Überleben im Anthropozän: Füchse erobern die Städte

Susanne Aigner

Anpassungsfähig und überlebenswillig: Füchse haben es drauf. Foto: rottonara auf Pixabay (Public Domain)

Während natürliche Lebensräume in freier Natur schrumpfen, finden Fuchsfamilien in Großstädten neue Refugien

Sie laufen durch Vorgärten, plündern Abfallsäcke und verteilen die Inhalte in den Gärten. Schon immer hielten sich Füchse in der Nähe der Menschen auf. Als echte Kulturfolger haben sie sich ihnen im Laufe der Jahrhunderte immer besser angepasst. Die Zahl der Füchse in den Städten wächst stetig - nicht zuletzt wegen des reichhaltigen Nahrungsangebotes. Wurden Füchse früher von Hühnern und Kaninchen auf die Bauernhöfe gelockt, so sind es heute Mäuse und Ratten, die sie in die Städte locken. Allein in Berlin gibt es schätzungsweise acht Millionen der begehrten Nagetiere.

Daneben verzehren die Allesfresser Kaninchen, aber auch überfahrene Eichhörnchen - und vor allem weggeworfene Essensreste. Nicht zuletzt deshalb werden Stadtfüchse auch als "Gesundheitspolizisten" geschätzt. Von Jägern droht ihnen keine Gefahr, denn innerhalb von Wohnsiedlungen und Parkanlagen ist die Bejagung von Wildtieren, das Aufstellen von Fallen, aber auch das Füttern verboten. Ein zielgerichtetes Handeln der Behörden erfolge erst dann, wenn von Wildtieren eine konkrete Gefahr für die öffentliche Sicherheit ausgeht, heißt es in einem Infoblatt des Naturschutzbundes Deutschland (NABU) Nichtsdestotrotz werden sie häufiger von Haustieren wie Katzen und Hunden vertrieben.

Vor allem in der Nacht und in der Dämmerung aktiv, ziehen sich Stadtfüchse tagsüber in ihre Verstecke zurück. In Zürich zum Beispiel leben schätzungsweise tausend Füchse - teilweise in naturnahen Fuchsbauen im Grünen. Nachts schleichen sie auf der Such nach Futter durch die Gärten. Laufen sie einem über den Weg, darf man sie beobachten, erklärt Wildhüter Fabian Kern gegenüber dem Schweizer Fernsehen. Allerdings rät der Experte davon ab, ihnen hinterher zu laufen, sie zu streicheln oder gar zu füttern. Denn dann gewöhnen sich die Tiere an die Menschen, und sie werden immer aufdringlicher.

Dennoch sind Stadtfüchse Gefahren ausgesetzt, wenn auch anderen, als ihren Artgenossen auf dem Lande. Eine der Haupttodesursachen ist der Straßenverkehr. Allein ein Viertel aller Füchse, die dem Verkehr zum Opfer fallen, sterben im Januar auf den Straßen. Denn im Winter spielen die Füchse gerne im Schnee, und das lässt sie unvorsichtig werden. Haben sie einmal gelernt, die Gefahren des Straßenverkehrs richtig einzuschätzen, können sie bis zu sieben Jahre alt werden.

Im Berliner Regierungsviertel sind Fuchsbaue von einem Netz von Fuchspfaden umgeben, die mit mehreren Ein- und Ausgängen ausgestattet sind und als Versorgungwege genutzt werden. Die Paarungszeit beginnt im Dezember. Ab diesem Zeitpunkt sind die Männchen fast drei Monate lang auf Partnersuche. Die Fähen sind nur zwei bis drei Tage im Jahr empfängnisbereit, wobei sie durch spezielles "Bellen" auf sich aufmerksam machen. Um Energie zu sparen, geht die Clanchefin in dieser Zeit kaum auf Futtersuche. Nach 50 Tagen Tragezeit bekommt die Füchsin Anfang März ihre Jungen.

Rangniedere Füchse helfen dann bei der Versorgung des Wurfes. Wenn die Welpen in den ersten warmen Apriltagen aus ihren Verstecken hüpfen, haben sie den ersten Fellwechsel schon hinter sich und bekommen ihre Milchzähne. Wo sie nicht gejagt werden, leben Füchse eher monogam. Oft spielen auch die Väter mit den Welpen. Der intensive Körperkontakt dient unter anderem dazu, Parasiten im Fell aufzuspüren. Die Mutter säugt ihre Jungen zwei bis drei Monate lang, und zwar auch noch dann, wenn sie feste Nahrung bekommen.

