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Ukraine-Krieg: "Tragödie hätte bis zur letzten Minute hin vermieden werden können"

Über 220 USA Marines und ukrainische Streitkräfte im Juli 2016 bei einer Amphibienlandeoperation in Odessa, Ukraine. Bild: Nato, CC BY-NC-ND 2.0

Noam Chomsky über die Hintergründe der russischen Invasion in der Ukraine, Handlungsoptionen und die globalen Perspektiven

Russlands Invasion in der Ukraine hat einen Großteil der Welt kalt erwischt. Es ist ein unprovozierter und ungerechtfertigter Angriff, der als eines der größten Kriegsverbrechen des 21. Jahrhunderts in die Geschichte eingehen wird, argumentiert Noam Chomsky im folgenden Interview, das im englischsprachigen Original auf der Seite truthout.org erschienen ist.

Politische Überlegungen, wie sie vom russischen Präsidenten Wladimir Putin angeführt wurden, könnten nicht als Argumente herangezogen werden, um eine Invasion in eine souveräne Nation zu rechtfertigen, so Chomsky.

Angesichts dieser schrecklichen Invasion müssen die USA jedoch dringende Diplomatie der militärischen Eskalation vorziehen, da letztere ein "Todesurteil für die menschliche Art ohne jeden Sieger" bedeuten könnte, sagt Chomsky im Gespräch mit C.J. Polychroniou von truthout.org.

Noam, Russlands Invasion in die Ukraine hat die meisten Menschen kalt erwischt und die Welt schockiert. Dabei gab es viele Anzeichen dafür, dass Putin durch die Expansion der Nato nach Osten und Washingtons Weigerung sichtlich in Unruhe war, seine als rote Linie gezogenen Sicherheitsanforderungen in Bezug auf die Ukraine ernstzunehmen. Warum, glauben Sie, hat er sich zu diesem Zeitpunkt für eine Invasion entschieden?
Linguist und Sozialkritiker Noam Chomsky gilt als einer der wichtigsten Sprachwissenschaftler des 20. Jahrhunderts. Bild [1]: Σ, CC BY-SA 4.0 [2]
Noam Chomsky: Bevor wir uns der Frage zuwenden, ein paar unbestreitbare Fakten. Das Wichtigste ist, dass die russische Invasion in der Ukraine ein großes Kriegsverbrechen ist, das neben der US-Invasion im Irak und der Hitler-Stalin-Invasion in Polen im September 1939 rangiert, um nur zwei bedeutende Beispiele zu nennen. Es macht immer Sinn, nach Erklärungen zu suchen, aber es gibt keine Rechtfertigung, keine mildernden Umstände.
Nun zur Frage: Es gibt viele überzeugende Einschätzungen über Putins Geisteszustand. Die übliche Erklärung ist, dass er in paranoiden Fantasien gefangen ist, allein handelt, umgeben von unterwürfigen Höflingen, wie sie einem hier (in den USA) begegnen, wenn man sich ansieht, wie die Reste der Republikanischen Partei zur Huldigung ihres Führers nach Mar-a-Lago ziehen.
Die Flut von Beschimpfungen mag angemessen sein, aber vielleicht sollten auch andere Möglichkeiten in Betracht gezogen werden. Vielleicht ließ sich Putin ja tatsächlich davon leiten, was er und seine Mitarbeiter seit Jahren laut und deutlich sagen. Es könnte daher auch folgendes Urteil [3] zutreffen:

Da Putins größte Forderung eine Zusicherung ist, dass die Nato keine weiteren Mitglieder aufnimmt, insbesondere nicht die Ukraine oder Georgien, hätte es offensichtlich keine Grundlage für die gegenwärtige Krise gegeben, wenn es nach dem Ende des Kalten Krieges keine Erweiterung des Bündnisses gegeben hätte oder wenn die Erweiterung im Einklang mit dem Aufbau einer Sicherheitsstruktur in Europa stattgefunden hätte.

