Ukraine: Nach der Wahl ist vor der Wahl
Die einstigen Helden der Orangen Revolution sind Rivalen geworden, zur Stichwahl um das Präsidentenamt treten nun Janukowitsch, der durch Wahlfälschung 2004 die Revolte auslöste, und Timoschenko, die "Gasprinzessin", an
Am Sonntag war es soweit. Zum fünften Mal seit der Unabhängigkeit 1991 wählten die Ukrainer ihren Präsidenten. Für den bisherigen Amtsinhaber Viktor Juschtschenko ist der Ausgang der Wahl mehr als enttäuschend. Mit 5.5 Prozent ist der einstige Held der Orangenen Revolution hart für die Politik der letzten Jahre abgestraft worden. Wer jedoch sein Nachfolger wird, entscheidet sich bei der Stichwahl am 7. Februar, bei der Viktor Janukowitsch und Julia Timoschenko antreten müssen. Ob Janukowitsch aber auch den zweiten Wahlgang für sich entscheiden kann, wird in Kiew von einigen Experten bezweifelt. Diese glauben eher an einen Sieg der Ministerpräsidentin Timoschenko und berufen sich dabei auf ihr Wahlkampftalent. Timoschenkos möglicher Erfolg hängt aber nicht nur von ihren Wahlkampffähigkeiten ab, sondern auch von den beim ersten Wahlgang unterlegenen Kandidaten. Ihre Wahlempfehlungen dürften die Stichwahl im Februar entscheiden.
"Die Weisheit eines Politikers besteht darin, sauber zu kommen und, wenn es an der Zeit ist, auch sauber und würdig zu gehen." Diesen Ratschlag gab am vergangenen Donnerstag die ukrainische Ministerpräsidentin Julia Timoschenko dem noch amtierenden Präsidenten Viktor Juschtschenko. Ein Satz, der alles sagt über das Verhältnis der beiden Politiker. In den Wintertagen des Jahres 2004 noch Weggefährten, die gemeinsam mit Alexander Moros die Orangene Revolution anführten, sind sie heute Rivalen.
Im September 2008, als der Block Julia Timoschenko gemeinsam mit den Stimmen der Partei der Regionen und der Kommunisten in der Werchowna Rada eine Verfassungsänderung zu Ungunsten des Präsidenten durchsetzte, kam es zum endgültigen Bruch des einstigen Traumpaars der Orangenen Revolution (Rosenkrieg der Orangenen Revolutionäre).
Doch der bisherige Präsident Viktor Juschtschenko dachte in den Tagen vor dem Urnengang nicht daran, den Ratschlag Timoschenkos zu befolgen. In einem Wahlkampf, bei dem die Kandidaten mehr mit Rufmordkampagnen gegen ihre Gegner beschäftigt waren als mit politischen Themen, versuchte Juschtschenko noch zu retten, was es zu retten gab. Seiner ehemaligen Weggefährtin Julia Timoschenko warf er vor, ein Offshoreunternehmen auf Zypern zu besitzen. Und am Freitag, dem letzten offiziellen Wahlkampftag, trat der Präsident, ebenso wie seine Gegenkandidaten, noch einmal im Fernsehen auf und warb um die Stimmen der Wähler. Aber wie so oft in den letzten Wochen, wirkte er auch bei diesem Auftritt eher wie Don Quijote als wie ein Politiker mit Zukunft. Gerade mal 4 Prozent der Stimmen prognostizierte das Meinungsforschungsinstitut Socis Viktor Juschtschenko in der letzten vor der Wahl veröffentlichten Umfrage.
