Ukraine-Krieg: Diplomatie vs. "Atompazifismus"
Wird Frankreichs PrĂ€sident etwa aus historischen GrĂŒnden skeptisch, wenn deutsche Nachbarn Diplomatie doof finden? Foto: © RĂ©mi Jouan / CC-BY-SA / GNU Free Documentation License / Wikimedia Commons
Warum Frankreich einer Verhandlungslösung positiver gegenĂŒbersteht. Das Ausblenden der Vorgeschichte in Deutschland â und was Strafrecht zur Deutungshoheit beitragen soll.
ĂuĂerungen wie diese wurden in den vergangenen Monaten in Deutschland hĂ€ufig skandalisiert: Frankreichs PrĂ€sident Emmanuel Macron erklĂ€rte laut einem Bericht des Tagesspiegel vom 3. Dezember [1] dem französischen Fernsehsender TF1, bei Friedensverhandlungen zur Lösung des Ukraine-Konfliktes seien auch die SicherheitsbedĂŒrfnisse Russlands zu berĂŒcksichtigen. Es gehe um eine neue europĂ€ische Sicherheitsarchitektur.
Diese Aussage erinnert an die Charta von Paris aus dem Jahr 1990 [2]. Die Staats- und Regierungschefs, der Teilnehmerstaaten der Konferenz ĂŒber Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) erklĂ€rten damals:
Die Herstellung der staatlichen Einheit Deutschlands ist ein bedeutsamer Beitrag zu einer dauerhaften und gerechten Friedensordnung fĂŒr ein geeintes demokratisches Europa, das sich seiner Verantwortung fĂŒr StabilitĂ€t, Frieden und Zusammenarbeit bewuĂt ist. Die Teilnahme nordamerikanischer wie europĂ€ischer Staaten ist ein bestimmendes Merkmal der KSZE; sie liegt den in der Vergangenheit erzielten Erfolgen zugrunde und bleibt wesentlich auch fĂŒr die Zukunft des KSZE-Prozesses.
Das unerschĂŒtterliche Festhalten an gemeinsamen Werten und an unserem gemeinsamen Erbe bindet uns aneinander. Bei all der reichen Vielfalt unserer Nationen sind wir vereint in der Verpflichtung, unsere Zusammenarbeit in allen Bereichen auszubauen. Die Herausforderungen, denen wir uns gegenĂŒbersehen, können nur durch gemeinsames Handeln, Zusammenarbeit und SolidaritĂ€t bewĂ€ltigt werden.
Aus der Charta von Paris fĂŒr ein neues Europa, 21. November 1990
Emmanuel Macron bezog sich in seinen aktuellen AusfĂŒhrungen auf die Klagen des russischen PrĂ€sidenten Wladimir Putin [3] ĂŒber die Nato-Osterweiterung.
Putin hatte Ende Oktober nach mehr als acht Monaten Krieg gegen die Ukraine seine Bereitschaft zu Friedensverhandlungen bekrÀftigt. Allerdings habe sich die Regierung in der Ukraine unter dem Einfluss der USA gegen solche GesprÀche entschieden, sagte Putin bei einem Moskauer Diskussionsforum mit internationalen Experten.
"Einer der wesentlichen Punkte, auf die wir eingehen mĂŒssen, wie PrĂ€sident Putin immer gesagt hat, ist die Furcht, dass die Nato an die TĂŒren Russlands heranrĂŒckt, und die Stationierung von Waffen, die Russland bedrohen könnten", sagte Macron.
"Dieses Thema wird Teil der Themen fĂŒr einen Frieden sein. Deswegen mĂŒssen wir ausarbeiten, wozu wir bereit sind, wie wir unsere Partner und Mitgliedsstaaten schĂŒtzen, und wie wir Russland Garantien geben, sobald es an den Verhandlungstisch zurĂŒckkehrt."
