USA: Antirassismus in Katerstimmung

Ibram X. Kendi. Bild (2021): Stephen Voss / CC BY-SA 2.0 Deed

Ibram X. Kendi ist eine prominente Stimme des neuen Antirassismus. Nun steht sein Forschungsinstitut an der Universität Boston in der Kritik: Zu wenig Ergebnisse.

Ibram X. Kendi hat einen Traum. In seiner Stellungnahme zur Entlassung von 19 der 36 Mitarbeiter seines Center for Antiracist Research (CAR) an der Boston University (BU) beklagte er Mitte September, schwarze und weibliche Führungspersonen würden mit anderen Maßstäben gemessen.

Er aber "möchte in einer Welt leben, in der alle Leiter neuer Organisationen die nötige Zeit erhalten, um Fehler zu machen, zu lernen und zu wachsen".

An welche Fehler er dabei denkt, ist unklar, aber die Universität bemüht sich derzeit, das herauszufinden. Die Entlassungen sind nicht das einzige Anzeichen für Probleme am CAR. Schon länger klagen aktuelle und ehemalige Mitarbeiter über ein schlechtes Betriebsklima, mangelnde interne Strukturen und einen stiefmütterlichen Umgang mit Fördergeldern.

"Die Anhäufung von Fördermitteln ohne jede ernsthafte Absicht, die entsprechende Forschung zu produzieren, ist weiterhin Standardverfahren", zitiert der Boston Globe aus einer E-Mail der seinerzeit am CAR beschäftigten Professorin Saida Grundy im Dezember 2021 an die Universität.

Nach Einschätzung von Philippe Copeland, BU-Professor und ehemals am CAR beschäftigt, ist Kendi mit seiner Führungsaufgabe überfordert.

Sie haben all diese Energie (der Proteste von 2020) genommen, einen Prominenten eingestellt und ihm jede Menge Geld und Macht gegeben. (…) Für dieses Scheitern ist die BU verantwortlich.

Philippe Copeland

Spencer Piston, ebenfalls BU-Professor und CAR-Mitarbeiter, resümiert, das Center sei "vollkommen an der Aufgabe gescheitert, sein Versprechen einzulösen", und "eine kolossale Verschwendung von Millionen Dollar.

Dem Boston Globe zufolge haben sich seit Bestehen des Instituts mehr als ein halbes Dutzend Mal Mitarbeiter schriftlich über die Betriebskultur und Handhabung von Fördergeldern beschwert. Die Boston University hat offiziell bestätigt, dass sie den Vorwürfen in einer internen Untersuchung nachgeht.

Schwindende Einnahmen, steigende Kosten

Kendi bezeichnete die Entlassungen als schmerzhaften, aber unausweichlichen Schritt, um den langfristigen Fortbestand des Centers sicherzustellen. Das ist wirtschaftlich gesehen schlüssig.

Zwar ist die Einrichtung keineswegs pleite; der Großteil der rund 55 Millionen US-Dollar, die es seit 2020 an Fördermitteln eingenommen hat, ist noch da. Doch die Ausgaben sind kontinuierlich gestiegen, während die Einnahmen drastisch zurückgingen.

Unmittelbar nach der Gründung, im Fiskaljahr 2020/2021, nahm das CAR rund 45 Millionen US-Dollar ein, darunter 10 Millionen vom Twitter-Mitbegründer Jack Dorsey und eine anonyme Einzelspende von sogar 25 Millionen US-Dollar.

Im zweiten Jahr blieben die Gesamteinnahmen bereits unter 10 Millionen US-Dollar. Im dritten erreichten sie nicht einmal mehr eine halbe Million. Die Ausgaben waren unterdessen auf sieben Millionen US-Dollar angestiegen.

Aktionismus im Antirassismus-Boom

Das Versiegen der Einnahmen lässt erkennen, dass der Antirassismus-Boom seinen Zenit überschritten hat, den die Bilder des Mordes an George Floyd durch den Polizeibeamten Derek Chauvin im Mai 2020 ausgelöst hatten.

Das weitverbreitete Bedürfnis nach greifbaren Fortschritten bei der Gleichstellung der Schwarzen brachte seinerzeit einen getriebenen, teils hysterischen Aktionismus hervor. US-Bürger, die sich den Rassismus in der Gesellschaft vorknöpfen wollten, machten Kendis 2019 erschienenes Buch "How to be an Antiracist" zum Mega-Bestseller – dem zweiten zum Thema neben Robin DiAngelos "White Fragility" (deutsche Ausgabe: "Wir müssen über Rassismus sprechen") – und ihn zum Star.

Unternehmen und öffentliche Einrichtungen aller Art standen unter Zugzwang, Engagement gegen Rassismus zu zeigen. An den links dominierten Universitäten kam der Handlungsdruck vor allem von innen.

