Überflüssige Spielchen

Warum die Computerspielbranche nicht ernst genommen wird

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Seit gut 30 Jahren zählen Computerspiele zur alltäglichen Unterhaltung und sind doch ein Medium, das von 3/4 der Gesellschaft kaum wahrgenommen und wirtschaftspolitisch unterschätzt wird. Dabei machen Games mehr Umsatz als Filme. Jene ungenaue Positionierung als verschmähtes Kulturgut bleibt solange bestehen, bis sich die Branche offener präsentiert, mehr diszipliniert und sich nicht unentwegt mit diffusen Produkten selbst schadet.

Manche Videospieltitel laufen wie Uhrwerke: Die Gesamtheit aus genauer Steuerung, toller Grafik, klasse Sound und realistischer Mechanik machen sie zu „Game-Disziplinen“.

Der nächste Tritt sitzt: Anna holt zum Kick aus, dem Baek, mit etwas Geschick, gerade noch ausweichen könnte. „Tekken 5“ für PlayStation 2 ist mehr als nur blindes Draufkloppen. Variable Tastenkombinationen aus unterschiedlichen Stellungen ermöglichen dem Spieler viele Möglichkeiten, den Gegner aufs Kreuz zu legen. (Bild: Sony)

Fußballspiele wie Fifa bzw. Pro Evolution Soccer , Rennspiele wie Need For Speed bzw. Project Gotham Racing, Kampfspiele wie Soul Calibur bzw. Tekken, Shooter wie Counter Strike bzw. Far Cry oder Strategiespiele wie Age of Empires bzw. Total War sind Beispiele für elektronischen Präzisions- oder Denksport, in dem Spieler ihre Leistungen online oder auf eSport-Veranstaltungen messen.

Jährlich erscheinen jedoch knapp 250 neu publizierte Titel – Spiele, die von großen Herstellern vermarktet werden und für Konsolen oder PC gedacht sind. Ein erschreckend hoher Anteil sind Programme mit scheußlicher Grafik, schrecklicher Musik, billiger Geschichte, öder Spiel-Erfahrung und dilettantischen Bugs – Produkte, die ihr Geld nicht wert sind. Wirkliche „Killerspiele“, die mit bewusstem Tabubruch abkassieren sollen Erstes Computerspiel in Neuseeland verboten, hier einmal ganz beiseite. Für einen miefigen Unterton sind auch Billigproduktionen im Gewand eines Tophits verantwortlich, die auf den Strumpf der Omi schielen und viele Kinder unglücklich machen. Sei es das parallel zur Sportgroßveranstaltung veröffentlichte Olympia-, Radrenn- oder Ski-Langlauf-Game, das Spiel zur Soap Opera oder irgendwas Pseudoerotisches.

“Glänzende Leistung“: Die Girls von „Dead or Alive“ haben ihre Kampf-Suits abgelegt und machen Urlaub. Was auf dem Bild gut aussieht, macht in Bewegung noch mehr her. Der eigentliche Hauptdarsteller – der Volleyball – verliert sich dagegen ärgerlicherweise zu oft aus dem Bereich des Sichtbaren. (Bild: Microsoft)

Eine Niveaustufe höher – zwischen A- und C-Game – ist ein erst jüngst erschienener Xbox 360-Titel, der praktisch keinen Hehl daraus macht, was den Spieler erwartet: extrem weibliche Rundungen knapp bekleideter, sich räkelnder Beachgirls – fertig. „Dead or Alive Xtreme 2“ ist eine Bikinischau im Stile von Sports Illustrated Swimsuit, mit spielerischen Einlagen als Existenzberechtigung. So war es beim ersten Teil, der vor vier Jahren unter dem Titel „Dead or Alive – Xtreme Beach Volleyball“ für die Xbox erschien, so ist es heute, beim zweiten auf Xbox 360. Wer wissen will, wie schön sich virtuelle Frauen heutzutage im eigentlichen Spielgeschehen bewegen können, bekommt eine unvergleichliche Demonstration geboten. Doch das ist zuwenig.

