Über die räumliche Verankerung des Cyberspace
Saskia Sassens "Metropolen des Weltmarktes. Die neue Rolle der Global Cities". Campus Verlag. 188 Seiten. DM 39,80.-
Natürlich ist es nur ein verklärender Mythos, daß der Raum im Zeitalter des Cyberspace keine Rolle mehr spielt. Saskia Sassen weist hingegen in ihrem Neuen Buch nach, daß gegenwärtig nicht nur ein wirtschaftlicher Konzentrationsprozeß, sondern auch eine geographische Zentralisierung durch die Bildung von globalen Städten stattfindet.
Saskia Sassen, Professorin für Stadtplanung an der Columbia University in New York, hat mit ihrer Analyse der Global Cities einen entscheidenden Ansatz dafür bereitgestellt, wie sich im Zeitalter der Globalisierung, der transnationalen Unternehmen, der postindustriellen Gesellschaft und des Cyberspace die Hierarchie im geopolitischen Raum wandelt. In ihrem neuen Buch treibt sie diese Analyse voran und tritt vor allem der geläufigen These entgegen, daß der Cyberspace ortlos sei oder sich von der Bindung an den Raum löse. Da sie nicht von der Kultur ausgeht, sondern von der Ökonomie, also vom entscheidenden Motor unserer kapitalistischen Gesellschaften, untergräbt sie die optimistischen Mythen vom dezentralisierten Cyberspace und zeigt, daß sich die wichtigen Wirtschaftszweige der Informationsgesellschaft, die Finanzindustrie und spezialisierte Dienstleistungsunternehmen, weiterhin in großen Städten konzentrieren und daß darüber hinaus die weltweit agierenden Unternehmen nicht nur immer größer werden, sondern gerade wegen ihrer geographischen Zerstreuung und ihrem Bedarf an spezialisierten Dienstleitungen, die oft nicht mehr im eigenen Haus erbracht werden, einen zentralen Standort der Kontrolle benötigen.
Nach ihren Untersuchungen vollzieht sich zur Zeit ein allgemeiner Prozeß der wirtschaftlichen Konzentration auf nationaler und globaler Ebene, während untergeordnete wirtschaftliche Abläufe sich auf einer Vielzahl von Standorten verstreuen. Gerade die wirtschaftliche "Vorherrschaft des internationalen Finanz- und Dienstleistungsgewerbes" in der Informationsgesellschaft, das auf immer schneller zirkulierenden Kapitalflüssen, immer kurzfristiger zu erzielenden Gewinnen und teilweise hohem spekulativen Handelsverhalten basiert, fördert die Konzentration und die Ablösung von den industriellen Zentren. Zerstört wird durch die starke Orientierung am Weltmarkt das etwa in Europa ausbalancierte Netz zwischen Regionen und Städten und zwischen den regional bedeutsamen Städten. Die Finanzwirtschaft findet immer mehr im Datenraum und auf globalem Maßstab statt, weswegen jene Städte, in denen sich wirtschaftliche Macht konzentriert, oft mehr miteinander zu tun haben als mit ihrer jeweiligen Region oder der Nation, in der sie sich befinden. Die global Cities bilden einen neuen, transnationalen Wirtschaftsraum, der zwar im geographischen Raum der Städte verankert ist, dessen Organisation und Steuerung aber mehr und mehr im Cyberspace geschieht und der sich der territorial begrenzten staatlichen Kontrolle entzieht. Den Städten wächst also eine neue wirtschaftliche und politische Macht zu, die sie im Zuge der Industrialisierung und der Durchsetzung der Nationalstaaten verloren hatten.
Städte sind wegen ihrer Dichte an High-Tech- und Dienstleistungsunternehmen und als Marktplatz weiterhin wichtig, doch die wirtschaftliche Bedeutung der einzelnen Städte verschiebt sich. Wirtschaftliche Zentren wie New York, Tokyo oder London bauen ihre Rolle als globale Städte aus, andere werden zu nationalen Zentren wie Frankfurt, Toronto oder Sydney oder steigen wie Miami auf, weil sie verkehrstechnisch günstig liegen oder zu Zentralen für einen bestimmten Wirtschaftsraum werden. Viele der zentralen Städte des Industriezeitalters verlieren hingegen an Bedeutung und werden vom Raum der Ströme der Informationsgesellschaft mit der Konsequenz steigender Armut und wachsender Arbeitslosigkeit abgekoppelt. Doch die Städte, die zum transnationalen Netz gehören, verändern sich auch intern. Dank der Telekommunikationstechnologien ist die Innenstadt nicht mehr notwendig identisch mit dem wirtschaftlich mächtigen Wirtschaftsbereich, der sich auch am Stadtrand befinden kann. Zwar sammeln sich in den globalen Städten die Menschen mit hochbezahlten Jobs und spezialisierten Tätigkeiten, aber die Mittelschicht nimmt ab, während die Zahl schlecht bezahlter und zeitlich befristeter Dienstleistungsjobs zunimmt. Die gesellschaftliche Dualisierung ist also in den globalen Städten am stärksten ausgeprägt, in denen sich überwachte und sichere Wohn- und Einkaufsviertel für die oberen Einkommensschichten herausbilden, deren Lebensstil zunehmend auf billige Arbeitskraft angewiesen ist. Diese Beschäftigungsgruppen sind, worauf Sassen zu Recht immer wieder hinweist, Bestandteil der Informationsgesellschaft, die durch einen zunehmende Kluft zwischen den sozialen Schichten, Wirtschaftssektoren und Regionen gekennzeichnet ist.
Möglicherweise ist die pauschale, nicht differenzierte Rede von der Raumunabhängigkeit der Informationsgesellschaft nicht nur eine ideologische Blendung, um die neuen räumlichen und sozialen Ungleichheiten zu ignorieren. Die Behauptung von der Standortunabhängigkeit wird auch von Unternehmen aufgegriffen, um die nationalen und städtischen Regierungen zu erpressen und ihnen Konzessionen abzuringen, obgleich der Ort, an dem sich die wichtigen wirtschaftlichen Tätigkeiten vollziehen, keineswegs bedeutungslos ist. Sassens Buch versucht ganz im Gegenteil zu zeigen, daß als Kehrseite der Dezentralisierung ein mächtiger Konzentrationsschub zu beobachten ist, daß erstens den Städten als Steuerungszentralen, globalen Marktplätzen und Produktionsstätten der Informationsökonomie eine strategische Bedeutung im wirtschaftlichen Globalisierungsprozeß zukommt und daß zweitens viele entwertete Sektoren der urbanen Ökonomie für das Zentrum tatsächlich entscheidende Funktionen erfüllen.