USA: Wie Waffen, Abtreibung und Trump eine Wahl in Texas dominieren
Im südlichen Bundesstaat, der längst mehr bietet als Cowboyhüte und Öl, wird ein neuer Gouverneur gewählt. Geprägt ist der Wahlkampf von dem, was die Nation im Moment spaltet. Haben die Demokraten erstmals eine Chance?
Der Journalist Johannes Streeck reist in den nächsten Wochen für Telepolis durch die USA. Vor den wichtigen US-Kongresswahlen im November berichtet er aus einem zerrissenen Land, über Wahlkämpfe und über das, was den Amerikaner:innen unter den Nägeln brennt. In Reportagen geht es auch um die Auswirkungen von Ungleichheit und der Klimakrise auf die mächtigste Nation der Welt.
Austin, USA – Texas ist groß. Von der südlichsten Spitze an der Grenze zu Mexiko bis zum weitesten Zipfel im Nordwesten des US-amerikanischen Bundesstaates sind es fast 1.300 Kilometer. An seinem östlichen Ende teilt er sich Sumpflandschaften und Alligatoren mit Louisiana, im Westen erstreckt er sich weit in die karge Chihuahua-Wüste.
So sehr die alten Cowboy-Klischees zum Teil noch an diesem Staat zu haften scheinen, so divers und reich an Kontrasten ist die Realität. Die meisten der 28,6 Millionen Texaner:innen leben entgegen dem Ruf, dem ländlichen Raum verbunden zu sein, in den schnell wachsenden Metropolregionen des Staates. Ballungsräume wie Dallas, Houston und Austin locken mit großen Universitäten und gut bezahlten Stellen Menschen aus der ganzen Welt an. Neben der Erdölförderung und der Rinderzucht boomt hier mittlerweile vor allem die Tech-Branche.
Beto O’Rourke hat sich vorgenommen, so viel wie möglich von diesem großen Texas zu sehen. Der 49-jährige Demokrat kandidiert derzeit für den Gouverneurs-Posten und hat unter dem Motto "Drive for Texas" laut Angaben seines Wahlkampfteams fast 9.000 Kilometer in seinem Pickup Truck zurückgelegt. Er will die kleinen Städte und Gemeinden in den Mittelpunkt stellen, die von der Politik meist wenig Beachtung finden. O’Rourke stammt selbst aus El Paso, einer überwiegend mexikanisch geprägten Stadt an der westlichsten Spitze des Staates.
Die Gouverneursvilla ist O’Rourke aber keineswegs sicher, denn sie ist seit Mitte der 90er Jahre fest in der Hand der Republikanischen Partei. Auch im Repräsentantenhaus des Bundesstaates sowie bei den texanischen Abgeordneten für den US-Kongress in Washington D.C. sind sie in der Mehrheit.
Auf nationaler Ebene präsentierten sich die texanischen Republikaner als besonders entschlossene Verfechter der Trumpschen Politik. Sie bedienen Themen, die den rechten Rand der Partei mobilisieren: Nationalismus, Abtreibungsverbot, Anfeindungen gegen Einwanderer und andere Minderheiten.
Der derzeitige Gouverneur Greg Abbott hat unter dem Namen "Operation Lone Star" einen eigenen Sicherheitsapparat an der Grenze zu Mexiko aufgebaut. Die Region ist in den Augen mancher Anwohner durch den Einsatz der Nationalgarde zu einer militarisierten Zone geworden. Unter der Führung Abbots erließen die Republikaner im letzten Jahr ein Gesetz, mit dem Eltern von Trans-Kindern und Jugendlichen wegen Kindesmissbrauch angezeigt werden können, wenn sich ihre Kinder in Hormontherapie befinden.
Beto O’Rourke und die Demokratische Partei setzen auf den Missmut, den Abbots Politik bei vielen in Texas hervorruft. Während seine Partei mehr oder weniger geschlossen hinter ihm steht, kommt der Gouverneur in allgemeinen Umfragen aber nur auf knapp über 40 Prozent an Stimmen. Doch viele Demokraten sind der Überzeugung, dass allein der demographische Wandel in Texas ihnen in Wahlkämpfen in die Karten spielt. Weiße, meist konservativ wählende Schichten bilden schon seit 2019 die Minderheit im Bundesstaat. Darüber hinaus wachsen die überwiegend demokratisch wählenden Metropolregionen deutlich schneller als die eher konservativen Gemeinden auf dem Land.
