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Über 1000 Hitzetote: Wann werden Kohle, Gas und Öl endlich als Krankmacher eingestuft?

Hitze, Dürre und Waldbrände haben große Teile Europas diesen Sommer fest im Griff. Bild: NASA Earth Observatory / Public Domain

Apokalyptische Waldbrände in Südeuropa. Jetzt kommt die Hitzewelle auf Deutschland zugerollt, viele Menschen sind bereits gestorben. Die Klimakrise und die fossilen Energien sind ein Gesundheitsrisiko, aber gehandelt wird nicht.

Hans-Josef Fell kritisiert im Gastkommentar auf Telepolis die Tatenlosigkeit des Gesundheitsministeriums angesichts der zunehmenden Gesundheitsschäden, die nicht nur durch die Folgen der globalen Erwärmung, sondern insgesamt durch das fossil-atomare Energiesystem verursacht werden. Denn nicht nur Hitze und Wetterextreme seien krankmachend. Auch die Umweltverschmutzungen im Zuge der Förderung und Verbrennung von Gas, Kohle und Öl stellen ein wachsendes Gesundheitsrisiko dar.

Die Rekordhitze hat in der vergangenen Woche in Westeuropa mehr als 1.000 Menschen das Leben gekostet [1], während Feuerwehrleute darum kämpfen, die Brände einzudämmen, die weite Teile in Spanien und Portugal inmitten einer sich verschlimmernden Klimakatastrophe versengen. Dort wurden Temperaturen über 43 Grad gemessen. Teile Afrikas, des Nahen Ostens und Asiens sind ebenfalls von Hitzewellen und Waldbränden betroffen.

Ein 60-jähriger Arbeiter der Madrider Stadtreinigung brach am Freitag während seiner Arbeit mitten auf der Straße zusammen. Der Mann wurde mit einer Körpertemperatur von über 41 Grad ins Krankenhaus gebracht und starb an einem Hitzschlag. Er war einer von 123 Menschen, die am Freitag in Spanien an den Folgen der Hitze starben. In Großbritannien wurde zum ersten Mal eine Hitzewarnung der Kategorie "Red Extreme" für heute und morgen herausgegeben. Der leitende Meteorologe von AccuWeather, Tyler Roys, sagte, es bestehe die Sorge, dass sich diese Hitze zu einer lang anhaltenden Hitzewelle entwickeln könnte, die bis in den August hinein andauern könnte.

Auch in Deutschland könnte es in dieser Woche in manchen Regionen, vor allem im Westen, bis zu 40 Grad Celsius heiß werden. Am Dienstag wird der Höhepunkt erwartet. Der deutsche Städte- und Gemeindebund warnt vor Wasserknappheit [2]. Der Ärzteverband Marburger Bund fordert einen nationalen Hitzeschutzplan und eine Aufklärungskampagne [3]. »Die Politik muss ihre Anstrengungen für Schutzmaßnahmen in Hitzephasen deutlich ausbauen«, sagte die Vorsitzende Susanne Johna dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). Städte und Kommunen brauchten Hitzeschutzpläne, damit sich Senioreneinrichtungen oder Krankenhäuser besser auf Hitzewellen vorbereiten könnten.

Unterdessen wurden mehr als 10.000 Menschen in Frankreich, Spanien und Portugal evakuiert [4], da die Feuerwehr gegen die außer Kontrolle geratenen Waldbrände in Teilen dieser Länder kämpft. Für mehr als die Hälfte Portugals gilt Alarmstufe Rot, da die Feuerwehr daran arbeitet, 14 verschiedene Brände einzudämmen. Auch Ungarn, Kroatien und die griechische Insel Kreta hatten diese Woche mit Waldbränden zu kämpfen, ebenso wie Marokko und Kalifornien. Italien befindet sich inmitten einer Hitzewelle seit dem Frühsommer, gepaart mit der schlimmsten Dürre im Norden des Landes seit 70 Jahren. Die hohen Temperaturen haben ein großes Stück des Marmolada-Gletschers abbrechen lassen und mehrere Wanderer dabei getötet.