In diesem Umfeld warb die Boston University Ibram X. Kendi an, das neu zu gründende Center for Antiracist Research zu leiten. Dass dessen kleinerer Vorläufer, Kendis 2017 gegründetes Antiracist Research and Policy Center (ARPC) an der American University, kaum Ergebnisse vorzuweisen hatte, störte im Rausch des Augenblicks weder die Universitätsleitung noch Kendi selbst.

Und während beide nichts dafür können, dass Gelder für antirassistische Initiativen nicht mehr so sprudeln wie 2020, könnte das CAR möglicherweise auch 2023 erfolgreicher um neue Spenden und Fördermittel werben, wenn der Output hier nicht ähnlich dünn gewesen wäre wie zuvor am ARPC.

Magere Ergebnisse

Zu den Vorhaben des CAR gehörte unter anderem die Einrichtung eines "Racial Data Tracker", der die größte verfügbare Datenbank zur sozialen Ungleichheit zwischen ethnischen Gruppen in den USA werden sollte.

"Datenwissenschaft wird eine tragende Säule unseres Centers sein", kündigte Kendi 2020 gegenüber dem Boston Globe an. Umgesetzt wurde nur ein "COVID Data Tracker", der Daten zur ungleichen Betroffenheit vom Coronavirus erfasste – und das auch nur bis Frühjahr 2021. Seither ist in Sachen Data Tracker nichts passiert.

Bei den wissenschaftlichen Publikationen sieht es ähnlich aus. Veröffentlicht wurden lediglich ein Policy Paper und eine Sammlung von Essays, beide im Sommer 2022. Ein Buchfestival, das einmal im Jahr antirassistische Autoren zusammenbringen sollte, wurde 2021 und 2022 virtuell abgehalten und fand 2023 gar nicht mehr statt.

Die ursprünglich angekündigte Entwicklung eines antirassistischen Graduiertenprogramms, eines der wichtigsten Projekte des CAR, trug nie Früchte. Immerhin: Das vom Center betriebene Onlinemagazin The Emancipator hat Journalismuspreise gewonnen und ist noch aktiv.

Populisten der Critical Race Theory

Mit seiner geringen Produktivität steht das CAR in scharfem Kontrast zu derjenigen Kendis. Seit "How to be an Antiracist" erschienen von ihm zu viele Bücher, um hier alle aufzuzählen; vielfach Variationen seines Bestsellers.

Dazu gehören "Antiracist Baby", "How to Raise an Antiracist", "Goodnight Racism", "How to be a (Young) Antiracist" , "The (Young) Antiracist’s Workbook" und "Be Antiracist". Kendi ist ein gefragter und hochdotierter Redner. Im September ist seine TV-Serie über Rassismus im Sport gestartet. Im November erscheint der Film "Stamped from the Beginning", der auf dem gleichnamigen Buch Kendis beruht und an dessen Drehbuch er mitgearbeitet hat. Er ist außerdem Familienvater.

Neben seinem Mangel an Führungsqualitäten und freier Zeit lässt ihn auch seine inhaltliche Arbeit nicht gerade als Idealkandidat für die Leitung eines Forschungsinstituts erscheinen. In seinen Texten zeigt er sich vor allem als Meister der Zuspitzung; oder weniger wohlwollend: der holzschnittartigen Verkürzung. Darin ähnelt sein Erfolgsrezept dem von Robin DiAngelo.

Die Hauptinspiration beider kommt von der Critical Race Theory – vor allem die Annahme, dass Rassismus ein alles durchdringendes Strukturprinzip der Gesellschaft sei, weshalb es nicht genüge, nicht rassistisch zu sein, und man "aktiv antirassistisch" sein müsse.

Das wiederum bedeute ein ständiges Bemühen, den allgegenwärtigen Rassismus aufzudecken und sich ihm entgegenzustemmen. Doch während die Schriften der Critical Race Theory im engeren Sinn eher sperrig-akademisch daherkommen, haben DiAngelo und Kendi ihre Kernideen massentauglich gemacht.

So ist für Kendi jede Ungleichheit zwischen ethnischen Gruppen Rassismus. Schneiden schwarze Schüler in Tests schlechter ab, sind die Tests rassistisch. Rassismus wiederum entstehe durch Gesetze und Politik. So wie ein Mensch nicht nicht rassistisch sein könne, sondern nur rassistisch oder antirassistisch, gelte das Gleiche für Gesetze.

Wenn ein Gesetz die Ungleichheit zwischen ethnischen Gruppen vergrößere, sei es rassistisch; wenn es sie verkleinere, antirassistisch. Kendi geht davon aus, dass sich das jeweils messen und vorhersagen lasse. Wie beispielsweise ein Gesetz einzuordnen wäre, das manchen Schwarzen nützt und andere benachteiligt, bleibt offen.

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