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USA und China: Chip-Krieg wird verschärft

KI-Anwendungen und hoch entwickelte Chipfertigungsanlagen werden wichtiger im geopolitischen Great Game. Wer schreibt die Spielregeln, der Staat oder die Tech-Giganten? Beide zusammen?

Wenn es eine letzte Bastion amerikanischer Größe gibt, dann ist es das Silicon Valley. Die amerikanische Technologieindustrie ist weltweit führend und Technologiegiganten wie Google, Amazon und Apple dominieren den Weltmarkt.

Doch unregulierte Monopolisierung und enge Verbindungen zum US-Militär und Sicherheitsstaat haben dazu geführt, dass die Macht der führenden Konzerne in den USA und anderswo längst nicht mehr so unkritisch gesehen wird wie früher. Der sogenannte Techlash [1] hat auch die Gerichte erreicht.

Wie eng die Vorherrschaft in der US-Technologieindustrie mit der Idee der US-Vorherrschaft verbunden ist, zeigt der anhaltende Streit zwischen den USA und China um die Vorherrschaft in der Halbleiterproduktion.

Wie das Nachrichtenportal Bloomberg [2] kürzlich berichtete, planen die USA, bestehende Maßnahmen gegen China zu verschärfen, um den Zugang zu fortgeschrittenen Halbleitern und Chipherstellern zu beschränken. Der Grund: In Chips integrierte KI-Systeme [3] sind entscheidend für neue Überwachungstechnologien, Supercomputer und Hyperschallraketen.

Das neue Great Game

Es handelt sich also um einen Zweig der Tech-Industrie, der von Washington als wesentlicher Teil des neuen Great Game um geopolitische Macht gegen China angesehen wird. Es liegt daher im Interesse der Biden-Administration, sowohl den Zugang Chinas zu ausländischer Technologie zu unterbinden als auch den technologischen Fortschritt Chinas in diesem Bereich zu behindern.

Die Biden-Regierung plant, den Verkauf von Grafikchips für Anwendungen der künstlichen Intelligenz sowie von hochentwickelten Chipfertigungsanlagen an chinesische Unternehmen strenger zu kontrollieren.

Tech-Industrie und Staat

Der Umgang mit der Tech-Industrie ist also Staatssache und immer auch ein Politikum, wie die jüngsten Prozesse gegen US-Tech-Konzerne in Europa zeigen. Amazon steht vor Gericht, die zuständige EU-Behörde wirft dem Konzern Verstöße gegen das Kartellrecht vor, auch gegen Apple läuft eine EU-Untersuchung. Französische Behörden haben kürzlich die Geschäftsräume von Nvidia nach Beweisen für Wettbewerbsverstöße durchsucht.

Kein Wunder, dass sich auch die Verbündeten der USA zuweilen zur Wehr setzen. Die Giganten der Tech-Industrie verkörpern die Hegemonialansprüche des US-Kapitals. Historisch gesehen haben die Großen der US-Industrie immer und überall gerne gegen die sogenannte "Rule-Based Order [4]" verstoßen, was für andere Regierungen beruhigend sein mag.

Vor allem, wenn man die Nähe zwischen der Tech-Industrie und dem amerikanischen Sicherheitsstaat betrachtet. Denn ob Militär, NSA oder andere Behörden, sie alle haben sich den sogenannten Überwachungskapitalismus zu eigen gemacht. Cory Doctorow hat das Verhältnis zwischen Staat und Tech-Industrie in den USA in einem Intercept [5] Artikel aufgearbeitet.

Konsolidierung der Technologieindustrie

In den frühen Tagen der Industrie habe es so etwas wie Wettbewerb gegeben. Dies änderte sich mit der Konsolidierung der Technologieindustrie. Das Internet schrumpfte auf das, was der Softwareentwickler Tom Eastman laut Doctorow als "fünf riesige Websites [6], gefüllt mit Screenshots, den Texten der anderen vier" bezeichnete.

Diese Konsolidierung war kein Einzelfall in der Technologiebranche. Der Niedergang des Kartellrechts hat in den letzten 40 Jahren zu einer massiven Konsolidierung in fast allen Bereichen der Weltwirtschaft geführt.

Technologieunternehmen fusionierten, übernahmen kleine Start-ups und investierten Milliarden von Anlegergeldern. Sie waren auch in der Lage, Produkte und Dienstleistungen aufstrebender Konkurrenten unter dem Selbstkostenpreis anzubieten und so den Markt vollständig unter sich aufzuteilen.