Studien zeigen [5], dass der vom Menschen verursachte Klimanotstand die Häufigkeit und Schwere von Hitzewellen erhöht.

Die Erdgas-Jagd der deutschen Bundesregierung kennt kein Ende. Aus fernen autokratisch regierten Länder wie Katar soll es genauso neue Erdgasmengen geben, wie auch Frackinggas aus Deutschland selbst, was vor allem die FDP fordert. Dabei ist Erdgas und insbesondere Frackinggas höchst klimaschädlich und insbesondere in den Frackingregionen auch enorm gesundheitsschädlich. Problematisch ist deshalb auch die Haltung des Gesundheitsministers: Denn während es an Warnungen vor der nächsten Coronawelle nicht mangelt, fehlt es noch immer an echter Aufklärung bezüglich der zunehmenden Gesundheitsschäden durch Frackinggas, und andere fossile Gesundheitsgefahren, wie Hitzewellen infolge der Erdaufheizung:

Hans-Josef Fell [6] ist Präsident der Energy Watch Group und Mitautor des Erneuerbaren-Energien-Gesetzes.

Im Senegal werden neue Gasfelder erschlossen

Nachdem Kanzler und Minister:innen in den vergangenen Monaten durch die Welt gereist sind, um fossile Energien aus Russland durch andere fossile Energien aus zum Teil ebenfalls autokratischen Regimen (z.B. Katar, Libyen) zu ersetzen, wurde diese fossile Diversifikationsstrategie der Ampelkoalition beim G7-Gipfel in Elmau nun auf die Spitze getrieben.

Noch vor Kurzem hatten sich die G7-Staaten dazu verpflichtet, künftig nicht mehr in fossile Projekte im Ausland zu investieren. Dieses Vorhaben wurde nun unter Federführung von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) zurückgenommen. Um Deutschland die Erschließung eines neuen Gasfelds im Senegal vorantreiben und sich finanziell an dem Projekt beteiligen kann, setzte sich Olaf Scholz dafür ein, diese beim Klimagipfel in Glasgow getroffene Vereinbarung eines baldigen Endes der Finanzierung internationaler fossiler Projekte, zu revidieren. Der Präsident des Senegal will im Dezember 2023 mit der Produktion anfangen [7], zunächst sind 2,5 Millionen Tonnen Flüssiggas pro Jahr vorgesehen, im Jahr 2030 dann zehn Millionen Tonnen.

Deutsche werden getäuscht über Gasförderung

Auch in Deutschland selbst ist die Diskussion um die Erschließung neuer Erdgasfelder und insbesondere Frackinggas neu entbrannt. Dabei könnte neues Frackinggas in nennenswerten Mengen erst in etwa zehn Jahren fließen [8]. Für den Ersatz von russischem Erdgas also viel zu spät. Dennoch wird das Frackingverbot offen in Frage gestellt, das einst wegen der hohen gesundheitlichen, ökologischen und klimaschädigenden Gefahren gesetzlich erlassen wurde.

Damit bleibt sich Olaf Scholz selbst treu, hat er doch den Ausbau von Nordstream I und II stehts unterstützt und mit der Mär von Erdgas als klimafreundlicher Brückentechnologie den Bau neuer Erdgasinfrastruktur unermüdlich vorantrieben. Nicht nur, dass dieses Vorgehen dem Klimaschutz diametral entgegensteht – siehe hierzu die Erdgas-Studie der Energy Watch Group [9] – auch führt der Bundeskanzler die Bürger:innen mit der Behauptung, diese neuen Gasprojekte könnten einen Beitrag zur Lösung der aktuell drohenden Gasknappheit [10] leisten, in die Irre. Denn, anders als der Öffentlichkeit vorgegaukelt wird, helfen diese Gasfelder gegen den nun kurzfristig drohenden Gasmangel in Deutschland nicht im Geringsten [11]. Stattdessen haben sie jedoch massive Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit.