Demokraten: Zwischen Aufbruch und Konservatismus
O’Rourke positioniert sich im Wahlkampf vor allem als Anti-Abbott. Er bezeichnet seinen republikanischen Kontrahenten als korrupt, unbarmherzig und radikal. Nach dem Massaker an 19 Grundschulkindern und ihren Lehrerinnen in der Kleinstadt Uvalde weigerte sich der Gouverneur in für Republikaner typischer Manier, die amerikanische Waffenlobby zu verurteilen. Er kommentierte kurz nach der Tat sogar, "es hätte ja noch schlimmer kommen können."
Seitdem ist Abbots Untätigkeit angesichts der Gewalt fester Bestandteil von O’Rourkes Reden auf seiner Wahlkampftour durch Texas. Zusammen mit einigen der Hinterbliebenen von Uvalde fordert er ein höheres Mindestalter für den Kauf der halbautomatischen Sturmgewehre, die immer wieder nicht nur in Uvalde Blutbäder in den USA anrichten.
Beto O’Rourke ist nicht zum ersten Mal Hoffnungsträger der texanischen Demokraten. 2018 gelang es ihm beinahe, dem langjährigen Senator Ted Cruz von den Republikanern den Job wegzunehmen. Das war damals schon ein nahezu historisches Ereignis angesichts der Überlegenheit der Republikaner.
So sehr sich O’Rourke vom rechten Abbot absetzt, so bemüht ist er gleichzeitig, sich vom linken Parteiflügel und dessen Forderungen zu distanzieren. Der ehemalige Immobilieninvestor hat es vor allem auf moderate Republikaner und Wechselwähler abgesehen. Auf seinem "Drive for Texas" hob er immer wieder ab auf die Bedeutung des Öl- und Gassektor für Texas. Vorwürfen von Seiten Abbotts, er sei der Polizei gegenüber feindlich eingestellt, kontert er regelmäßig mit übersteigerten Solidaritätsbekundungen Richtung Sicherheitskräfte, die bei Republikanern so beliebt sind.
Es ist die immer gleiche politische Gratwanderung zwischen Aufbruch und Konservatismus bei O‘Rourke, wie man sie zum Beispiel bei einer Wahlkampfveranstaltung im Ort Lockhart beobachten konnte. Dort forderte O‘Rourke keineswegs die Einschränkung des Waffenbesitzes, sondern lediglich den Besitz bestimmter Waffen. Ein Mann, der sich selbst als ehemaliger Republikaner bezeichnet, erzählt unter Tränen, dass er mittlerweile Angst habe, seine Kinder in die Schule zu schicken. Er besitze ja selber Gewehre, aber "keines davon hat mehr als fünf Schuss oder schießt mehr als dreihundert Meter weit."
O’Rourke versicherte dem Mann, dass er voll hinter dem zweiten Zusatzartikel der amerikanischen Verfassung steht, nachdem allen Amerikanern das Recht auf Waffenbesitz zusteht. Der Austausch wurde von O’Rourke’s Wahlkampfteam umgehend zu einem Werbeclip fürs Internet verarbeitet.
Folgt man den aktuellen Umfragen, wird auch diese Wahl für O’Rourke wie 2018 schon mit einer knappen Niederlage enden. Das Mobilisierungspotential der Demokraten wird der Kandidat aus El Paso aber fraglos wieder unter Beweis stellen können. Für viele in der Partei ist ohnehin klar, dass sie früher oder später in Texas wieder das Sagen haben werden, auch wenn es diesmal nichts werden sollte.
Dass der demographische Wandel aber nicht automatisch Wahlsiege für die Demokraten bedeutet, zeigt bereits der Umstand, dass derzeit zwei Kandidatinnen der Republikaner gute Chancen haben, Abgeordnetensitze im mexikanisch geprägten Süden von Texas zu erobern, der eigentlich Demokraten-Territorium ist. Beide sind Latinas aus der Region – und bekennende Unterstützer von Trump und Greg Abbott.