Auf New Zack Island machen die Girls aus dem Kampfspiel „Dead or Alive 4“ von Entwickler Tecmo (u. a. auch „Ninja Gaiden“) Ferien. Zu Beginn sucht der Spieler sich eine Partnerin aus, mit der er zwei Wochen lang den Badeurlaub verbringen will. Und wie das halt im Paradies so ist, lauert an jeder Ecke ein Geschäft, auf das die Geliebte anspringt. Um sie bei Laune zu halten, muss sie mit etlichen Waren, u. a. neuen Bikinis (pro Charakter sind allein 300 Stück verfügbar), beschenkt werden. Einkaufen kann man nur, indem man Geld bei Sportveranstaltungen wie Volleyball, Jetski-Rennen oder diversen Pool-Spielchen verdient.

Auch wenn die Minigames von „Dead or Alive Xtreme 2“, wie hier das Tauziehen auf Luftkissen im Swimmingpool, optisch beeindrucken, ist die Spielqualität alles andere als befriedigend

In Zeitlupe schlagen die Mädels nach Bällen, die kaum größer als ihre eigenen, ununterbrochen in Bewegung gehaltenen Brüste sind. Viel Wert hat Tecmo auf scharfe Kamerafahrten gelegt, die die sexy Sand-, Meer- und Strandatmosphäre zusätzlich aufheizt. Leider rutscht dadurch nicht selten das Spielgeschehen aus dem Sichtfeld. Die interessante Grundidee verkümmert so zur Soft-Peepshow, bei der über Kissen im Wasser gelaufen wird, zwei Schönheiten im Popo-Kampf antreten oder sich – verbunden mit einem Seil – gegenseitig versuchen ins Wasser zu ziehen.

Das ist sehr schade, denn Potential für ein gutes Sportspiel, das ruhig auch mal sexy sein darf, verpufft und man findet sich bald in einer fragwürdigen Situation wieder.

Zwei auf einen: Eragon und sein Kumpel verprügeln alle. Unnötige Aggression eines schlecht gemachten Merchandiseprodukts zu einem ebenso schlechten Film.

Verloren in purem Unsinn sind auch Spieler von „Eragon“, dem Action-Game zum B-Film, der, nach „Narnia“ von 2005/2006, die Herr der Ringe-Fantasy-Weihnachtsstimmung ein weiteres Mal für sich aufgefrischt hat.

Das Gros der Filmspiele ist, trotz weniger Lichtblicke, nicht mehr als eine Merchandise-Kategorie. Ihr Erfolg nährt sich hauptsächlich aus zwei Käufertypen, die mehr nach Instinkt handeln: Fans des Films und Schenker, die keine Ahnung haben, was sie kaufen, dafür aber den Filmgeschmack des zu Beglückenden kennen.

„Eragon“ ist 100%ig unoriginell und macht ungefähr dort weiter, wo dasselbe Entwicklerstudio, Stormfront, mit „Der Herr der Ringe: Die zwei Türme“ vor mehr als vier Jahren aufgehört hat: beim enthirnten Dauerknöpfchendrücken, das Null Anforderungen stellt. Abgesehen von der ansehnlichen Tapezierung herrscht qualitative Blutarmut.

Ein Beispiel dafür, dass relativ schöne Grafik noch längst kein gutes Game macht: „Eragon“ für PC, PlayStation 2 und Xbox 360 (Bild: Vivendi Games)

In der Tradition allererster Genre-Vertreter aus den 1980ern, wie Final Fight oder Double Dragon, wird vom Spieler kaum mehr verlangt, als einen Weg abzugrasen und alles, was sich ihm in den Weg stellt niederzumetzeln. Leicht gesagt, leicht getan, denn mit simpelsten Knopf-Kombinationen fällt auch der stärkste Gegner ohne Taktik in den Dreck und wer gar keine Lust auf Action hat, joggt einfach an allen vorbei ins Level-Aus.

Dergleichen Beispiele an Games, die nicht hätten sein müssen, gibt es wie Sand am Meer und wird es auch in Zukunft geben. Würde wenigstens der Preis der Qualität des Produkts entsprechen, wären Enttäuschungen eingegrenzt und das Vertrauen in die Seriosität der Branche gestärkt – wovon beide Seiten letztlich profitieren würden.