Diese Worte stammen vom ehemaligen US-Botschafter in Russland, Jack Matlock, einem der wenigen ernsthaften Russland-Spezialisten im diplomatischen Korps der USA. Er schrieb das obige Zitat kurz vor der Invasion nieder.
Er kommt zu dem Schluss, dass die Krise …

… ohne weiteres durch Zuhilfenahme des gesunden Menschenverstands hätte gelöst werden können. Von jedem vernünftigen Standpunkt aus liegt es im Interesse der Vereinigten Staaten, Frieden und nicht Konflikte zu fördern. Der Versuch, die Ukraine vom russischen Einfluss zu lösen – das erklärte Ziel derjenigen, die für die "Farbrevolutionen" eingetreten sind – war ein ebenso dummes wie gefährliches Unterfangen. Haben wir so schnell die Lektion aus der kubanischen Raketenkrise vergessen?

Matlock steht damit nicht allein. Fast identische Schlussfolgerungen [4] finden sich in Bezug auf die Konfliktursachen in den Memoiren von CIA-Chefs William Burns, einem weiteren der wenigen wirklichen Russland-Spezialisten (in den USA).

Zerstörung im Ukraine-Krieg (0 Bilder) [5]

[6]
Die nachdrücklicheren Standpunkte des Diplomaten George Kennans wurden jüngst häufiger zitiert, sie stimmen mit denen des ehemaligen Verteidigungsministers William Perry ebenso überein, wie mit denen des renommierten wissenschaftlichen Experten für internationale Beziehungen John Mearsheimer [7] und weiterer Persönlichkeiten, die ohne Zweifel dem Mainstream zuzurechnen sind
Nichts davon ist zweideutig. Interne US-Regierungsdokumente [8], die von Wikileaks veröffentlicht wurden, zeigen, dass das rücksichtslose Angebot der Regierung Bush II an die Ukraine, der Nato beizutreten, umgehend scharfe Warnungen aus Russland provoziert hat, das die zunehmende militärische Bedrohung nicht zu tolerieren bereit war. Verständlicherweise.
Nebenbei sei auf den seltsamen Begriff der "Linken" hingewiesen, der regelmäßig angestrengt wird, wenn "die Linke" wegen mangelnder Skepsis gegenüber der "Kreml-Linie" beschimpft wird.
Tatsache ist, um ehrlich zu sein, dass wir nicht wissen, warum die Entscheidung getroffen worden ist, auch nicht, ob sie allein von Putin oder vom russischen Sicherheitsrat getroffen wurde, in dem er die führende Rolle spielt.
Es gibt jedoch einige Dinge, die wir guten Gewissens einschätzen können, einschließlich der Dokumente, die von den gerade zitierten Personen detailliert überprüft worden sind, als sie hohe Regierungsstellen bekleideten.
Kurzgefasst: Die Krise hat sich über 25 Jahren hinweg zusammengebraut, in denen die USA russische Sicherheitsbedenken, insbesondere Moskaus klaren roten Linien, in geradezu verächtlicher Weise zurückgewiesen haben. Das betrifft Georgien, vornehmlich aber auch die Ukraine.

