US-Wahlkampf: Wie eine Demokratin gegen Verschwörer und Abtreibungsgegner kämpft
Im Bundesstaat Arizona entschied sich vor zwei Jahren das Kopf-an-Kopf-Rennen Biden vs. Trump. Dort wird nun auch für die Kongresswahlen im November und die Präsidentschaftswahl 2024 über richtungsweisende Posten entschieden. Eine Reportage.
Der Journalist Johannes Streeck reist für Telepolis durch die USA. Vor den wichtigen US-Kongresswahlen im November berichtet er aus einem zerrissenen Land, über Wahlkämpfe und über das, was den Amerikaner:innen unter den Nägeln brennt. In Reportagen geht es auch um die Auswirkungen von Ungleichheit und der Klimakrise auf die mächtigste Nation der Welt.
Tucson, USA – Es ist kurz nach halb Eins in der Innenstadt von Tucson, Arizona. Eine kleine Gruppe Journalist:innen und ein Fernsehteam stehen im losen Halbkreis um ein Rednerpult, an dem gerade Katie Hobbs mit ihrer Rede begonnen hat. Hobbs ist die Gouverneurskandidatin der Demokratischen Partei für Arizona. An diesem Tag erscheint sie mit Kris Mayes, die für den Posten der Obersten Staatsanwältin im Rennen ist, ebenfalls für die Demokraten. Die kleine Pressekonferenz findet auf dem Vorplatz des Pima County Superior Court statt. Der Ort wurde nicht zufällig ausgewählt.
"Ich bin schockiert und wütend über das Urteil dieses Gerichts", sagt Hobbes, und zeigt auf die verglaste Front des imposanten Gebäudes. Genau zwei Wochen ist es her, dass die Richterin Kellie Johnson hier ein Gesetz hat gelten lassen, das den Abbruch einer Schwangerschaft in ganz Arizona zur Straftat macht. Über 150 Jahre ist die Regelung alt, sie stammt aus der Zeit als Arizona noch ein "Territorium" der USA war und noch kein eigener Bundesstaat. Es ist ein Gesetz "aus einer Ära, in der Frauen noch nicht mal das Recht hatten, zu wählen", erinnert die Demokratin Hobbs.
Das Urteil der Richterin Johnson ist in Arizona besonders schockierend, denn Arizona ist nicht etwa einer der tief konservativen Bundesstaaten im amerikanischen Süden, bei denen die Einschränkung der Abtreibungsrechte nach dem Urteil des Obersten Gerichtshofes diesen Sommer vorprogrammiert war. Arizona ist ein sogenannter "Swing State", bei der letzten Präsidentschaftswahl waren seine Wähler:innen hier maßgeblich für den Sieg der Demokraten verantwortlich. Biden gewann jedoch mit gerade einmal 10.000 Stimmen in einem Staat mit über sieben Millionen Menschen.
In wenigen Regionen der USA stehen sich momentan so gegensätzliche politische Kräfte gegenüber wie in Arizona. Sämtliche Kandidat:innen der Republikaner, die bei den am 8. November stattfindenden Wahlen für Ämter im Staat antreten, bekennen sich zu der Verschwörungstheorie, dass die Wahl von 2020 gefälscht wurde. Die "Big Lie" hat sich in Arizona besonders gehalten, wohl auch deshalb, weil hier, nachdem die Ergebnisse anderswo bereits klar waren, noch Stimmen ausgezählt wurden.
Kari Lake ist die Kontrahentin von Katie Hobbs im Rennen um den Gouveneursposten des Staates. Lake, eine ehemalige Fernsehjournalistin, die lange Zeit als Demokratin registriert war, wird gerne als potenzielle Nachfolgerin von Donald Trump gehandelt. Mit einer verhältnismäßig winzigen Wahlkampfkasse und ohne nennenswerte Unterstützung ihrer eigenen Partei schaffte es Lake, ihre weitaus moderateren Gegenkandidaten in der Vorwahl auszuschalten.
Auch Lake bekennt sich zum konspirativen Flügel der GOP ("Grand Old Party", Republikaner-Partei), und scheut weder die Nähe zu Rechtsextremisten noch zu Anhänger:innen der Q-Anon Verschwörungstheorie. Dass die Richterin Kellie Johnson im Alleingang die Abtreibung illegal machte, begrüßt Lake, kürzlich nannte sie noch Personen, die eine Schwangerschaft abbrechen, "Mörder" und "Henker."
In Arizona steht derzeit noch mehr auf dem Spiel, als die politische Zukunft dieses schnell wachsenden Staates im Südwesten der USA. Mit Mark Finchem hat die Republikanische Partei einen Kandidaten für das Amt des "Secretary of State" in Arizona, eine Mischung aus Innenminister und Vize-Gouverneur, ins Rennen geschickt, der im Umfeld der "Stop the Steal" Aktivist:innen als besonders entschlossen gilt.
Gewinnt Finchem im November gegen den Demokraten Adrian Fontes, bedeutet das aller Wahrscheinlichkeit auch, dass die Auszählungen der Stimmen bei der nächsten Präsidentschaftswahl unter seiner Aufsicht geschehen werden. Damit hätten dieselben Kräfte die Aufsicht über den Wahlprozess, den sie seit bald 2 Jahren versuchen zu delegitimieren. Es ist nicht auszuschließen, dass die Ergebnisse in Arizona auch 2024 wieder knapp ausfallen werden.
Zudem könnte sich in Arizona im November entscheiden, ob die Demokratische Partei die Mehrheit im Senat beibehalten kann. Im Gegensatz zum Abgeordnetenhaus gibt es hier für Joe Bidens Partei noch eine Chance auf den Machterhalt. Der republikanische Anwärter auf den Senatoren-Posten, Blake Masters, steht dem rechten Tech-Investor Peter Thiel nahe und fällt immer wieder mit rassistischen Äußerungen gegenüber Schwarzen und Latinos auf. Trotzdem liegt er in den meisten Umfragen nur wenige Punkte hinter dem Amtsinhaber Mark Kelly.
Auf der Pressekonferenz vor dem Gerichtshof in Tucson spricht die Demokratin Katie Hobbs von den Konsequenzen, die der vollkommen unerwartete Gerichtsspruch der örtlichen Richterin jetzt schon nach sich zog: Einer 14-Jährigen wurde durch eine Apotheke die Herausgabe eines lebensnotwendigen Medikaments für ihre Arthritis verweigert, da dieses theoretisch auch für die Einleitung einer Abtreibung genutzt werden könnte. Hobbs erzählt auch von ihrer eigenen Erfahrung nach einer Fehlgeburt, und dem medizinisch eingeleiteten Schwangerschaftsabbruch, der ihr einst das Leben gerettet hat.
Für ihre eigenen Positionen finden die Demokraten an diesem sonnigen Freitag in Tucson nur wenig Zeit. Wie auch anderswo haben Mark Kelly, Katie Hobbs und die anderen Kandidat:innen der Partei genug damit zu tun, die Vorstöße ihrer politischen Gegner zu kontern. Ob das im November ausreicht, wird sich zeigen.