Ukraine-Krieg: Exilrussische Rechtsradikale greifen Grenzregion an

Das Logo des "Russischen Freiwiligenkorps", das auf ukrainischer Seite kämpft. Bild: Русский добровольческий корпус / Wikimedia Commons

Der Angriff einer exilrussischen, für die Ukraine kämpfenden Einheit auf russisches Gebiet wirft Fragen auf. Er birgt trotz fehlender Effektivität ein Eskalationspotential.

Sehr überraschend kam eine Flut von Meldungen in regierungsnahen russischen Medien am frühen Donnerstag, ukrainische Truppen hätten ein Dorf in der Region Brjansk überfallen, eine Tankstelle und ein Umspannwerk gesprengt, Geiseln genommen und mehrere Menschen erschossen.

Der russischen Inlandsgeheimdienst FSB kündigte die gewaltsame Vertreibung der Truppe an. Bedenklich an der Meldung ist, dass die Region Brjansk unumstritten Teil Russlands ist und es sich hier um den ersten ukrainischen Bodenangriff auf solches russisches Territorium gehandelt hätte. Kremlsprecher Peskow nannte die Aktion einen "Terrorakt", Putin sagte eine Reise in die nicht weit entfernte Stawropolregion, die zeitgleich geplant gewesen war, ab.

Keine Ukrainer – aber mit ihnen verbündete Exilrussen

Später ruderten einige russischen Medien im Bezug auf die Täterschaft und dem Umfang der Aktion teilweise zurück. Belegt sind mehrere Fotos und Videos aus dem betreffenden Ort, die tatsächlich das Eindringen von Kräften zeigen, die nach der Tradition der ukrainischen Armee zur Unterscheidung von der Russischen Armee gelbe Armbinden tragen.

Dabei handelt es sich aber zumindest von der persönlichen Staatsangehörigkeit gesichert nicht um Ukrainer, sondern um exilrussische Freiwillige, die auf ukrainischer Seite gegen die russischen Invasoren im Nachbarland kämpfen. Ein bei der Aktion angeblich getötetes Mädchen entpuppte sich mittlerweile als verletzt und im Krankenhaus liegend, wodurch ein Todesopfer und zwei Verletzte zu beklagen sind.

Eine militärische Vertreibung der eingedrungenen Truppe wurde nicht erforderlich, da sie sich laut einer Meldung von Tass bereits zwei Stunden nach dem Überfall von sich aus in die Ukraine zurückgezogen hatte. Dabei ließen sie Minen zurück, durch die es beim Durchkämmen des Gebiets in russischen Einheiten weitere Leichtverletzte gab. Die russische Zeitung Kommersant bezeichnete die Aktion am Ende eher als "PR-Kampagne denn als Sabotage und Terrorangriff", die jedoch von den russischen Behörden sehr ernst genommen werde. In Russland hatte sie ein riesiges Medienecho als Breaking News.

Zwei Arten von Russen, die gegen die Invasion kämpfen

Heftigste Diskussion gab es im Anschluss in russischsprachigen Sozialen Netzwerken um die betreffenden exilrussischen Kämpfer und ihre Zugehörigkeit zur ukrainischen Armee. Dabei kämpfen auf ukrainischer Seite gegen die russischen Truppen zwei exilrussische Gruppen, die aber auch wegen sehr unterschiedlichem ideologischen Hintergrund nicht miteinander in Kontakt stehen.

Zum einen gibt es die "Legion Swoboda Rossii" bestehend aus russischen Kriegsgefangenen und Freiwilligen, die auf die ukrainische Seite übergelaufen sind. Sie besteht nach eigenen Angaben aus zwei Bataillonen, die offiziell Teil der internationalen Freiwilligeneinheiten der Ukrainischen Armee sind und im Donbass belegt an Kampfhandlungen beteiligt waren.

Sie kämpfen unter der neuen weiß-blau-weißen Fahne der russischen Opposition, die vor allem von exilrussischen Liberalen geführt wird und ist politisch vor allem in diesen Bereich zu verorten. Diese Einheit hat jedoch mit dem Überfall auf das Dorf in Russland nichts zu tun.