Am 13. Dezember wird Frankreich eine Konferenz zur UnterstĂŒtzung der Ukraine ausrichten, was Macron wegen des inzwischen angebrochenen Winters als dringend einschĂ€tzt. Das russische AuĂenministerium hatte am 17. Dezember 2021 zwei VertragsvorschlĂ€ge veröffentlicht, um der Weltöffentlichkeit zu verdeutlichen, worum es Russland im Ukraine-Konflikt gehe.
Worum es Russland nach eigenem Bekunden geht
Das sind im Wesentlichen die folgenden Eckpfeiler [4]:
⹠Keine Nato-MilitÀrmanöver nahe der russischen Grenze, keine russischen MilitÀrmanöver nahe der Grenze zu Nato-Staaten.
⹠Keine Stationierung von atomwaffenfÀhigen Mittelstreckenraketen und Abschussrampen in Europa, also auch nicht im europÀischen Teil Russlands.
âą Keine Stationierung von Atomwaffen auĂerhalb des eigenen Landes (was sich auf die AtommĂ€chte, vor allem USA und Russland bezieht und dem Atomwaffensperrvertrag entspricht).
âą Keine FlĂŒge von Kampfjets und die gefĂ€hrlichen Manöver von Kriegsschiffen so nahe an der Grenze des anderen patrouillieren lassen, dass ein Angriff möglich wĂ€re.
⹠Keine Kriegsschiffe so dicht an die Grenze des anderen bringen, dass sie ihn mit Raketen angreifen könnten.
âą RĂŒckkehr zur Nato-Russland-Grundakte, die eine dauerhafte Stationierung von Nato-Truppen in Osteuropa verbietet.
Die zentralen Formulierungen des russischen Vertragsentwurfes zu diesen Eckpfeilern [5] lauten:
Artikel 1: Die Teilnehmer lassen sich in ihren Beziehungen von den Prinzipien der Zusammenarbeit, der gleichen und unteilbaren Sicherheit leiten. Sie stÀrken ihre Sicherheit nicht individuell, im Rahmen einer internationalen Organisation, MilitÀrallianz oder Koalition auf Kosten der Sicherheit anderer.
Die Teilnehmer verpflichten sich in ihren Beziehungen, alle internationalen Streitigkeiten friedlich beizulegen und auch jede Anwendung von Gewalt oder die Androhung ihrer Anwendung zu unterlassen, die in irgendeiner Weise mit den Zielen der Vereinten Nationen unvereinbar ist. (âŠ)
Artikel 2: Um Probleme und problematische Situationen zu lösen, nutzen die Teilnehmer die Mechanismen dringender Konsultationen auf bilateraler und multilateraler Basis, einschlieĂlich des Russland-Nato-Rates. Die Teilnehmer tauschen regelmĂ€Ăig auf freiwilliger Basis EinschĂ€tzungen zu aktuellen Bedrohungen und Herausforderungen fĂŒr die Sicherheit aus, informieren sich gegenseitig ĂŒber militĂ€rische Ăbungen und Manöver (âŠ).
Artikel 3: Die Teilnehmer bestÀtigen, dass sie sich nicht als Gegner betrachten. Die Teilnehmer pflegen einen Dialog und interagieren. (...)
Artikel 4: Die Russische Föderation bzw. alle Teilnehmer, die am 27. Mai 1997 Mitgliedstaaten der Nordatlantikpakt-Organisation waren, setzen ihre StreitkrÀfte und Waffen nicht zusÀtzlich zu den stationierten StreitkrÀften auf dem Territorium aller anderen Staaten Europas ein.
Artikel 5: Die Teilnehmer schlieĂen den Einsatz von bodengestĂŒtzten Mittel- und Kurzstreckenraketen in Gebieten aus, von denen aus sie Ziele auf dem Hoheitsgebiet anderer Teilnehmer treffen können.
Artikel 6: Teilnehmer, die Mitgliedsstaaten der Nordatlantikpakt-Organisation sind, verpflichten sich, eine Erweiterung der Nato einschlieĂlich des Beitritts der Ukraine sowie anderer Staaten auszuschlieĂen.