Im Herbst drohen Jungfüchsen viele Gefahren

Im Mai fühlen sich die jungen Füchse von urbanen künstlichen Lichtquellen magisch angezogen. So kreisen hunderte Maikäfer um die Straßenlaternen, bis sie erschöpft zu Boden fallen und nicht nur für junge Füchse ein gefundenes Fressen sind. Mit Beginn des Herbstes werden die vier bis fünf Monate alten Jungfüchse von ihren Eltern aus dem gemeinsamen Revier vertrieben. Dann müssen die jungen Rotfüchse lernen, auf eigenen Beinen zu stehen. Ausgehungert nehmen sie Katzenfutter oder Essensreste an, das Anwohner ihnen hinstellen. Lange haben das die Fuchseltern toleriert, inzwischen verscheuchen sie die Jungtiere, sobald sie sie in den Gärten ertappen.

Für die meisten Jungfüchse ist es kein Problem, ein eigenes Revier zu finden. Denn immer sterben auch Tiere im Straßenverkehr oder an Krankheiten, so dass neue Reviere für den Nachwuchs frei werden. In der Zeit von September bis November werden viele Jungfüchse bei der Suche nach einem neuen Revier überfahren. Gelingt es ihnen, den Herbst und Winter zu überleben, können sie bis zu sieben Jahre alt werden.

Im Oktober wächst die Zahl der Füchse in den Städten. Dem Wildtierbeauftragten Derk Ehlert zu Folge gab es in Berlin im Oktober 2020 rund 1.400 Reviere mit etwa 1.700 Füchsen, darunter Einzelgänger, Mutter-Tochter-Gruppen, Familien mit und ohne Rüden, aber auch nur Rüden-Gemeinschaften.

Typische Fuchskrankheiten wie Tollwut wurden in Berlin seit gut 20 Jahren nicht mehr nachgewiesen. Auch der Fuchsbandwurm hat so gut wie keine Bedeutung. Dennoch sollte man Kontakte zu zutraulichen Füchsen meiden und tote Füchse keinesfalls mit bloßen Händen anfassen. Hunde- oder Katzenfutter oder Essensreste sollten entfernt, Mülltonnen geschlossen und Müllplätze sauber gehalten werden, heißt es im Infoblatt des NABU.

Wer einen Fuchsbau findet oder ein Tier beim Graben beobachtet, sollte es vertreiben oder den Bau unzugänglich machen, es sei denn, es befinden sich Junge darin. Denn Fuchsfamilien, die in Gärten oder Parkanlagen ihre Jungen aufziehen, dürfen in der Zeit von März bis Juni nicht gestört werden.

Auf dem Land ist ein Fuchsleben ungleich härter

In freier Natur sind Füchsinnen meist alleinerziehend. Sie müssen nicht nur ein eigenes Revier finden, in dem sie auf Nahrungssuche gehen können, sondern auch noch einen geeigneten Partner. Um ihre Gegner zu beeindrucken, machen Füchse, ähnlich wie Katzen, einen Buckel. Signalisiert dieser seine Unterlegenheit, kann diese Geste gefährliche Verletzungen verhindern. Im direkten Kampf siegt meist der Größere und Stärkere. Im Winter bewegen sich die Weibchen so wenig wie möglich.

Die Männchen streifen häufiger durch die Gegend und laufen dadurch eher mal vor die Flinte eines Jägers Je nach Wetter und Ernährungslage werfen die Füchsinnen ihre Jungen von Februar bis Mai. Im braunen Säuglingsfell verlassen die Fuchswelpen das erste Mal den Bau. Im Spiel legen sie die Rangordnung fest, kräftigen ihre Muskeln und üben Verhaltens- und Bewegungsabläufe ein.