Aus dem Ukraine-Krieg lernen und künftige Krisen vermeiden

Noam Chomsky: Es gibt guten Grund zu der Annahme, dass diese Tragödie bis zur letzten Minute hin hätte vermieden werden können. Wir haben das schon angesprochen: Warum Putin seinen kriminellen Angriff gerade jetzt gestartet hat, darüber können wir nur spekulieren. Aber der unmittelbare Hintergrund ist nicht unbekannt. Er wird gemeinhin verschwiegen, ist aber an sich nicht strittig.
Es ist leicht zu verstehen, warum diejenigen, die unter Verbrechen leiden, es als überflüssig betrachten, darüber zu diskutieren, wie es zu dieser Situation gekommen ist und wie sie hätte vermieden werden können. Dieser Standpunkt ist verständlich, aber falsch.
Wenn wir auf die Tragödie auf eine Weise reagieren wollen, die den Opfern hilft, und noch schlimmere drohende Katastrophen verhindern wollen, dann ist es klug und notwendig, so viel wie möglich darüber zu verstehen, was schiefgelaufen ist und wie der Kurs hätte korrigiert werden können. Heroische Gesten können befriedigend sein. Hilfreich sind sie sicherlich nicht.
Wie schon oft werde ich an eine Lektion erinnert, die ich vor langer Zeit gelernt habe. In den späten 1960er-Jahren nahm ich in Europa an einem Treffen mit einigen Vertretern der Nationalen Befreiungsfront Südvietnams – dem "Viet cong", im US-Jargon – teil. Es war während der kurzen Zeit des intensiven Widerstands gegen die schrecklichen US-Verbrechen in Indochina.
Einige junge Leute waren so wütend, dass sie das Gefühl hatten, angesichts der monströsen Verbrechen nur eine gewaltsame Reaktion tolerieren zu können: Fenster auf der Main Street zerschlagen etwa, oder ein Büro des Reserveoffiziers-Ausbildungskorps in die Luft jagen. Alles andere wurde als Komplizenschaft zu schrecklichen Verbrechen gesehen.
Die Vietnamesen hatten eine gänzlich andere Position. Sie lehnten alle diese Maßnahmen entschieden ab. Sie setzten auf ihre eigene Form des effektiven Protests: ein paar Frauen, die schweigend an den Gräbern von US-Soldaten standen, die in Vietnam getötet worden waren. Sie interessierten sich nicht dafür, was den US-amerikanischen Kriegsgegner als rechtschaffen und ehrenhaft vorkam. Sie wollten überleben.
Das ist eine Lektion, die ich oft in der einen oder anderen Form von Opfern unmenschlichen Leidens im Globalen Süden gelehrt bekommen habe, dem Hauptziel imperialer Gewalt. Eine Lektion, die wir uns – angepasst an die Umstände – zu Herzen nehmen sollten.
Heute besteht die Herausforderung darin, zu verstehen, warum diese Tragödie stattgefunden hat und was hätte getan werden können, um sie abzuwenden. Diese Erkenntnis gilt es mit Blick darauf zu nutzen, was als Nächstes kommt.
Es ist eine tiefgreifende Frage. Wir haben hier nicht den Raum, diesen dringenden Themenkomplex zu erörtern. Tatsächlich aber hat man auf echte oder eingebildete Krisen stets eher mit Waffengewalt als mit Friedenswillen reagiert.
