Über 1000 Hitzetote: Wann werden Kohle, Gas und Öl endlich als Krankmacher eingestuft?

Seite 2: Warum die Erdgasförderung ein Gesundheitsrisiko darstellt

Die direkt messbaren Gesundheitsgefahren durch die Förderung von Erdgas werden in der öffentlichen Debatte noch immer kaum beachtet. Dabei sind Fracking-Hotspots die Krankheits-Hotspots der Erde. So zeigt beispielsweise eine Anfang des Jahres veröffentlichte Studie der Harvard University, dass die Lebenserwartung von Menschen, die in der Nähe von Fracking-Projekten leben, u.a. aufgrund der Luftverschmutzung signifikant sinkt. Mit dem Einkauf von Fracking-Gas zum Beispiel aus den USA nimmt die deutsche Bundesregierung somit nicht nur die weitere Überhitzung der Erde, sondern auch eine frühere Sterblichkeit der Menschen in den Fracking-Gebieten billigend in Kauf.

Die Erdüberhitzung macht krank

Neben den Emissionen aus der Frackingwirtschaft gibt es natürlich eine ganze Menge weitere, die mit dem fossil-atomaren Energiesystem zusammenhängen. So zum Beispiel die Luftverschmutzung durch das Verbrennen fossiler Energierohstoffe, welche nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) für über sieben Millionen Tote jährlich vor allem durch Lungenkrankheiten verantwortlich ist. Zum Vergleich: Bisher werden von der WHO etwa insgesamt sechs Millionen Tote der Coronapandemie in den letzten beiden Jahren zugeordnet. Auch Radioaktivitätsemissionen aus Uranbergbau, Unfällen und Betrieb von Reaktoren und Atommüllentsorgung sorgen für erhebliche Krankheitsbelastungen.

In besonderem Maße zeigen sich aber zunehmend auch die Gesundheitsauswirkungen durch die Erdüberhitzung. Sprich, die CO2-Emissionen aus dem Verbrennen von Erdgas, Kohle und Erdöl wirken sich global durch die zunehmende Erdaufheizung mit einer steigenden Anzahl an Hitzetagen auch immer stärker als zum Teil tödliche gesundheitliche Gefahren aus. Erstmals habe es auch in Deutschland in den Jahren 2018 bis 2020 eine Übersterblichkeit durch sommerliche Hitze in drei aufeinander folgenden Jahren gegeben. Schlimm war es auch im Hitzesommer 2003 in Paris, wo gekühlte Zelte aufgestellt wurden, um der hohen Anzahl von Hitzeleichen Herr zu werden. Die Hitzerekorde bereits im Juni dieses Jahres in Deutschland und der EU sind Vorboten gewesen auf einen drohenden schlimmen Hitzehochsommer 2022.

Welche gesundheitlichen Gefahren die Drei-Grad-Erwärmung mit sich bringt, auf die wir mit den aktuellen Maßnahmen noch vor Ende dieses Jahrhunderts zusteuern, erläuterte zuletzt Stefan Rahmstorf vom Potsdamer Institut für Klimafolgenforschung anschaulich. Was nach finsteren Dystopien klingt, wird jedoch für die nächste Generation schon gesundheitliche Realität, wenn Politiker:innen weltweit nicht endlich in den Krisenmodus schalten.

Wo ist der Gesundheitsminister, wenn es um die Klimakrise geht?

Doch, vorsorgliche Maßnahmen, Warnungen, Handlungsempfehlungen oder gar gesetzliche Maßnahmen wie zur Coronapandemie sind aus dem Gesundheitsministerium von Karl Lauterbach (SPD) kaum zu hören. Die Medien sind voll mit Warnungen vor einer neuen Coronawelle im Herbst, jedoch sucht man fast vergeblich nach Warnungen vor Hitzegefahren im Sommer. Gleichzeitig gibt auch keine Einsprüche des Gesundheitsministers zu den beschriebenen fossilen Projekten seiner Regierung, wie zum Beispiel dem Bau klimaschädlicher LNG-Terminals, dem Wiederanfahren von stillgelegten Kohlekraftwerken oder dem Tankrabatt. Maßnahmen, die alle dazu beitragen, dass Hitzeperioden weiter zunehmen. So werden die Hitzekrankheiten und Todesfälle in den kommenden Jahren analog zur Erdaufheizung weiter zunehmen, was als Versagen auch dem Gesundheitsministerium angerechnet werden muss.

Präventive Gesundheitspolitik innerhalb der planetaren Grenzen notwendig

Die Ignoranz des Bundeskanzleramtes bezüglich der massiven Klima- und Gesundheitsschäden durch Erdgas und andere fossile Energieträger wiegt besonders schwer, wenn ihr aus dem Gesundheitsministerium nichts entgegengesetzt wird. Statt einer kurativen Gesundheitspolitik, die (wie zuletzt in der Coronapandemie) ihren Fokus darauf legt, nachträgliche Schadensbegrenzung zu betreiben, braucht es endlich eine präventive Gesundheitspolitik, die den Zusammenhang zwischen menschlicher Gesundheit und intakten Erdsystemen zur Maxime ihres Handeln macht.

Erfreulicherweise gewinnt ebendieser ganzheitliche systemische Blick auf unser Gesundheitssystem im Rahmen des Forschungsfeldes der "Planetaren Gesundheit" zumindest innerhalb der Wissenschaft immer weiter an Bedeutung – es bleibt nur zu hoffen, dass dieses Konzept endlich auch zu den (gesundheits-)politischen Entscheidungsträger:innen durchdringt.

Hans-Josef Fell ist Präsident der Energy Watch Group und Mitautor des Erneuerbaren-Energien-Gesetzes (EEG). Von 1998 bis 2013 war er für die Grünen im Bundestag. Er hat zahlreiche Preise und Auszeichnungen für sein Engagement erhalten. Fell ist Botschafter für 100 Prozent Erneuerbare Energien.