USA: Bidens Klimahimmel und Polizeigewalt gegen Umweltaktivisten
Proteste in Minneapolis, 21. Januar 2023. Bild: Chad Davis/CC BY 2.0
Räumung eines Waldes in Atlanta: Polizei geht mit tödlicher Gewalt gegen Proteste vor; wilder Mix an Taktiken der Aktivisten gegen Bau des Anti-Aufstand-Schulungszentrums "Cop City"; exzessive Strafandrohungen.
Das Kernstück Joe Bildens Regierungsprogramm war das Versprechen, gemeinsam mit dem Kongress Anreize für saubere Energie auf den Weg bringen, die Klimakrise in Angriff zu nehmen und Arbeitsplätze in den Sektoren grüner Energien zu schaffen.
Bidens heller Himmel: Klimapolitik mit Anreizen
Glaubt man Bidens Rede zur Lage der Nation [1], hält er Wort. Und tatsächlich gelten die von der aktuellen Regierung verabschiedeten Regulierungen – und vor allem Anreize zur Energiewende – als die umfassendste Maßnahme zur Bekämpfung des Klimawandels, die jemals von einer US-Regierung verabschiedet wurden.
In den ersten drei Monaten nach Inkrafttreten der Maßnahmen haben Unternehmen Investitionen in saubere Energie in Höhe von mehr als 40 Milliarden Dollar angekündigt [2]. Dabei handelt es sich um Projekte zur Gewinnung von Strom aus Wind und Sonne und zum Bau oder Ausbau von Fabriken, die Sonnenkollektoren, Windturbinen, modernen Batterien und Elektroautos herstellen. Im Januar wurden weitere 11,4 Milliarden Dollar angekündigt. Damit beläuft sich die Gesamtsumme auf mehr als 51 Milliarden Dollar.
Die demokratische Partei sieht sich also in Hinsicht Energiewende und Klimapolitik auf dem richtigen Pfad. Aber während Joe Biden noch vor dem jetzt gespaltenen Kongress seine Erfolge in Bezug auf Klimapolitik aufzählte, zogen sich am Horizont bereits schwarze Wolken zusammen. Diese waren streng genommen schon einige Tage vor Bidens Rede am Himmel von Ohio zu sehen.
Giftiger Himmel über Ohio
Der Grund für die riesige schwarze Rauchsäule war eine Zugentgleisung am 4. Februar 2023 [3], die zu einer katastrophalen Luftverschmutzung geführt hat. Von den etwa 50 entgleisten Waggons enthielten zehn gefährliche Stoffe, darunter das leicht flüchtige farblose Gas Vinylchlorid.
Das Einatmen von Vinylchlorid-Dämpfen kann zu gesundheitlichen Problemen wie Schwindel, Übelkeit, Kopfschmerzen, Atemproblemen und langfristigen krebserregenden Auswirkungen führen. Die Giftstoffe sind nun längst in den Boden und den Ohio River gelangt, was die Nutzung von lokalem Trinkwasser erst einmal unmöglich macht.
Wie Abc News berichtet, läuft die kontrollierte Freisetzung und Verbrennung des Vinylchlorid [4] laut Behörden "wie geplant" und die Einwohner durften schon am 8. Februar wieder in ihre Häuser zurückkehren, auch wenn viele Angst vor eventuellen Langzeitfolgen haben.
Personaleinsparungen
Ein Grund für den katastrophalen Unfall könnten die Personaleinsparungen der Eisenbahngesellschaften gewesen sein. Greg Regan, Präsident der Gewerkschaftskoalition AFL-CIO-Koalition für das Transportgewerbe, erklärte, dass die Wahrscheinlichkeit katastrophaler Entgleisungen zunehme, weil die großen Güterbahnunternehmen in den vergangenen sechs Jahren etwa ein Drittel ihrer Mitarbeiter entlassen hätten.
Die Unternehmen sind dazu übergegangen, weniger und längere Züge fahren zu lassen und behaupten daher, weniger Mitarbeiter, Mechaniker und Lokomotiven zu benötigen. Für die Inspektoren wird die Arbeit damit aber nicht weniger, sondern im Gegenteil: Die Prüfung wird umfangreicher, weil die Züge eben länger und damit die Wartung erschwert wird.
Ob nun Joe Bidens Rede oder die schwarze Giftwolke am Horizont eher dem Zustand der Nation entspricht, ist eine Frage der Perspektive.
Feststeht, dass es einen meilenweiten Unterschied zwischen einer Klimapolitik gibt, die sich ausschließlich auf wirtschaftliche Anreize stützt und einer, die, falls nötig, die Freiheiten von US-Konzernen einschränkt [5], um die Allgemeinheit zu schützen.
Ein anderer Aspekt stimmt da nachdenklich: Die Verfolgung derer, die sich gegen die Zerstörung ihrer direkten Umwelt wehren wollen, läuft auf Hochtouren.
Proteste: Stop Cop City
In Atlanta widersetzt sich derzeit das Bündnis Defend the Atlanta Forest/Stop Cop City [6] dem Bau eines Polizeiausbildungszentrums im Wald um Atlanta.
Zu den ökologischen Bedenken gegen "Cop City" gehören die Auswirkungen auf den Baumbestand und auf die Feuchtgebiete von Atlanta sowie die zunehmende Luft- und Lärmbelastung in den überwiegend von Schwarzen und der Arbeiterklasse bewohnten Vierteln.
Die Bewegung besteht aus einer breiten Koalition von Menschen, die sich für die Rechte der Schwarzen Bevölkerung und indigener Völker und für die Umwelt einsetzen.