Das ist fast ein Reflex, und die Folgen waren im Allgemeinen schrecklich - für die üblichen Opfer. Es lohnt sich immer, sich um Verständnis zu bemühen und die wahrscheinlichen Folgen des Handelns oder Nichthandelns ein oder zwei Schritte vorauszudenken. Das sind natürlich Binsenweisheiten, aber es lohnt sich, sie zu wiederholen, weil sie in Zeiten der verständlichen Empörung leicht überhört werden.
Die Optionen, die nach der Invasion verbleiben, sind düster. Das geringste Übel besteht in der Unterstützung für die noch verbleibenden diplomatischen Auswege. Dabei geht es um die Hoffnung darauf, ein Ergebnis zu erzielen, das nicht allzu weit von dem entfernt ist, was vor ein paar Tagen noch sehr wahrscheinlich erreichbar gewesen wäre: Die Aushandlung eines neutralen Status für die Ukraine im Stile Österreichs, eine Version des Minsk-II-Föderalismus im Inneren
Das ist nun viel schwieriger zu erreichen. Es wäre notwendigerweise auch eine Exit-Strategie für Putin nötig. Gelingt das nicht, werden die Folgen für die Ukraine und alle anderen noch schlimmer sein, vielleicht fast unvorstellbar – und sicherlich sehr weit weg von Rechtsstaatlichkeit.
Aber wann hat sich in internationalen Angelegenheiten Gerechtigkeit durchgesetzt? Ist es notwendig, die erschreckende Bilanz noch einmal zu überprüfen?
Ob es einem gefällt oder nicht, die Wahlmöglichkeiten reduzieren sich nun auf ein hässliches Ergebnis, das Putin für den Akt der Aggression eher belohnt als bestraft – oder auf die hohe Wahrscheinlichkeit eines ultimativen Krieges. Es mag sich befriedigend anfühlen, den Bären in eine Ecke zu treiben, von der aus er verzweifelt ausschlägt. Sehr weise ist das sicher nicht.
In der Zwischenzeit sollten wir alles in unserer Macht Stehende tun, um diejenigen zu unterstützen, die ihr Heimatland tapfer gegen grausame Aggressoren verteidigen, die vor den Gräueln fliehen und die Tausende mutiger Russen, die sich öffentlich und unter großem persönlichem Risiko gegen die Verbrechen ihres Staates stellen. Sie sind ein Vorbild für uns alle.
Und wir sollten auch versuchen, Wege zu finden, einer viel größeren Gruppe von Opfern zu helfen: allem Leben auf der Erde. Diese Katastrophe ereignete sich zu einem Zeitpunkt, an dem alle großen Mächte, ja wir alle, zusammenarbeiten müssen, um die große Geißel der Umweltzerstörung in den Griff zu bekommen, die bereits jetzt einen hohen Tribut fordert und bald noch viel verheerender werden wird, wenn nicht rasch große Anstrengungen unternommen werden. Um das Offensichtliche zu verdeutlichen, hat der Weltklimarat (IPCC) unlängst die jüngste und bei Weitem bedrohlichste seiner regelmäßigen Einschätzungen darüber veröffentlicht, wie wir auf eine Katastrophe zusteuern.
In der Zwischenzeit sind die notwendigen Maßnahmen ins Stocken geraten oder sogar umgekehrt worden, da dringend benötigte Ressourcen für die Zerstörung aufgewendet werden und die Welt damit nun auf dem Weg ist, die Nutzung fossiler Brennstoffe, einschließlich der gefährlichen und reichlich vorhandenen Kohle auszuweiten.
Eine groteskere Entwicklung könnte sich ein bösartiger Dämon kaum erträumen lassen. Es kann nicht ignoriert werden. Jeder Moment zählt.

