zum Richter, um bei einem vorliegenden Verdachtsfall, die Erlaubnis für die Überwachung von tatsächlich Verdächtigen einzuholen. Der Präventionsstaat in dem Ausmaß, wie ihn die Enthüllungen Snowdens vor Augen führen, ist demnach nicht nötig und mit Fahndungserfolgen nicht zu rechtfertigen.
"In höchstens 1,8 Prozent der Fälle"
Die Zahlen des Instituts sprechen eindeutig gegen andere Annahmen (Überblick hier): In höchstens 1,8 Prozent der Fälle spielten amerikanische Telefon-Metadaten eine identifizierbare Rolle beim Anlass zu einer Ermittlung, also dass eine Ermittlung überhaupt in Gang kommt. Was die "Erfolgsquote" des NSA-Überwachungsprogramm in Ländern außerhalb der USA angeht, so spielte die Datensammlung in 4,4 Prozent der untersuchten Fälle "eine Rolle".
In drei genauer untersuchten Fällen, welche die NSA als Schlüsselfälle zitierte, um die massenhafte Datensammlung zu rechtfertigen, zeigte sich laut Think Tank, "dass die Regierungsmitglieder die Rolle der NSA übertrieben haben (…) wie auch die Bedeutung des Plots".
Das Grundproblem, das auch der Vereitelung der Anschläge von 9/11 entgegenstand, besteht laut Fazit der Studie nicht darin, dass die Sicherheitsbehörden zu wenig Daten haben, weshalb sie auf Schleppnetzfahndung drängen (in der Zwangslogik des Präventionsstaates - vgl. "Gegen das Argument 'Morgen kann vielleicht etwas passieren' ist kein Kraut gewachsen"). Das wesentliche Problem liege darin, dass die Sicherheitsbehörden "Informationen, die sie bereits über konventionelle Methoden erlangt haben, nicht richtig verarbeiten können oder untereinander nicht teilen wollen".