USA: Nach den Wahlen ist vor dem politischen Stillstand
Seite 2: Rascher Niedergang der Arbeiterbewegung war entscheidend
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Die bedeutendste Entwicklung war jedoch der rasche Niedergang der Arbeiterbewegung, der in den 1970er Jahren begann. So heuerten Konzerne gewerkschaftsfeindliche Berater an, sprengten Gewerkschaften, indem sie Streikende entließen und sie durch andere Beschäftigte ersetzten oder widersetzten sich Versuchen der Carter-Administration, das Arbeitsrecht zu verschärfen. Um die Gründung von Gewerkschaften zu vermeiden, wurden manche Fabriken vom Norden in den Süden der USA oder gar ins Ausland verlegt, während es der durch legale und illegale Einwanderung verursachte Überschuss an ungelernten Arbeitskräften den Gewerkschaften erschwerte, Angebote für den Niedriglohnsektor zu organisieren oder Erfolge im Bausektor zu erzielen.
Zu Beginn des neuen Jahrtausends repräsentierten die Gewerkschaften nur rund zehn Prozent der Arbeiterschaft, während sie in vielen Bundesstaaten nicht mehr präsent waren. Anfang der 2000er Jahre führte die Konkurrenz durch China sowie die Attraktivität billiger mexikanischer Arbeitskraft dazu, dass selbst Kleinstädte oder mittelgroße Städte mit Produktionsbetrieben in Mitleidenschaft gezogen wurden. Dies sorgte wiederum für Ressentiments, die sich in erster Linie gegen die Demokraten richteten, da die Partei für Handelsabkommen mit China und Mexiko eingetreten war.
Zu Beginn des 21. Jahrhunderts hatte sich das alte Parteiensystem in Wohlgefallen aufgelöst. Die Demokraten hatten einen Großteil ihrer Unterstützung aus der weißen Arbeiterklasse verloren, und griffen stattdessen auf eine Koalition aus Afroamerikanern, Latinos, Asiaten sowie gehobenen Beschäftigten in den großen städtischen Zentren zurück, die zumeist im öffentlichen Dienst, bei Hightech-Dienstleistern oder gemeinnützigen Organisationen tätig sind.
Die Gewerkschaften hatten dabei geholfen, die Arbeiterschaft im Lager der Demokraten zu halten, selbst wenn sie in sozialen Fragen nicht einer Meinung waren. Mit dem Niedergang der Gewerkschaften verloren die Demokraten auch jene Wähler, die zu der Überzeugung gelangt waren, dass die Partei ihre Waffen konfiszieren oder die Grenze für illegale Einwanderung öffnen würde.
Mit dem Machtverlust der Gewerkschaften änderte sich auch die Stoßrichtung der Demokratischen Wirtschaftspolitik. So war die Partei zuvor für protektionistische Maßnahmen und Grenzkontrollen gegen illegale Einwanderung und Gastarbeiter eingetreten, da diese die Löhne drücken würden. Zudem befürworteten die Demokraten eine Deckelung von Vorstandsgehältern oder Steuererhöhungen für Reiche und Großkonzerne. Mit dem Machtverlust der Gewerkschaften verringerte sich jedoch auch die Unterstützung der Partei für Protektionismus, Einwanderungskontrolle oder Unternehmensregulierung, während sie signifikante Unterstützung aus dem Silicon Valley, der Wall Street oder Hollywood hinzugewinnen konnte.
Diese Parteispender waren oft glühende Unterstützer liberaler Zwecke oder von Umweltschutzmaßnahmen. In Sachen Parteispenden könnten diese Anhänger die durch den Niedergang der Gewerkschaften verursachten Verluste zwar wettmachen – allerdings zu einem politischen Preis. Denn im Laufe der Zeit verlor die Bezeichnung "liberal" ihren in der New-Deal-Ära geprägten wirtschaftspolitischen Fokus und wurde stattdessen mit Unterstützung für Abtreibung, gleichgeschlechtliche Ehe, Schusswaffenregulierung oder affirmative action gleichgesetzt.
Die Republikaner gewannen ihrerseits Anhänger bei den Farmern und zahlreichen kleineren und mittleren Unternehmen, insbesondere aus der Kohle- und Mineralölindustrie, die sich infolge Demokratischer Umwelt- und Klimaschutzbestrebungen zu glühenden Unterstützern der Republikanischen Sache entwickelten.
Außerdem konnten die Republikaner desillusionierte Arbeiter als Anhänger gewinnen, die den Demokraten seit Anfang der 1960er Jahre zunehmend den Rücken gekehrt hatten. Letztere Gruppe war überwiegend weiß, umfasste zuletzt jedoch auch immer mehr berufstätige Latinos. Im Ergebnis glich sich die Stärke der beiden Koalitionen immer weiter an. Während die großen Metropolregionen um Städte wie New York, Boston, Chicago, Los Angeles und San Francisco von den Demokraten kontrolliert werden, ist ein Großteil des Südens, der lange eine Bastion der Rassentrennung und des protestantischen Fundamentalismus war, Republikanisch geprägt, ebenso wie die landwirtschaftlich dominierten Gemeinden im Westen sowie das ländliche und kleinstädtische Amerika.