Keine Rechtfertigung für Putins Krieg

Die russische Invasion verstößt eindeutig gegen Artikel 2 Absatz 4 der UN-Charta, der die Androhung oder Anwendung von Gewalt gegen die territoriale Integrität eines anderen Staates verbietet. Dennoch versuchte Putin während seiner Rede am 24. Februar, rechtliche Rechtfertigungen für die Invasion zu präsentieren, indem er Kosovo, Irak, Libyen und Syrien als Beweis dafür anführte, dass die Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten wiederholt gegen das Völkerrecht verstoßen haben. Wie kommentieren Sie Putins rechtliche Rechtfertigungen für die Invasion der Ukraine und den Status des Völkerrechts in der Zeit nach dem Kalten Krieg?
Noam Chomsky: Zu Putins Versuch, seine Aggression rechtlich zu rechtfertigen, gibt es nichts zu sagen; sie wird zu nichts führen.
Natürlich ist es richtig, dass die USA und ihre Verbündeten das Völkerrecht ohne Wimperzucken verletzen. Aber das ist keine Entschuldigung für Putins Verbrechen.
Kosovo, Irak und Libyen hatten jedoch direkte Auswirkungen auf den Konflikt um die Ukraine.
Der Einmarsch in den Irak war ein Paradebeispiel für die Verbrechen, für die führende Nazis in Nürnberg gehängt worden sind: eine reine, unprovozierte Aggression. Und ein Schlag ins Gesicht Russlands.
Im Fall des Kosovo wurde die Nato-Aggression, also die Aggression der USA, als "illegal, aber gerechtfertigt" bezeichnet, etwa von der Internationalen Kosovo-Kommission unter dem Vorsitz von Richard Goldstone, weil Bombardierung durchgeführt worden seien, um laufende Gräueltaten zu beenden.
Dieses Urteil erforderte eine Umkehrung der Chronologie. Denn die Beweise, nach denen die Flut von Gräueltaten die Folge der Invasion war, sind erdrückend. Dabei standen diplomatische Optionen [9] zur Verfügung, die jedoch wie üblich zugunsten der Gewalt übergangen wurden.
Hochrangige US-Beamte bestätigen, dass es vor allem die Bombardierung des russischen Verbündeten Serbien war – ohne Moskau im Voraus zu informieren –, die die russischen Bemühungen zunichtemachte, mit den USA in irgendeiner Weise zusammenzuarbeiten, um eine europäische Sicherheitsordnung für die Zeit nach dem Kalten Krieg aufzubauen.
Dieser Trend wurde mit der Invasion des Irak und der Bombardierung Libyens beschleunigt. Russland hatte zuvor zugestimmt, kein Veto gegen eine Resolution des UN-Sicherheitsrats einzulegen, die die Nato umgehend verletzte.
Solche Ereignisse haben Folgen, aber diese Tatsachen können innerhalb eines Glaubenssystems verschleiert werden.
Der Status des Völkerrechts hat sich in der Zeit nach dem Kalten Krieg nicht geändert, nicht einmal in Worten, geschweige denn in Taten. (US-)Präsident (William "Bill") Clinton machte deutlich, dass die USA nicht die Absicht hatten, sich daran zu halten.
In der Clinton-Doktrin wurde erklärt, dass sich die USA das Recht vorbehalten, "einseitig zu handeln, wenn es notwendig ist", einschließlich des "einseitigen Einsatzes militärischer Macht", um lebenswichtige Interessen wie "den ungehinderten Zugang zu wichtigen Märkten, Energiequellen und strategischen Ressourcen" zu verteidigen. Das gilt auch für seine Nachfolger und alle anderen, die ungestraft gegen das Gesetz verstoßen können.
Das soll nicht heißen, dass das Völkerrecht keinen Wert hat. Es hat eine Reihe von Anwendungsmöglichkeiten und ist in mancher Hinsicht ein nützlicher Standard.
Ziel der russischen Invasion scheint es zu sein, die Selensksyj-Regierung zu stürzen und an ihrer Stelle eine prorussische Führung einzusetzen. Doch gleich, was passiert. Die Ukraine steht vor einer entmutigenden Zukunft, weil sie sich zu einem Spielball in Washingtons geostrategischen Spielen gemacht hat. Wie wahrscheinlich ist es in diesem Kontext, dass die Wirtschaftssanktionen Russland dazu veranlassen werden, seine Haltung gegenüber der Ukraine zu ändern?

Oder zielen die Wirtschaftssanktionen womöglich auf etwas Größeres ab, etwa auf die Untergrabung von Putins Kontrolle innerhalb Russlands und seiner Beziehungen zu Ländern wie Kuba, Venezuela und China?

Noam Chomsky: Die Ukraine hat vielleicht nicht die klügsten Entscheidungen getroffen, aber sie hatte nicht die gleichen Möglichkeiten wie die imperialen Staaten.
Ich vermute, dass die Sanktionen Russland in eine noch größere Abhängigkeit von China treiben werden. Wenn es nicht zu einem ernsthaften Kurswechsel kommt, bleibt Russland ein kleptokratischer Petrostaat, der sich auf eine Ressource stützt, deren Nutzung stark abnehmen muss, weil wir uns sonst alle unser eigenes Grab schaufeln.
Es ist nicht klar, ob sein Finanzsystem [10] einem heftigen Angriff standhalten kann, sei es durch Sanktionen oder andere Mittel. Ein Grund mehr, der Führung mit geballten Fäusten in der Tasche einen sauberen Abgang anzubieten.
Westliche Regierungen, führende Oppositionsparteien, einschließlich der Labour Party in Großbritannien, und Leitmedien haben eine chauvinistische antirussische Kampagne begonnen. Zu den Zielen gehören nicht nur Russlands Oligarchen, sondern auch Musiker, Dirigenten und Sänger und sogar Fußballclubbesitzer wie Roman Abramowitsch vom FC Chelsea.