Bisher haben die Aktivisten friedliche Proteste, Baumbesetzungen, aber auch andere Taktiken wie das Hineintreiben von Stacheln in einen Baum, um die Arbeit von Holzfällern zu erschweren oder zu verhindern (Treespiking [7]), eingesetzt, um den Bau des geplanten Polizeitrainingsgeländes zu stoppen.
Allerdings ist die Bewegung extremer Repression durch die Strafverfolgungsbehörden ausgesetzt. Zuletzt wurde während einer Razzia Esteban Paez Terán mit mehreren Schüssen [8] von der Polizei getötet. Und nun werden 19 Aktivistinnen und Aktivisten, die sich an den Aktionen gegen die Rodung des Waldes beteiligt haben, sogar wegen "Terrorismus" angeklagt.
Mögliches Strafmaß von 35 Jahren Gefängnis
Die Anklage sieht ein mögliches Strafmaß von 35 Jahren Haft vor und wird von Kritikern als Versuch der Polizei gewertet, den zukünftigen Einsatz von militärischen und chemischen Waffen gegen die Demonstranten zu rechtfertigen.
Auch ist relativ klar, dass die Anklage von politischen und wirtschaftlichen Interessengruppen beeinflusst wurde, die die Demonstranten seit über einem Jahr als "Öko-Terroristen" bezeichnen.
Das Gesetz, aufgrund dessen die Demonstranten angeklagt werden, ist weit gefasst, vage und stützt sich auf den Tatbestand "der Zerstörung kritischer Infrastrukturen mit der Absicht, das Verhalten der Regierung zu beeinflussen". Bisher jedoch hat das Gesetz, seit seiner Verabschiedung im Jahr 2017, noch zu keiner einzigen Verurteilung geführt.
Ob die rigorosen Repressionen sich auszahlen, bleibt abzuwarten. Wie eine Aktivistin der Publikation Intercept gegenüber erklärte, "sei die Bewegung mit jedem Angriff der Polizei nur noch stärker [9] geworden".
Tatsächlich muss man sich fragen, warum die Polizei mit solch tödlicher Härte gegen Umweltschützer vorgeht. Vielleicht fühlen sich die Beamten persönlich angegriffen, weil die Aktivisten den Bau ihrer Übungskulisse verhindern wollen.
Schulung zur Niederschlagung bewaffneter Aufstände
Der Plan für "Cop City" sieht nämlich ein urbanes Trainings- und Schulungsgelände [10] vor, das die Polizei von Atlanta anscheinend dringend benötigt, um den Häuserkampf und andere "Counterinsurgency"-Taktiken [11] zu proben.
In den USA wird die Polizei seit den 1970er-Jahren im In- und Ausland [12] ausgebildet, um mögliche bewaffnete Aufstände effektiv niederzuschlagen. Es ist genau diese Art militarisierten Trainings, das eine Polizeikultur prägt, die zu Einsätzen wie in Atlanta führt und den Tod von Menschen, die es wagen sich zu widersetzen.
Dass die Behörden nervös sind, liegt sicherlich auch daran, dass der wilde Mix an Taktiken - von direkten Aktionen gegen die Stadtregierung und Bauunternehmer, Attacken gegen die Polizei gepaart mit einer Bandbreite an Sabotageakten - sehr an die militante Umweltbewegung der 1990er-Jahre erinnert. Immerhin gehörten die Umweltschützer-Gruppen historisch zu den militantesten Aktivisten in den USA.
Radikalisierung
Während der Neunzigerjahre sorgten Gruppen wie die Earth Liberation Front [13] regelmäßig für Schlagzeilen.
Und nun, als es gerade so wirkte als wären die letzten Überreste des militanten Untergrunds der Umweltschutzbewegung in den USA beseitigt worden, beginnen sich ihre Nachfolgeorganisationen zu radikalisieren.
Womöglich hat also die Polizei tatsächlich Grund zur Sorge, neue Antworten hat sie jedenfalls nicht und setzt weiterhin auf ein hohes Level an Gewalt und Repression. Das kann allerdings nach hinten losgehen.
Nach der brutalen Razzia mit Todesfolge fanden im ganzen Land und weltweit Solidaritätsaktionen wie Mahnwachen, Abwürfe von Transparenten und Proteste statt, um die Menschen zu unterstützen, die sich dort im Wald um Atlanta gegen die Willkür eines Staates wehren, dessen Antwort immer nur noch mehr Gewalt zu sein scheint.
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Links in diesem Artikel:
[1] https://www.youtube.com/watch?v=gzcBTUvVp7M
[2] https://eu.usatoday.com/story/opinion/2023/02/08/biden-sotu-clean-energy-incentives-working/11199425002/
[3] https://abcnews.go.com/Health/toxins-ohio-train-derailment-posed-deadly-threats-residents/story?id=96978394
[4] https://abcnews.go.com/Health/toxins-ohio-train-derailment-posed-deadly-threats-residents/story?id=96978394
[5] https://www.history.com/news/14th-amendment-corporate-personhood-made-corporations-into-people
[6] https://theintercept.com/2022/08/18/atlanta-cop-city-forest-abolition-environmentalism/
[7] https://www.allthingsnature.org/what-is-tree-spiking.htm
[8] https://www.aljazeera.com/news/2023/2/13/atlanta-police-shooting-of-activist-fuels-cop-city-controversy
[9] https://theintercept.com/2023/01/27/cop-city-atlanta-forest/
[10] https://stopcop.city/what-is-cop-city/
[11] https://jacobin.com/2019/12/badges-without-borders-stuart-schrader-policing-counterinsurgency
[12] https://theintercept.com/2023/02/02/memphis-police-israel/
[13] https://www.nytimes.com/2022/05/26/magazine/earth-liberation-front-joseph-mahmoud-dibee.html
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