Artikel 7: Um das Auftreten von ZwischenfĂ€llen zu vermeiden, fĂŒhren die Russische Föderation und die Teilnehmer, die Mitgliedstaaten der Nordatlantikpakt-Organisation sind, keine MilitĂ€rĂŒbungen und anderen militĂ€rischen AktivitĂ€ten oberhalb der Brigadeebene in einem Streifen vereinbarter Breite und Konfiguration auf beiden Seiten der Grenzlinie der Russischen Föderation und der Staaten, die mit ihr in einem MilitĂ€rbĂŒndnis stehen, sowie Teilnehmer, die Mitgliedsstaaten der Nordatlantikpakt-Organisation sind, durch.
Artikel 8: Dieses Abkommen berĂŒhrt weder die primĂ€re Verantwortung des UN-Sicherheitsrates fĂŒr die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit noch die Rechte und Pflichten der Mitglieder gemÀà der UN-Charta und darf nicht so ausgelegt werden. (âŠ)
Auf diese Forderung nach Sicherheitsgarantien antwortete die der Nato Ende Januar dieses Jahres [6]: Der MilitĂ€rpakt und die USA lehnten die von Russland geforderten Sicherheitsgarantien offiziell ab. Ein Abzug aus den östlichen Mitgliedsstaaten kam fĂŒr sie nicht in Frage. Nato-Chef Stoltenberg sprach damals schon indirekt ĂŒber einen BĂŒndnisfall.
Die kurzfristig angesetzte Pressekonferenz von Nato-Chef Jens Stoltenberg begann eine halbe Stunde spĂ€ter. Die Stimmung war dĂŒster, Stoltenberg wirkte Ă€uĂerst angespannt. Er verkĂŒndet, was die 30 Nato-LĂ€nder am Morgen beschlossen hatten: Die Allianz hat am Mittwoch schriftlich auf die Forderungen Moskaus nach "Sicherheitsgarantien" geantwortet und dabei keine gröĂeren ZugestĂ€ndnisse gemacht.
Die Welt, 27. Januar 2022
Kampf um Deutungshoheit mit Strafgesetzbuch unter dem Arm
Diese Entwicklung nachzuzeichnen und in Erinnerung zu rufen, stellt keine UnterstĂŒtzung des Krieges in der Ukraine dar. Es ist allerdings eine notwendige GegenaufklĂ€rung angesichts von Desinformation und Halbwahrheiten, die vom politischen Westen, der Nato und der Ampel-Bundesregierung verbreitet werden. Ihre Gesetzgebung gegen mutmaĂliche Desinformation ist Heuchelei nach dem Prinzip des RĂ€ubers, der auf den Horizont zeigt und ruft: "Haltet den Dieb!"
Die Ampel-Regierung schafft mit der Neufassung des Paragraphen 130, der im Oktober â von der Ăffentlichkeit fast unbemerkt â geĂ€ndert wurde [7], eine Grauzone, in der auch zum Beispiel Gegner des Vorgehens der Nato ihre Argumente zurĂŒckhalten mĂŒssten, um nicht wegen Des-Information verfolgt zu werden, wie diese juristische Einordnung des neuen Paragraphen offenbart:
Es wird klargestellt, "dass nicht nur das öffentliche Billigen, Leugnen oder gröbliche Verharmlosen in Bezug auf nationalsozialistische Taten, sondern auch in Bezug auf andere Völkerrechtsverbrechen unter bestimmten Voraussetzungen strafbar ist".
Damit greift der geĂ€nderte Tatbestand deutlicher als die alte Fassung in das Grundrecht auf freie MeinungsĂ€uĂerung und in historische Debatten sowie Diskussionen ĂŒber die Angemessenheit historischer Vergleiche ein.
Die Frage, wo in diesem Zusammenhang eine strafbewehrte "Billigung" des von Russland ausgelösten Krieges gegen die Ukraine beginnt, rĂŒckt damit in eine fĂŒr Interpretationen offene Grauzone, wie man an den Reaktionen auf ĂuĂerungen von Gabriele Krone-Schmalz sieht.