Warum die Erdgasförderung ein Gesundheitsrisiko darstellt

Die direkt messbaren Gesundheitsgefahren durch die Förderung von Erdgas werden in der öffentlichen Debatte noch immer kaum beachtet. Dabei sind Fracking-Hotspots die Krankheits-Hotspots der Erde. So zeigt beispielsweise eine Anfang des Jahres veröffentlichte Studie der Harvard University [12], dass die Lebenserwartung von Menschen, die in der Nähe von Fracking-Projekten leben, u.a. aufgrund der Luftverschmutzung signifikant sinkt. Mit dem Einkauf von Fracking-Gas zum Beispiel aus den USA nimmt die deutsche Bundesregierung somit nicht nur die weitere Überhitzung der Erde, sondern auch eine frühere Sterblichkeit der Menschen in den Fracking-Gebieten billigend in Kauf.

Die Erdüberhitzung macht krank

Neben den Emissionen aus der Frackingwirtschaft gibt es natürlich eine ganze Menge weitere, die mit dem fossil-atomaren Energiesystem zusammenhängen. So zum Beispiel die Luftverschmutzung durch das Verbrennen fossiler Energierohstoffe, welche nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) für über sieben Millionen Tote jährlich vor allem durch Lungenkrankheiten verantwortlich ist. Zum Vergleich: Bisher werden von der WHO etwa insgesamt sechs Millionen Tote der Coronapandemie in den letzten beiden Jahren zugeordnet. Auch Radioaktivitätsemissionen aus Uranbergbau, Unfällen und Betrieb von Reaktoren und Atommüllentsorgung sorgen für erhebliche Krankheitsbelastungen.

In besonderem Maße zeigen sich aber zunehmend auch die Gesundheitsauswirkungen durch die Erdüberhitzung. Sprich, die CO2-Emissionen aus dem Verbrennen von Erdgas, Kohle und Erdöl wirken sich global durch die zunehmende Erdaufheizung mit einer steigenden Anzahl an Hitzetagen auch immer stärker als zum Teil tödliche gesundheitliche Gefahren aus. Erstmals habe es auch in Deutschland in den Jahren 2018 bis 2020 eine Übersterblichkeit durch sommerliche Hitze in drei aufeinander folgenden Jahren gegeben [13]. Schlimm war es auch im Hitzesommer 2003 in Paris, wo gekühlte Zelte aufgestellt wurden, um der hohen Anzahl von Hitzeleichen Herr zu werden. Die Hitzerekorde bereits im Juni dieses Jahres in Deutschland und der EU sind Vorboten gewesen auf einen drohenden schlimmen Hitzehochsommer 2022.

Welche gesundheitlichen Gefahren die Drei-Grad-Erwärmung mit sich bringt, auf die wir mit den aktuellen Maßnahmen noch vor Ende dieses Jahrhunderts zusteuern, erläuterte zuletzt Stefan Rahmstorf vom Potsdamer Institut für Klimafolgenforschung [14] anschaulich. Was nach finsteren Dystopien klingt, wird jedoch für die nächste Generation schon gesundheitliche Realität, wenn Politiker:innen weltweit nicht endlich in den Krisenmodus schalten.

Wo ist der Gesundheitsminister, wenn es um die Klimakrise geht?

Doch, vorsorgliche Maßnahmen, Warnungen, Handlungsempfehlungen oder gar gesetzliche Maßnahmen wie zur Coronapandemie sind aus dem Gesundheitsministerium von Karl Lauterbach (SPD) kaum zu hören. Die Medien sind voll mit Warnungen vor einer neuen Coronawelle im Herbst, jedoch sucht man fast vergeblich nach Warnungen vor Hitzegefahren im Sommer. Gleichzeitig gibt auch keine Einsprüche des Gesundheitsministers zu den beschriebenen fossilen Projekten seiner Regierung, wie zum Beispiel dem Bau klimaschädlicher LNG-Terminals, dem Wiederanfahren von stillgelegten Kohlekraftwerken oder dem Tankrabatt. Maßnahmen, die alle dazu beitragen, dass Hitzeperioden weiter zunehmen. So werden die Hitzekrankheiten und Todesfälle in den kommenden Jahren analog zur Erdaufheizung weiter zunehmen, was als Versagen auch dem Gesundheitsministerium angerechnet werden muss.