Sobald die Jungen feste Nahrung bekommen, wird der Bau zu unsicher, denn die Nahrungsreste locken auch Feinde an. Deshalb zieht die Füchsin mit ihren Jungen bald in einen zweiten Unterschlupf. Kurz darauf steht der nächste Umzug bevor - zum Beispiel unter das Wurzelwerk einer Eiche. In den Bauen sind die Jungen oft längere Zeit sich selbst überlassen, während die Mutter auf Jagd ist - meist nach Mäusen oder kleineren Nagetieren. In Meeresnähe ernähren sich die Tiere auch von Fischen und von Algen, die sie an den Stränden finden und die als Eiweißquelle willkommen sind.

Wegen der ständigen Gefahr der Bejagung muss die Füchsin in freier Natur ihre Jungen früh zur Selbstständigkeit erziehen. Dazu gehört, dass die Jungen so früh wie möglich außerhalb des Baues gesäugt werden. Auch die Beute legt die Füchsin etwas weiter entfernt vom Bau ab, wobei sie ihre Jungen herbeilockt. Je älter die Kleinen werden, desto weiter weg werden sie von der Mutter gelockt, bis sie schließlich von selber Insekten und Kleintiere fangen. Wenn im Herbst die Zugvögel gen Süden reisen, müssen auch die jungen Füchse ihre heimatlichen Reviere verlassen und lernen, auf eigenen Beinen zu stehen.

In der ersten Zeit ihrer Selbstständigkeit ernähren sich die Tiere vor allem von Regenwürmern, Insekten oder Fallobst. Das Jagen von Mäusen müssen sie erst noch erlernen. In dieser Phase verlieren die Jungfüchse bis zu 30 Prozent ihres Körpergewichtes. Sind die Jungen endlich selbständig, hat die Fähe Gelegenheit, sich von den Strapazen der Aufzucht zu erholen.

Sollten Füchse bejagt werden?

In Deutschland sterben jedes Jahr mehr als 450.000 Füchse entweder durch Gewehrkugeln oder durch qualvollen Tod in den Fallen. Füchse übertragen Krankheiten und gefährden bedrohte Arten, heißt es von Seiten der Jagdverbände. Nur durch intensive Bejagung könne man den Befall mit Fuchsbandwürmern eindämmen. Inwischen jedoch wird in Fachkreisen diskutiert, ob eine intensive Bejagung den Befall mit Fuchsbandwürmern tatsächlich eindämmen kann.

2017 untersuchten Wissenschaftler, inwieweit die Ausbreitung des Fuchsbandwurmes (Echinococcus multilocularis) durch Bejagung beeinflusst wird. Interessant ist auch eine vierjährige Studie aus Frankreich, in der die Auswirkungen intensiver Fuchsjagden untersucht wurden: Obwohl um 35 Prozent mehr Füchse als üblich getötet wurden, konnte der Fuchsbestand nicht dezimiert werden. Denn die Verluste wurden nicht nur durch steigende Geburtenraten und Zuwanderung kompensiert, sondern die Befallsrate mit dem Fuchsbandwurm nahm sogar um 15 Prozent zu. Je mehr ältere Tiere getötet werden, umso zahlreicher werden die Jungfüchse. Und diese wiederum sind deutlich anfälliger für Bandwürmer, erklären Experten. Zudem scheiden Jungfüchse mehr Bandwurmeier aus als ältere Tiere. Um den Fuchsbandwurm effektiv zu bekämpfen, empfehlen Wissenschaftler der TU München den tiergerechteren Einsatz von Entwurmungsködern. So konnte während einer Testphase rund um München in allen drei Projektgebieten der Krankheitsbefall dauerhaft um bis zu 99 Prozent gesenkt werden.

Was den Artenschwund betrifft, so schränkt die industrielle Landwirtschaft mit ihren Monokulturen die Artenvielfalt deutlich stärker ein. Immer mehr Arten verschwinden vor allem deshalb, weil ihre Lebensräume verschwinden. Jagende Füchse spielen in diesem Zusammenhang kaum eine Rolle. Immer mehr Menschen bezweifeln deshalb den Sinn von Fuchsjagden. Eine Reihe von Natur- und Tierschutzverbänden und Einzelpersonen, die sich im "Aktionbündnis Fuchs" zusammengetan haben, fordern ein Verbot der undifferenzierten Bejagung von Füchsen. Nur wenn man die Tiere in Ruhe lässt, so das Argument, können Füchse in freier Natur in arttypischen Familienverbände in stabilen Revieren leben und diese an ihre Jungen weitervererben.