Sie kritisierte den Krieg Russlands gegen die Ukraine in ihren einfĂŒhrenden Worten zu Beginn ihres Vortrages in der Volkshochschule Reutlingen unmissverstĂ€ndlich, verweigerte sich aber dem selektiven Blick des politischen Westens, der nur die VölkerrechtsverstöĂe Russlands ab dem 24. Februar 2022 zur Kenntnis gibt.
Zu ihrem Vortrag findet man folgende juristische Ăberlegung [8] anlĂ€sslich der Neufassung des Paragraphen 130 StrGB:
Der Gesetzestext gibt keinen Aufschluss darĂŒber, ob sich die Vorschrift nur auf gerichtlich festgestellte VerstöĂe gegen das Völkerrecht bezieht. Es stellt sich zudem die Frage, wie deutsche Strafgerichte zu auslĂ€ndischen Ereignissen, die einer andauernden Dynamik unterliegen, beispielsweise dem Ukraine-Konflikt, ausreichende Tatsachenfeststellungen treffen sollen. Die nun von unbestimmten Rechtsbegriffen wie âgröblich verharmlostâ gespickte Norm (âŠ) fĂŒhrt zu Unsicherheiten und ist geeignet, eine offene Diskussion z.B. im Zusammenhang mit der Situation in der Ukraine zu behindern.
Daniel Hauser
Hier ist nicht nur die Meinungsfreiheit in Gefahr, sondern auch die Freiheit der Menschen, sich allumfassend zu informieren.
Unterdessen steigert die Strategie der Nato-Lobby das Risiko eines nuklearen Infernos nicht nur infolge der Gefahr einer militĂ€rischen Eskalation. Die Atomkraftwerke der Ukraine werden auch dadurch zur Gefahr, dass ihre KĂŒhlung durch eine Unterbrechung der Wasserversorgung ausfĂ€llt.
Wer eine weitere Eskalation bewusst nicht vermeiden will, geht das Risiko einer Havarie ein, wie es aktuell der Historiker Sören Neitzel, der schon im MÀrz [9] gegen Diplomatie argumentierte. Er forderte jetzt im Talk mit Markus Lanz: "Wir brauchen eine kriegsfÀhige Bundeswehr" [10].
Seine Orientierung auf Krieg ist eine Orientierung auf das Ende der Zivilisation: Alleine in Europa stehen mit 104 Atomreaktoren fast ein Viertel der Nuklearreaktoren der Welt. Hier gilt das Gebot, das die Friedenstheologin Dorothee Sölle 1983 mit der Wortschöpfung "Atompazifismus" bedachte.
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Links in diesem Artikel:
[1] https://www.tagesspiegel.de/politik/ampel-politiker-lehnen-macrons-ausserungen-zu-sicherheitsgarantien-fur-russland-ab-8968117.html
[2] https://www.bundestag.de/resource/blob/189558/21543d1184c1f627412a3426e86a97cd/charta-data.pdf
[3] https://www.tagesspiegel.de/politik/putin-halt-rede-westen-musse-fruher-oder-spater-mit-russland-reden-8807140.html
[4] https://gesetze-ganz-einfach.de/russlands-vertragsvorschlag-fuer-sicherheitsgarantien/
[5] https://mid.ru/ru/foreign_policy/rso/nato/1790803/
[6] https://www.welt.de/politik/ausland/plus236505803/Nato-lehnt-Sicherheitsgarantien-fuer-Russland-ab-und-fuerchtet-Buendnisfall.html
[7] https://braunschweig-spiegel.de/volksverhetzung-eine-verschaerfung-der-strafbestimmung/
[8] https://www.businesstalk-kudamm.com/recht-steuern/klarstellung-der-strafbarkeit-einschraenkung-der-meinungsfreiheit/
[9] https://www.bundeswehr-journal.de/2022/der-militaerhistoriker-soenke-neitzel-bei-phoenix-zur-ukraine/
[10] https://www.n-tv.de/politik/Nach-dem-russischen-Einmarsch-merken-wir-Wir-sind-blank-article23767060.html
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