Würde die US-Verfassung die Macht strikt nach nationalen Mehrheiten verteilen, so wären die Demokraten den Republikanern zahlenmäßig überlegen. Doch da die Verfassung kleineren oder dünn besiedelten Bundesstaaten wie Wyoming oder North Dakota unverhältnismäßig große Macht zubilligt, ist jede der beiden Parteien zu einem bestimmten Zeitpunkt imstande, nationale Mehrheiten zu erzielen.
Die New-Deal-Demokraten, die bis 1968 die Regierung stellten, bezogen einen Großteil ihrer Anziehungskraft daraus, sich selbst als die Partei des "einfachen Mannes" zu verkaufen, während die Republikaner als Partei des Unternehmertums dargestellt wurden. Der Niedergang der Gewerkschaften und der Aufstieg des Silicon Valley innerhalb der Demokratischen Partei hat dazu geführt, dass viele Wähler in zahlreichen wirtschaftlichen Fragen kaum noch einen politischen Unterschied zwischen beiden Parteien erkennen können. Stattdessen definiert sich dieser Unterschied über die Haltung in sozialen Fragen wie Abtreibung oder Schusswaffenregulierung, was in gewisser Weise an die 1920er Jahre erinnert, als beide Parteien über ihre Unterstützung oder Gegnerschaft zur Prohibition definiert wurden.
Die Bedeutung der wirtschaftlichen Situation
Das dominierende Thema bei US-amerikanischen Wahlen ist immer noch die Wirtschaft, wobei Zuspruch für beide Parteien weniger konkreten wirtschaftlichen Erfolgen geschuldet ist, sondern vielmehr der Tatsache, ob sie zu einem Zeitpunkt wirtschaftlicher Prosperität oder einer ökonomischen Schieflage an der Macht waren. So ist die Biden-Administration allenfalls indirekt für die derzeitige Inflation verantwortlich, während Lieferkettenengpässe und der Anstieg der Öl- und Gaspreise im Zuge des Ukrainekrieges als eigentliche Ursache anzunehmen sind.
Doch falls die Demokraten die Wahlen im November verlieren sollten, dürfte dies größtenteils darauf zurückzuführen sein, dass die Wähler die Partei für die Inflation verantwortlich machen. Soziale Fragen dürften im Wahlkampf ebenfalls zum Thema werden. Unter dem Einfluss von Aktivisten haben beide Parteien Extrempositionen entwickelt, die den meisten US-Bürgern kaum zu vermitteln sind.
So konnten die Republikaner bereits davon profitieren, dass die Demokraten mit der Forderung nach einem Mittelentzug für die Polizei oder scheinbarer Gleichgültigkeit gegenüber illegaler Einwanderung in Verbindung gebracht wurden. Diese Themen werden auch im November eine Rolle spielen, ebenso wie die Unterstützung der Demokraten für eine bevorzugte Behandlung von Afroamerikanern bei Universitätszulassungen oder der Einstellung.
Den Republikanern dürfte ihrerseits ihre Ablehnung von Schwangerschaftsabbrüchen zu schaffen machen, die durch den Supreme-Court-Entscheid gegen den Präzedenzfall Roe v. Wade am 24. Juni 2022 erneute Aufmerksamkeit erfahren hat. Denn eine Mehrheit spricht sich gegen ein vollständiges Verbot von Abtreibungen aus. Der Gerichtsentscheid kippt derweil das unumstößliche Recht auf Schwangerschaftsabbruch und gibt interessierten Bundesstaaten damit freie Hand, Abtreibungen komplett zu verbieten.
All dies hat dazu geführt, dass sich die beiden Parteien seit dem Jahr 1980 an der Macht abgewechselt haben, je nachdem wie gut die Wirtschaft lief (auch wenn ihre jeweiligen Politiken nicht unbedingt etwas damit zu tun hatten) und je nachdem, welche sozialpolitische Extremposition beider Parteien im Vorfeld der Wahlen hervorstach. Letztlich bleiben die USA damit in einem Zustand gefangen, den der Politikwissenschaftler Walter Dean Burnham als "unstable equilibrium", als instabiles Gleichgewicht, bezeichnet hat. Daran dürfte sich im November kaum etwas ändern.
Aus dem Englischen von Angela Unkrüer
John B. Judis geb. 1941, Editor-at-Large bei Talking Points Memo, Autor des kürzlich erschienenen Werks "The Politics of Our Time: Populism, Nationalism, Socialism". Er arbeitet derzeit gemeinsam mit Ruy Teixeira an einem Buch mit dem Titel "Where Have All the Democrats Gone?"
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