Russland wurde sogar 2022 nach der Invasion von Eurovision verbannt. Dies ist die gleiche Reaktion, die die Unternehmensmedien und die internationale Gemeinschaft im Allgemeinen nach ihrer Invasion und anschließenden Zerstörung des Irak auf die USA gerichtet haben, nicht wahr?

Noam Chomsky: Ihr ironischer Kommentar ist durchaus angemessen. Und wir können auf eine Weise weitermachen, die nur allzu vertraut ist.
Glauben Sie, dass die Invasion eine neue Ära der anhaltenden Auseinandersetzung zwischen Russland (und möglicherweise im Bündnis mit China) und dem Westen einleiten wird?
Noam Chomsky: Es ist schwer zu sagen, wohin die Asche fallen wird - und das könnte sich als keine Metapher herausstellen. Bisher ist China cool geblieben und wird wahrscheinlich versuchen, sein umfangreiches Programm zur wirtschaftlichen Integration eines Großteils der Welt in sein expandierendes globales System voranzutreiben, das vor ein paar Wochen Argentinien in die Belt-and-Road-Initiative aufgenommen hat [11]. Währenddessen schaut Beijing zu, wie sich die übrigen Rivalen gegenseitig fertigmachen.
Wie wir bereits festgestellt haben, würde ein militärischer Konflikt ein Todesurteil ohne jeden Sieger für die menschliche Art bedeuten. Wir befinden uns an einem entscheidenden Punkt in der Menschheitsgeschichte. Das kann nicht geleugnet werden. Das kann nicht ignoriert werden.

Das Interview führte C.J. Polychroniou, Politikwissenschaftler/Politökonom, Autor und Journalist, der an zahlreichen Universitäten und Forschungszentren in Europa und den Vereinigten Staaten gelehrt und gearbeitet hat. Seine Forschungsschwerpunkte sind derzeit die US-Politik und die politische Ökonomie der Vereinigten Staaten, die europäische Wirtschaftsintegration, Globalisierung, Klimawandel und Umweltökonomie sowie die Dekonstruktion des politisch-ökonomischen Projekts des Neoliberalismus.


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[2] https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/legalcode
[3] http://www.defenddemocracy.press/acura-viewpoint-jack-f-matlock-jr-todays-crisis-over-ukraine/
[4] http://www.defenddemocracy.press/bidens-cia-director-doesnt-believe-bidens-story-about-ukraine/
[5] https://www.heise.de/bilderstrecke/bilderstrecke_6655986.html?back=6669066;back=6669066
[6] https://www.heise.de/bilderstrecke/bilderstrecke_6655986.html?back=6669066;back=6669066
[7] https://www.mearsheimer.com/wp-content/uploads/2019/06/Why-the-Ukraine-Crisis-Is.pdf
[8] https://wikileaks.org/plusd/cables/08MOSCOW265_a.html
[9] https://www.abebooks.com/New-Generation-Draws-Line-Kosovo-East/30928511625/bd?cm_mmc=ggl-_-US_Shopp_Trade0to10-_-product_id=COM9781612050744USED-_-keyword=&gclid=Cj0KCQiA3-yQBhD3ARIsAHuHT65PV_Ga4SJ7xubwdXie7J6aSSY2cBjG9zI9Hyd4EMOdCXRpbLQUAgUaAkWoEALw_wcB
[10] https://www.ft.com/content/f7148532-36cd-4683-8f1b-ea79428488c4?segmentId=b0d7e653-3467-12ab-c0f0-77e4424cdb4c
[11] https://thediplomat.com/2022/02/argentina-joins-chinas-belt-and-road/