Er ist ein Werk einer rechtsextremen Gruppe, die sich "Russisches Freiwilligenkorps" nennt. Sie bezeichnet sich selbst ebenfalls als Teil der Truppen der Ukraine und nutzt eine rechte Symbolik. Zudem besteht sie nicht aus Überläufern, sondern rekrutiert sich komplett aus Exilrussen. Chef ist der 2017 aus Russland ausgereiste Neofaschist Denis Nikitin.

Als Teil der ukrainischen Armee ist es im Gegensatz zur "Legion" nicht offiziell anerkannt, kooperiert jedoch mit den Truppen der Ukrainer. Das Korps sieht sich in der Tradition der "Weißen Armee", die im Russischen Bürgerkrieg des frühen 20. Jahrhundert gegen die Rote Armee kämpfte. Es lehnt Putin als "Nachfolger des Sowjetregimes" ab. Einige Mitglieder der Einheit sollen nach russischen Quellen davor in der rechtsextremen ukrainischen Einheit Asow gekämpft haben.

Die Spaltung der russischen Rechtsextremen

Allgemein ist in der extremen Rechten unter den Russen das Element eines ultrakonservativen, reaktionären Kurses stärker ausgeprägt als in Deutschland, allerdings gibt es aus geschichtlichen Gründen selbst unter Ultrarechten weniger Sympathie zum offenen Nationalsozialismus deutscher Prägung, da dieser auch auf russischem Boden im Zweiten Weltkrieg unendliches Leid verursacht hat.

Selbst unter radikalen Rechten ist "Faschist" deshalb eher als Schimpfwort gebräuchlich. In den frühen 2010er-Jahren arbeiteten verschiedene Strömungen des politischen Rechtsaußen-Flügels in Opposition zur Regierung Putin zusammen, organisierten "Russische Märsche" und andere Aktionen. Später schwächte die russische Regierung erfolgreich diese Mischbewegung.

Auch durch den immer rechtslastigeren, rückwärts gewandten Regierungskurs versöhnten sich die Offiziellen mit den meisten innerrussischen Reaktionären. Diese wurden oft zu Anhängern des neuen, antidemokratischen Patriotismus, der immer stärker zu einer Art Ideologie der offiziellen "Russischen Welt" wurde.

Als rechte Opposition blieb neben einem versprengten Haufen offener Nationalsozialisten und Romanow-Monarchisten vor allem die exilrussische Rechte übrig, aus der sich das "Russische Freiwilligenkorps" rekrutiert.

Bei der Aktion bei Brjansk ist eine Kooperation mit offiziellen ukrainischen Truppen, die aber nicht direkt am Eindringen auf russisches Staatsgebiet beteiligt waren, wahrscheinlich. Dafür spricht ein Drohnenangriff am Morgen der Sabotageaktion auf das betreffende Gebiet. Offiziell bestreitet die Ukraine eine Beteiligung und stellt den Angriff als innerrussische Provokation dar, obwohl die Angreifer von ukrainischem Gebiet kamen und sich nach dort zurückzogen.

Die exilrussische Onlinezeitung Meduza stellt dazu fest, dass die Kämpfer des "Russischen Freiwilligenkorps" definitiv die letzten Jahre auf ukrainischem Boden verbracht haben, was ohne Unterstützung des offiziellen Kiew nicht denkbar ist.

Ein schlechtes Licht wirft die Aktion laut Meduza in jedem Fall auf die Zuverlässigkeit des Russischen Grenzschutzes. Die regierungsnahe russische Zeitung Nesawismaja Gaseta sieht hinter der Aktion das Ziel, in den russischen Grenzregionen Panik zu verbreiten und hält ukrainische Dementis in Bezug auf eine Beteiligung für widersprüchlich.

Es bleibt nun abzuwarten, ob die heftige verbale Reaktion der russischen Offiziellen auf den Überfall bei Brjansk sich als Strohfeuer entpuppt oder ob er wirklich langfristige politische Folgen haben wird. Spekuliert wird etwa über eine mögliche Erklärung des offiziellen Kriegszustands durch Russland gegenüber der Ukraine und damit dem Ende des Dogmas von einer "militärischen Spezialoperation".

Wie auch immer die Reaktion am Ende aussieht, wird sie wiederum von zahlreichen Analysten als Indikator genutzt werden, was von harten Worten aus dem Kreml nach Kriegsaktionen zu halten ist.