Für diese Geschäftspraktiken muss sich Google derzeit vor einem Gericht in Washington verantworten. Das US-Justizministerium und mehrere US-Bundesstaaten werfen dem Tech-Giganten vor, seine marktbeherrschende Stellung bei Suchmaschinen auf illegale Weise [7]erlangt zu haben.

Nützliche Verhältnisse: Staats- und Justizapparat und Tech-Industrie

Doch wer auf eine Zerschlagung Googles durch eine dem US-Staat nahestehende Institution hofft, könnte auch diesmal enttäuscht werden. Der US-Staats- und Justizapparat und die Tech-Industrie stehen bereits in einem engen wechselseitigen Nutzungsverhältnis.

Laut Cory Doctorow streben die aus einigen wenigen hochprofitablen Unternehmen bestehenden Industriegiganten unweigerlich danach, ihre Macht mit der des Staates zu bündeln, um von der Regierung Nachsicht für ihre eigenen Handlungen und das Verbot von Aktivitäten, die sie missbilligen, zu erlangen. Im Bereich der Überwachung hat der Technologiesektor mächtige Verbündete in der Regierung: Polizisten und Spione.

Der Rückhalt, den die Technologiebranche bei den US-Gesetzgebern genießt, könnte auch erklären, warum die EU und sogar China strenge Datenschutzgesetze als Reaktion auf die digitale kommerzielle Überwachung erlassen haben, die USA aber nicht.

Denn Technologieunternehmen kooperieren in Sicherheitsfragen gerne mit Regierungsbehörden. Und sie nehmen diese gerne an, weil die kommerzielle Überwachung durch private Unternehmen effizienter und umfassender ist als die staatliche Überwachung.

Eine Unterscheidung zwischen staatlicher und privater Überwachung ist daher nicht sinnvoll, da beide Sektoren des Überwachungskapitalismus voneinander profitieren und aufeinander angewiesen sind.

Überwachungskapitalismus

Diese Zusammenarbeit zwischen staatlichen und kommerziellen Institutionen wird als Überwachungskapitalismus bezeichnet und spiegelt die Verschmelzung von staatlicher und kommerzieller Macht wider. Die Verkörperung dieses Geschäftsmodells ist das umstrittene Softwareunternehmen Palantir Technologies.

Palantir Technologies wurde 2004 vom PayPal-Milliardär Peter Thiel und Alex Karp im Silicon Valley gegründet - mit finanzieller Unterstützung der CIA [8]. Die Überwachungssoftware von Palantir wird auch von der deutschen Polizei eingesetzt.

Allerdings haben Datenschutzbedenken dazu geführt, dass Palantir in Deutschland immer wieder unter erheblichen politischen Druck gerät, aktuell durch die amtierende Bundesinnenministerin Nancy Faeßer.

Auf Anfrage der ARD [9] gaben Bayern, Hessen und Nordrhein-Westfalen jedoch an, die Software weiterhin zur Datenanalyse nutzen zu wollen. Die engen Verbindungen von Palantir zur CIA erwecken den Eindruck, dass man sich in Deutschland gar nicht so sehr davor fürchtet, eventuell ausspioniert zu werden, solange es bei der Überwachung der eigenen Bevölkerung hilft.

Die US-Tech-Industrie und der US-Staat agieren bei der Verfolgung ihrer Interessen im In- und Ausland meist so synchron, dass man oft gar nicht weiß, wer wem mehr nützt. Eine Verstaatlichung der Tech-Giganten würde an diesem Arrangement nicht viel ändern, die privaten Unternehmen aber immerhin etwas näher an eine mögliche Kontrolle durch demokratische Institutionen heranführen.


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-9343459

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.sueddeutsche.de/digital/digitalisierung-techlash-der-aufstand-gegen-die-tech-giganten-hat-begonnen-1.3869965
[2] https://www.bloomberg.com/news/articles/2023-10-15/us-will-tighten-curbs-on-china-s-access-to-advanced-chip-tech?leadSource=uverify%20wall
[3] https://adamtooze.substack.com/p/chip-wars-deglobalization-a-maverick?
[4] https://www.ft.com/content/664d7fa5-d575-45da-8129-095647c8abe7
[5] https://theintercept.com/2023/10/16/surveillance-state-big-tech/
[6] https://twitter.com/tveastman/status/1069674780826071040
[7] https://www.derstandard.de/story/3000000186627/google-vor-gericht-ist-das-geschaeftsmodell-illegal
[8] https://www.deutschlandfunk.de/software-firma-palantir-superstar-der-us-100.html
[9] https://www.tagesschau.de/investigativ/br-recherche/palantir-software-analyse-polizei-100.html