Überraschungsmomente im Imperium der Angst
Immer selbstherrlicher spielen Sicherheitskräfte und Militärs mit der Öffentlichkeit
Nach dem Erfolg von America's Army wurde jetzt die Fortsetzung lanciert. Das US-Militär stößt damit nicht nur in neue Dimensionen der Spielindustrie vor, sondern setzt auch in Sachen Marketing neue Standards. An Konturen gewinnt damit jedoch auch ein jüngerer Trend: Immer öfter spielen Sicherheitskräfte und Militärs mit den Angstreservaten der Öffentlichkeit.
Plötzlich waren Helikopter am Himmel von Tokio zu sehen. Sie verursachten einen ohrenbetäubenden Lärm und sorgten mit ihren spektakulären Formationen für Aufsehen. Schauflüge standen hier jedoch nicht auf dem Programm, das wurde bald deutlich, sondern die Simulation eines Sondereinsatzes. Auch eine 1.000 Mann starke Truppe der Bereitschaftspolizei, über deren Köpfe die Helikopter hin und her flogen, probte den Ausnahmezustand. In feinabgestimmten Drills führten sie im Yokohama International Stadium kunstvoll ihre Maßnahmen zur Aufstandsbekämpfung vor, bei denen Szenarios so unterschiedlich wie Bombendrohungen und Menschenraub bedacht waren. In erster Linie fokussierten sie jedoch eine im Vergleich dazu banale Gefahr: Hooligans, die in Japan als neuer, schwer einzuschätzender Risikofaktor gelten.
Die Übung der japanischen Bereitschaftspolizei sollte im Vorfeld der Fußball-WM 2002 ein Gefühl der Sicherheit vermitteln. Eine Botschaft, die brav am nächsten Tag in Japan in den Massenmedien kursierte. Wenn man den Berichten traut, waren auch Passanten davon mehr als beeindruckt. Im Glauben, hier werde ein akuter Notstand bekämpft, flüchteten sie sich vor lauter Schreck in ihre Wohnungen: Hatte die Aum Sekte etwa wieder zugeschlagen und einen Giftgasanschlag auf das Yokohama International Stadium verübt? Kein Wunder, dass es solche Reaktionen gab: Die bislang größte Übung der Bereitschaftspolizei vor der WM fand ohne jegliche Vorwarnung tagsüber in der Öffentlichkeit statt.
Vergleichbares trug sich im Rahmen der "Electronic Entertainment Exposition 2002" zu. US-Truppen liefen auf dem Messegelände in Los Angeles auf, um das Computerspiel "America's Army" zu bewerben, das von der US-Armee als Rekrutierungswerkzeug unter die Jugendlichen gebracht werden sollte. Die Militärs waren bis an die Zähne mit der modernsten High-Tech-Gear ausgestattet und hielten auch nachts vor dem Eingang Wache, wo ein Panzer in Position gebracht worden war. Als wollten sie die Züchtung aus den eigenen Reihen keinen Moment lang aus den Augen lassen, etwa, damit sie nicht in falsche Hände gerate, kommunizierte ihre Präsenz nicht zuletzt dies: Die "Electronic Entertainment Exposition 2002" unterstand ihrer symbolischen Kontrolle.
Zwei Jahre später wiederholt sich das Spektakel. Mit "America's Army: Overmatch" ist eine Fortsetzung des Erfolgsspiels entwickelt worden - freilich sollte es gebührend vorgestellt werden. Wieder präsentiert sich die US-Armee auf der Electronic Entertainment Exposition. Wieder hat sie sich ein Schauspiel ausgedacht, um ihre Marke zu kommunizieren: Gut 45 Minuten war eine Straße in Downtown L. A. der Schauplatz eines Spektakels, dessen Dramaturgie einem Ego-Shooter glich. Echte Helikopter, Maschinenpistolen und Soldaten mit Kriegsbemalung sind dieses Mal zum Einsatz gekommen. Sie hangelten sie an Fassaden von Hochhäusern entlang und gingen auf Dächern in Deckung.
Simuliert wurde mit diesen Mitteln das Storyboard von "Overmatch", ein militärischer Ausdruck, der benutzt wird, um Kampfszenarien zu umschreiben, bei denen Technologie, "Intelligence" sowie andere futuristische Gimmicks eingebracht werden, damit sich ein kleineres Team gegen einen größeren Gegner erfolgreich behauptet. Ein Szenario, dass an jüngere Einsätze des US-Miltärs in urbanem Terrain erinnert. Wohl nicht zufällig beschrieb Wired News das Spektakel mit einem Vergleich zum Somalia-Einsatz:
In Hollywood terms, the effect was Black Hawk Down, directed by Fellini.
Doch was in der Vorstellung blüht und immer wieder auf Bildschirmen flackert, bereitet noch lange nicht auf eine Begegnung in Realität vor. Passanten, die diese Straße zufällig durchquerten, reagierten jedenfalls alles andere als gefasst. Augenzeugenberichte sprechen von Schockmomenten, offenen Mündern und fassungslosen Gesichtern. Lediglich ein arabischer Passant, der in den Medien zitiert wurde, schien eine distanzierte Perspektive zu gefunden zu haben. Sein trockener Kommentar: "It's all brainwashing."