US-amerikanische Sozialpolitik – gibt’s denn so was?

Leon Gerleit

Foto: Weißes Haus/gemeinfrei

Das Mammut-Projekt: Der 1,2 Billionen US-Dollar-Infrastrukturplan und seine sozialpolitischen Konsequenzen. Sanders will wieder an ein gerechtes Amerika glauben

Die Demokratische Partei macht sich bereit, das soziale Netz der amerikanischen Gesellschaft etwas enger zu zurren, sowohl mit als auch ohne die von Biden so beschworene zweiparteiliche Einigkeit. Auch zeigt die Sozialpolitik, wie weit der "progressive" und der "moderate" Flügel innerhalb der demokratischen Partei bisweilen voneinander entfernt sind.

Es kommt nicht allzu oft vor, dass die beiden großen Parteien in den USA dazu bereit sind, ein gewisses Maß an Einigkeit zu demonstrieren. Zurzeit hat es tatsächlich den Anschein, als wäre die US-Bundesregierung in der Lage, Innenpolitik zu betreiben.

Am vergangenen Dienstag erfüllte sich der Traum des Präsidenten. Der Senat beschloss nach monatelangen Verhandlungen in seltener Einigkeit (69-30 Stimmen), mit Stimmen aus dem demokratischen wie auch aus dem republikanischen Lager, einen Gesetzentwurf zur Finanzierung der US-amerikanischen Infrastruktur mit einem Budget von 1,2 Billionen Dollar.

Der New-Deal: Mehr als der Ausbau von Transportwegen

Die Finanzspritze war bitter nötig, denn die amerikanischen Brücken, Dämme und Straßen sind vielerorts in einem so katastrophalen Zustand, dass sie schon vor Jahren ein leichtes Ziel für den Spott so mancher Late-Night-Shows abgaben.

Präsident Bidens neuer "New-Deal" geht allerdings weit über den Erhalt von Transportwegen hinaus. Die "Infrastructure bill" enthält Reglungen für Crypto-Währungen, soll mehr Amerikanern den Zugang zu Breitband-Internet erleichtern und Einführung elektrischer Schulbusse ermöglichen. Zudem soll das neue Gesetz endlich das Problem rassistischer Diskriminierung durch infrastrukturelle Benachteiligung von marginalisierten Gruppen angehen.

Der politische Preis

So weit, so gut. Allerdings hat ein solch klares von zwei Parteien getragenes Abstimmungsergebnis auch seinen Preis. So sind einige der sozialgesetzlichen Regelungen, die dem Gesetzentwurf einst anhafteten, wohl den Verhandlungen mit den Republikanern zum Opfer gefallen.

Die größte Niederlage für alle, die auf mehr Sozialstaat hoffen, ist die Streichung/Kürzung der angestrebten Hilfen (in Höhe von 400 Millliarden US-Dollar!) für die Pflege von Alten und Menschen mit Behinderung.

Dem progressiven Flügel der Demokraten dürfte das sauer aufstoßen, ganz zu schweigen von einer Änderung im Gesetzentwurf bezüglich der entstehenden Mehrkosten. Noch vor Kurzem hatte Joe Biden behauptet, er wolle das Geld durch eine Erhöhung der Gewerbeertragsteuer aufbringen.

Nun sollen die Gesetzgeber auf anderen Wegen, wie etwa via Einführung neuer Gebühren für sogenannte "Superfunds" und die Umleitung von schon genehmigten Geldern zur Bekämpfung der Covid-Pandemie, das Geld auftreiben, das ein solch ehrgeiziges Projekt finanziell benötigt.

Um den progressiven Flügel zu befrieden und andere, den Demokraten nicht ganz unwichtige, politische Ziele doch noch zu erreichen, beschloss die Partei am vergangenen Mittwoch, im Rahmen einer Budgetfestlegung im Senat, die ansonsten im Senat vorgeschriebene 60 Stimmen-Mehrheit, und damit die Republikaner, zu umgehen.

Die Budgetfestlegung ist zwar kein Gesetz, ermöglicht allerdings immerhin 3,5 Billionen US-Dollar für solch hehre Ziele wie die Bekämpfung des Klimawandels, eine Reform der Immigrationspolitik und für universelle Vorschulbetreuung.

Bernie Sanders: Wieder an ein gerechtes Amerika glauben

Der Vorsitzende des Komitees und "progressive-leftist-poster-boy", Bernie Sanders, erklärte "ein solches Programm würde nicht nur Kindern, ihren Eltern und den Alten helfen, sondern auch den Menschen ermöglichen, wieder an ein Amerika zu glauben, dessen Regierung für alle und nicht nur für einige wenige arbeite".

Der republikanische Minderheitenführer Senator Mitch McConnell zeigte sich entsetzt über die Spendierfreudigkeit der Demokraten und mahnte, "das rücksichtslose Besteuern und die hohen Ausgaben werden wie ein Hammer auf die Mittelschichtsfamilien darnieder kommen".