Dass sich die Demoskopen mit ihren Vorhersagen nicht geirrt haben, beweist das endgültige Auszählungsergebnis. Nur 5.5 Prozent aller Wahlberechtigten stimmten am Sonntag für Viktor Juschtschenko. Für den Präsidenten ein erschreckendes Ergebnis, denn es bedeutet für ihn nicht nur den Abschied von seinem Amt, sondern aller Wahrscheinlichkeit nach auch das Ende der politischen Karriere. Zu sehr identifizieren die Ukrainer Viktor Juschtschenko mit nicht eingelösten Versprechen aus der Orangenen Revolution, wie der Annäherung des Landes an die Europäische Union, und der seit Jahren andauernden politischen Krise, in der Juschtschenko oft hilflos agierte, ebenso wie während der für die Ukraine verheerenden Wirtschaftskrise. Dafür straften ihn die Ukrainer nun ab und sorgten bei dem Wahlverlierer und seinem Stab, trotz der bekannten Wahlprognosen, für Katerstimmung. Erst am Montag äußerte sich der Juschtschenko-Vertraute Roman Bessmertnij, der die Wahl als "fair und demokratisch" bezeichnete, als erster Vertreter des Präsidialamtes zu dem Ausgang der Wahlen.
Zufrieden kann dagegen Julia Timoschenko sein. 25 Prozent erhielt die Ministerpräsidentin am Sonntag und schaffte es damit in die Stichwahl gegen Viktor Janukowitsch, der mit 35 Prozent Sieger des ersten Wahlgangs wurde. Doch auch wenn die einstige "Gasprinzessin" damit ein besseres Ergebnis erreichte als es ihr die Demoskopen vorhersagten, die sie bei 16 Prozent sahen, ist das Ergebnis für sie kein Grund zur Freude. Seit zwei Jahren ist die Orangene Revolutionärin nun Regierungschefin und für viele Ukrainer, vor allem für jene, die vor fünf Jahren den Umbruch unterstützten, mitverantwortlich für die momentane politische Situation, was sich in dem aktuellen Wahlergebnis auch widerspiegelt. Denn im Vergleich zu den Parlamentswahlen 2007 (Ukraine: Kein Ausweg aus der Krise), erhielt sie diesmal fünf Prozent weniger.
Ganz anders sieht es dagegen bei Viktor Janukowitsch aus. Vergleicht man das Ergebnis der Parlamentswahlen von 2007 mit den diesjährigen Präsidentschaftswahlen, stellt man fest, dass der Vorsitzende der Partei der Regionen eine treue Stammwählerschaft von 35 Prozent hat. Diese Anhänger hat Janukowitsch vorwiegend zwar immer noch in der russischsprachigen Ostukraine, doch der Politiker, der 2004 noch durch Wahlfälschung zum Präsidenten wurde und dadurch die Orangene Revolution auslöste, konnte mittlerweile auch einige Stimmen im Westen des Landes für sich gewinnen. Eine Entwicklung, an der Janukowitsch selbst gewirkt hat. Er hat erkannt, dass ohne die Stimmen aus dem westlichen Teil des Landes, in dem die pro-westlichen Orangenen die bisher treibenden Kräfte sind, keine Wahlen zu gewinnen sind, was man in seinem diesjährigen Wahlkampf auch sah. Janukowitsch absolvierte nicht nur einige Wahlkampfauftritte in der Westukraine, nein, er sprach sich auch für eine Annäherung des Landes an die Europäische Union aus – was auch seiner Nähe zu einflussreichen Oligarchen wie Rinat Achmetow geschuldet ist, die sich durch eine Bindung des Landes an die EU mehr Schutz vor der russischen Konkurrenz versprechen –, sowie gegen eine Gleichstellung der russischen Sprache mit der Ukrainischen, wofür er bisher plädierte. Zwei Argumente, die in der Westukraine mit Wohlwollen aufgenommen werden.
Meinungsforscher sehen weiterhin Chancen, dass Timoschenko die Wahl gewinnen kann
Viktor Janukowitsch kann aber nicht nur mit dem Ergebnis des ersten Wahlgangs zufrieden sein. Auch die vor der Wahl durchgeführten Umfragen sagen dem aus der Oblast Donezk stammenden Janukowitsch einen Sieg für den 7. Februar voraus. Für Janukowitsch jedoch kein Grund, sich auf seinem Wahlerfolg auszuruhen. "Janukowitsch' Wählerpotential wurde voll ausgeschöpft. Und obwohl seine Wähler zu ihm stehen und ihn bisher nicht enttäuscht haben, sie werden nicht mehr. Timoschenko, als eine großartige Rednerin, hat die Chance diese Wahlen zu gewinnen", erklärte am Montag der Meinungsforscher Viktor Neboschenko gegenüber der englischsprachigen Kyiv Post. Auch andere Demoskopen teilen seine Meinung. "Es ist schwierig, den Ausgang der Stichwahl vorherzusagen. Aber für Janukowitsch wird es im Gegensatz zu Timoschenko schwerer sein, noch mehr Wähler zu gewinnen", sagte beispielsweise Oleg Dergatschew der in Kiew erscheinenden Tageszeitung.
