Übernehmen die Rechtsextremen in Europa langsam die Macht?

Die Vorsitzende der rechtsextremen Fratelli d'Italia, Giorgia Meloni, Ministerpräsidentin von Italien. Bild: Italienische Regierung / CC BY-SA 3.0 IT Deed

Von Frankreich über Italien, Deutschland und Ungarn bis nach Schweden tendieren Wähler zu Rechtsextremen. Was sind deren Erfolgsrezepte? Beginnt gerade eine neue Ära?

Etwas mehr als ein Jahr, nachdem die Vorsitzende der Fratelli d'Italia, Georgia Meloni, in Italien an die Macht gekommen ist, zeigen die jüngsten Daten eine klare Botschaft: Sie ist nicht die einzige rechtsextreme Politikerin, die auf den Ängsten der Wählerinnen und Wähler surft.

Wir stehen möglicherweise am Beginn eines neuen Zyklus des Rechtsextremismus auf dem gesamten Kontinent. Bei den nächsten Europawahlen im Juni 2024 steht viel auf dem Spiel.

Ein rechtsextremer Moment

Die jüngsten Ergebnisse sprechen eine deutliche Sprache. Letztes Jahr hat Marine Le Pen in Frankreich in der zweiten Runde der Präsidentschaftswahlen mit 41,5 Prozent der Stimmen einen neuen Rekord aufgestellt. In Ungarn erhielt die Fidesz bei den Parlamentswahlen 54 Prozent der Stimmen und bescherte Viktor Orbán eine vierte Amtszeit in Folge.

In Schweden kamen die einwanderungsfeindlichen Schwedendemokraten von Jimmie Åkesson mit 20,5 Prozent der Stimmen auf den zweiten Platz und wurden zu neuen Verbündeten von Kristerssons Moderaten.

Anderswo in Europa schlagen rechtsextreme Parteien in Ländern wie Portugal, Spanien und Finnland Wurzeln, gewinnen beträchtliche Unterstützung und ziehen auf lokaler oder nationaler Ebene in die Regierung ein.

In Österreich und Belgien liegen sie derzeit in den Umfragen vorn.

In Ost- und Mitteleuropa ist die extreme Rechte in Estland, Kroatien, Rumänien und Bulgarien auf dem Vormarsch. Ungeachtet der historischen Demonstration der Oppositionsparteien mit einer Million Teilnehmern in Warschau sind die radikalisierten Konservativen der PiS immer noch auf dem besten Weg, die nächsten Parlamentswahlen in Polen mit 38 Prozent der Stimmen zu gewinnen, eskortiert von einem Bündnis, einer heterogenen extremistischen Gruppe, die bis zu elf Prozent der Stimmen erhalten könnte.

In der Slowakei sind die Ultranationalisten der Slowakischen Nationalpartei (SNS) in den Nationalrat eingezogen und könnten eine Koalition mit Robert Ficos populistischer und pro-russischer Smer-Partei bilden.

Mehrere Schichten an Ressentiments

Anstatt die extreme Rechte zu schwächen, hat der Krieg in der Ukraine diesen Parteien neue politische Möglichkeiten eröffnet. Ihre nationalistische und gegen das Establishment gerichtete Rhetorik trifft auf die wachsende politische Unzufriedenheit der Bürger und den Wunsch der Bevölkerung nach einer autoritären und starken Führung.

Je nach der Region haben rechtsextreme Politiker eine Vielzahl von Positionen gegenüber Russland eingenommen. Parteien wie Marine Le Pens Rassemblement National (RN) in Frankreich, Chega in Portugal und die niederländische PVV haben ihre Positionen gegenüber Putins Regime geändert und die russische Invasion rasch verurteilt.

Jetzt macht sich die extreme Rechte die wirtschaftlichen Ängste der Wähler aus der Arbeiter- und Mittelschicht zunutze, die von den wirtschaftlichen Folgen des Krieges am meisten betroffen sind. Viele dieser Parteien, wie die französische RN, die italienische Lega, der flämische Vlaams Belang, die Chega in Portugal und die tschechische SPD, haben die gegen Russland verhängten Sanktionen kritisiert, weil sie in erster Linie der "Bevölkerung" ihres Landes schaden, und gleichzeitig mehr sozialen Schutz und Wohlfahrt gefordert.

Natürlich ist die Zeit nach der Covid-19-Pandemie ein guter Nährboden für populistische Zugewinne: Viele dieser Parteien, wie die österreichische FPÖ, der polnische Bund und die AfD in Deutschland, haben sich vehement gegen Gesundheitsmaßnahmen gewehrt und im Stillen aus der öffentlichen Unzufriedenheit während der Gesundheitskrise Kapital geschlagen.

Schließlich zeugt der Anstieg der Unterstützung für die Rechtsextremen vom Fortbestehen kultureller und identitätsbezogener Bedenken in Bezug auf Einwanderung, Islam und Multikulturalismus. Diese Themen spalten die europäischen Wähler weiterhin tief, wie die aktuellen Einwanderungsdebatten in Frankreich, Deutschland, Italien, Österreich und dem Vereinigten Königreich zeigen. Unterdessen sorgt die italienische Insel Lampedusa erneut für Schlagzeilen und schürt die Angst vor neuen Einwanderungswellen.

Bei den Europawahlen im Juni 2024 wird sich die extreme Rechte wahrscheinlich noch stärker in der politischen Landschaft verankern. Nationale Umfragen bei Wählern deuten darauf hin, dass rechtsextreme Parteien bis zu 180 Sitze im Europäischen Parlament erringen könnten, verglichen mit nur etwa 130 in der derzeitigen Legislaturperiode.