Präventive Gesundheitspolitik innerhalb der planetaren Grenzen notwendig

Die Ignoranz des Bundeskanzleramtes bezüglich der massiven Klima- und Gesundheitsschäden durch Erdgas und andere fossile Energieträger wiegt besonders schwer, wenn ihr aus dem Gesundheitsministerium nichts entgegengesetzt wird. Statt einer kurativen Gesundheitspolitik, die (wie zuletzt in der Coronapandemie) ihren Fokus darauf legt, nachträgliche Schadensbegrenzung zu betreiben, braucht es endlich eine präventive Gesundheitspolitik, die den Zusammenhang zwischen menschlicher Gesundheit und intakten Erdsystemen zur Maxime ihres Handeln macht.

Erfreulicherweise gewinnt ebendieser ganzheitliche systemische Blick auf unser Gesundheitssystem im Rahmen des Forschungsfeldes der "Planetaren Gesundheit" zumindest innerhalb der Wissenschaft immer weiter an Bedeutung – es bleibt nur zu hoffen, dass dieses Konzept endlich auch zu den (gesundheits-)politischen Entscheidungsträger:innen durchdringt.

Hans-Josef Fell ist Präsident der Energy Watch Group und Mitautor des Erneuerbaren-Energien-Gesetzes (EEG). Von 1998 bis 2013 war er für die Grünen im Bundestag. Er hat zahlreiche Preise und Auszeichnungen für sein Engagement erhalten. Fell ist Botschafter für 100 Prozent Erneuerbare Energien.


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-7182324

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.commondreams.org/news/2022/07/17/over-1000-die-record-breaking-heat-wildfires-scorch-europe
[2] https://www.tagesschau.de/inland/hitzewelle-deutschland-109.html
[3] https://www.spiegel.de/panorama/wetter-hitzewelle-kommt-nach-deutschland-in-spanien-stirbt-manna-auf-offener-strasse-an-hitzschlag-a-b653b304-9b57-4bbf-b968-db62fe756c0e
[4] https://www.commondreams.org/news/2022/07/17/over-1000-die-record-breaking-heat-wildfires-scorch-europe
[5] https://www.commondreams.org/news/2021/07/26/climate-crisis-will-bring-more-record-smashing-heat-waves-coming-decades-study-says
[6] https://hans-josef-fell.de/
[7] https://www.n-tv.de/politik/Scholz-lotet-Gas-Kooperation-mit-Senegal-aus-article23349893.html
[8] https://www.focus.de/politik/deutschland/fracking-deutschland-gas-vorrat-und-warum-wir-ihn-so-schwer-anzapfen-koennen_id_107995284.html
[9] https://www.energywatchgroup.org/wp-content/uploads/EWG_Erdgasstudie_2019.pdf
[10] https://taz.de/Energiekrise-in-Europa/!5863322/
[11] https://taz.de/Olaf-Scholz-fuer-neues-Gasprojekt/!5860896/
[12] https://www.hsph.harvard.edu/news/press-releases/living-near-or-downwind-of-unconventional-oil-and-gas-development-linked-with-increased-risk-of-early-death/
[13] https://www.forschung-und-lehre.de/forschung/bereits-tausende-hitzetote-in-deutschland-4839#:~:text=Fast%2020.000%20Hitzetote%20innerhalb%20von%20drei%20Jahren&text=F%C3%BCr%20das%20Jahr%202021%20sei,hei%C3%9Ft%20es%20in%20der%20Studie.
[14] http://www.pik-potsdam.de/~stefan/Publications/Klima%20und%20Wetter%20bei%203%20Grad%20mehr.pdf