Trotz dieser altbekannten republikanischen Skepsis gegenüber jeglicher Sozialpolitik und der Tendenz, sich stattdessen auf komplett widerlegte Modelle wie "trickle-down economics" zu stützen, hatte allerdings auch McConnell für den Infrastrukturplan gestimmt. Es sollte dem selbsternannten Sensenmann des Senats zugutegehalten werden, dass er sich durch diese Stimmabgabe gegen den Willen des Ex-Präsidenten und zukünftigen republikanischen Präsidentschaftskandidaten Donald Trump durchzusetzte.

Vielleicht ist damit eine Art Präzedenzfall geschaffen, der es in Zukunft mehr Republikanerinnen erlaubt von der Linie Trumps abzuweichen. Besagter Ex-Präsident reagierte vorhersehbar und prompt mit persönlichen Angriffen auf Mitch McConnell.

Sprengstoff für die Demokraten im Mammut-Projekt

Die Demokraten könnten sich darüber freuen, dass auf der anderen Seite des Senats zumindest dieses eine Mal die Vernunft über Trump gesiegt hat. Doch hat die Demokratische Partei selbst mehr als genug damit zu tun, ihre Partei zusammenzuhalten. Der neue Budgetplan ist bisher wenig detailliert und stellt eher eine Ansammlung größere Themenbereiche dar, die von verschiedenen Komitees ausgearbeitet werden müssen.

Das Mammut-Projekt soll sich mit Kindererziehung, Bildung, Ausbildung und Produktion auseinandersetzen: genug Sprengstoff also für eine heftige Debatte zwischen progressiven und moderaten Demokraten.

Die bevorstehenden Verhandlungen um die einzelnen Punkte im Budget werden zeigen, in welche Richtung sich die Partei entwickelt. Sanders, der "Sozialist" und Konterpart zu Biden, ist inzwischen Vorsitzender des Budgetkomitees und es wird sich zeigen, ob er in diesem Amt die Position der Progressiven in der Partei wirklich stärkt. Totschweigen wie früher lässt sich der "linke" Flügel jedenfalls nicht mehr.

Schade, dass diese Debatten wahrscheinlich mit weniger Öffentlichkeit geführt werden als es vielleicht im Senat der Fall gewesen wäre, aber dank dem "Filibuster" bleibt den Demokraten keine andere Wahl, als auf die Budgetverhandlungen auszuweichen, sollten sie einmal ohne Republikaner regieren wollen.

Warum sie die antiquierte Regelung nicht abschaffen, bleibt allerdings rätselhaft. Denn eine Regelung, die bei großen Entscheidungen eine Zweidrittelmehrheit nötig macht, kann in einem Zwei-Parteien-System zu politischem Stillstand führen.

Da Budgetfestlegungen von diesen Regelungen ausgeschlossen sind, ist es nicht unüblich, dass im Grunde hier die politischen Ziele der jeweils regierenden Partei durchgesetzt werden. Demokrat Chuck Schumer beschreibt diesen Kurs als zweigleisig, es gibt also einen Teil der politischen Agenda, der mit den Republikanern, und einen zweiten, der zwischen Demokraten verhandelt werden muss.

Und so ist es schwierig, in einem Zwei-Parteien-System Politik zu machen. Erst recht, wenn die Parteien auf einmal Flügel bekommen und diese sogar Ansprüche stellen. Während die Republikaner sich dem radikal rechten Trump-Loyalisten-Flügel relativ bedingungslos verschrieben haben, gerät auch das Demokratische Establishment in Bedrängnis.

Der progressive Flügel

Denn selbst große Projekte wie das Infrastrukturgesetz können nicht darüber hinwegtäuschen, dass der progressive Flügel auf nationaler Ebene die politische Diskussion bestimmt. Biden war der anti-Trump Kandidat, der vor allem durch Schützenhilfe des Partei-Establishments und trotz der Verzweiflung vieler linker Demokraten an die Macht kam.

Zwar hat die Pandemie den Moderaten und dem Partei-Establishment eine Art Verschnaufpause beschert, kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, welche Themen während des Wahlkampfes eine Rolle spielten. Es waren die Diskussionen zwischen Elizabeth Warren und Bernie Sanders, die vielen Menschen in den USA die Hoffnung gaben, eine sozialere Politik sei eventuell doch möglich.

Unter Biden gibt es freilich keine Hoffnung, dass Großkonzerne wie Google ernsthaft besteuert, geschweige denn zerschlagen würden.

Außerdem ist kaum zu erwarten, dass die durch und durch kapitalistische Demokratische Partei auf einmal transformative oder gar sozialistische Politik in die Tat umsetzt. Im Gegenteil: Es steht zu befürchten, dass die ehemals so progressiven politischen Kräfte, die in den demokratischen Vorwahlen freigesetzt wurden und von Persönlichkeiten wie Bernie Sanders und Ocasio-Cortez verkörpert werden, durch Eingliederung ins Establishment ausgebremst werden.

Dennoch gilt: Sollten sich die progressiven Demokraten in den einzelnen Komitees zur Budget-Verteilung durchsetzen, könnte die Demokratische Partei vielleicht im Laufe der nächsten Jahre an Profil gewinnen. Genau wie die amerikanischen Dämme, Brücken und Straßen hätte sie eine Renovierung bitter nötig.