Der Gefahr ist sich der zweimalige Ministerpräsident und Beinah-Präsident von 2004 bewusst. "Den Wählern, die für andere Kandidaten gestimmt haben, muss man zu verstehen geben, dass ihre Stimme nicht umsonst war", sagte Viktor Janukowitsch auf einer gestern stattgefundenen Pressekonferenz und erklärte sich bereit, einige Punkte aus dem Programm anderer Kandidaten in sein Programm aufzunehmen.
Auf die Unterstützung der anderen Kandidaten und somit auf deren Wähler setzt aber auch Julia Timoschenko. Noch am Sonntag erklärte die Ministerpräsidentin, sich mit den anderen Kandidaten zu Gesprächen treffen zu wollen. Doch sowohl der Bänker und Multimillionär Sergej Tigipko, der mit 13.5 Prozent Dritter wurde, der ehemalige Außenminister und Parlamentspräsident Alexej Jazenjuk, der am Sonntag 6.9 Prozent der Stimmen erhielt und somit Vierter wurde, als auch Viktor Juschtschenko, gaben bisher keine Wahlempfehlung ab. Und auch in den nächsten Wochen wollen sie weder Janukowitsch noch Timoschenko unterstützen, wie die unterlegenen Kandidaten am Sonntag unabhängig voneinander erklärten.
Inwieweit hinter diesen Aussagen politisches Kalkül herrscht, wird sich in den nächsten Wochen zeigen. Wenn Tigipko oder Jazenjuk von Viktor Janukowitsch oder Julia Timoschenko ein interessantes Gegenangebot bekommen, ist es mehr als realistisch, dass sie eine Wahlempfehlung für einen der beiden übrig gebliebenen Kandidaten aussprechen. Doch bis dahin müssen sich Viktor Janukowitsch und Julia Timoschenko weiterhin einen erbitterten Wahlkampf liefern, in dem vor allem die Ministerpräsidentin ihr politisches Feingefühl zeigen wird. Eine Gabe, die die letzte erfolgreiche Orangene Revolutionärin in den letzten Jahren wiederholt offenbart hat. Bestes Beispiel dafür ist ihre außenpolitische Wandlung. Während sie vor fünf Jahren noch für eine schnellstmögliche Annäherung der Ukraine an die NATO und die Europäische Union plädierte, unterstützt sie heute nur noch die Bindung an die EU, was zu offenen Differenzen zwischen ihr und Juschtschenko während des russisch-georgischen Krieges führte (Ukraine: Flucht in die NATO).
Gerüchte über Wahlfälschungen machen wieder die Runde
In den nächsten drei Wochen wird die Ukraine aber auch einen Wahlkampf erleben, über den schon in den vergangenen Wochen der Geist der Orangenen Revolution schwebte. Wenige Tage vor dem ersten Urnengang wurden die ersten Gerüchte gestreut, dass in manchen Bezirken Wahlfälschungen stattfinden könnten. Und am Montag behauptete das Timoschenko-Lager, dass einige Wahlprognosen zum Vorteil von Janukowitsch manipuliert wurden.
Die Gerüchte scheinen bei Janukowitsch Erinnerungen an 2004 geweckt zu haben. Nach Angaben ukrainischer Medien soll Viktor Janukowitsch mehrere tausend Anhänger aus der Ostukraine in die Hauptstadt Kiew beordert haben, um nicht noch einmal durch Proteste aus dem Präsidentenpalast verdrängt zu werden. In den letzten Tagen sollen sich aber auch mehrere tausend Anhänger von Julia Timoschenko in die ukrainische Hauptstadt aufgemacht haben. Doch bis jetzt hat sich keine der zwei Gruppen in Kiew besonders bemerkbar gemacht.