Umwelt oder Vererbung? Umwelt wird vererbt!
Umweltschäden können sich auch noch in Folgegenerationen zeigen
"Die Erkrankung kommt von Deiner Urgroßmutter, weil sie während der Schwangerschaft mit Deiner Mutter den Schadstoff eingenommen hatte."
Eine sicher ungewöhnliche Feststellung. Gleichwohl berichten Michael Skinner und Mitarbeiter in der neuesten Ausgabe von Science über ihre Ergebnisse, nach denen ein Umweltgift, das in einer früheren Schwangerschaft zu bleibenden Schäden geführt hat, auch bei den nachfolgenden Generationen noch wirksam ist. Skinner und seine Mitarbeiter setzen schwangere Ratten bestimmten Umweltgiften aus und zwar in der Phase, in dem sich das Geschlecht der Heranwachsenden manifestiert. Dazu verwenden sie zum einen Vinclozolin und zum anderen Methoxychlor.
Vinclozolin (Ronilan DF, Koner) ist ein Pilz-bekämpfendes Mittel, das vor allem von Winzern im Weinbau eingesetzt wird. Methoxychlor ist ein Unkrautvertilgungsmittel, das DDT ersetzt hat. Beiden Stoffen gemeinsam wird nachgesagt, daß sie Nebenwirkungen im Sinne von endokrinen Modulatoren ("endocrine disruptors") besitzen. Damit greifen sie in den Stoffwechsel der Hypothalamus-Hypophysen-Gonaden-Achse ein, womit sie die Geschlechtshormone beeinträchtigen können.
Schwangere Ratten, die mit diesen Umweltgiften in Kontakt kommen, setzen zwar männliche Nachkommen in die Welt. Die aber sind weniger fruchtbar, weil die Zahl der Samenzellen geringer ist. Dennoch reichen gesunde weibliche Tiere aus, um mit ihnen Nachkommen zu haben. Alle männlichen Ratten in den Folgegenerationen besitzen nun allerdings immer denselben "Fehler": Sie sind "vermindert fruchtbar", und das über die hier geprüften vier Generationen.
Skinner und Mitarbeiter gaben beide Schadstoffe in einer hohen, nicht aber tödlichen Dosis. Insofern müssen die Untersuchungen noch bei normaler Belastung überprüft werden. Dennoch: Die Ergebnisse stellen viele Erkrankungen und ihre Entstehung infrage. In den Worten von Michael Skinner:
Es geht darum, über die Ursachen von Krankheiten neu nachzudenken. Denn was wir gefunden haben, ist wahrscheinlich allgemeingültig.
Erworben oder vererbt?
Erworben oder vererbt, das war bisher die Frage. Erworben sind typischerweise Infektionskrankheiten. Vererbt aber viele Erkrankungen, selbst wenn die Vererbung bisher "noch nicht" gesichert werden konnte. Das, so wird allgemein behauptet, liegt nicht an der komplizierten Vererbung, sondern an dem "noch" unvollständigen Wissen. Deshalb wird der Genforschung seit einigen Jahren eine beherrschende Rolle zugedacht.
Jetzt scheint das Pendel zurückzuschwingen. Mit den Ergebnissen von Skinner und Mitarbeitern werden in zunehmenden Maße "Umweltfaktoren" bedeutsam.
So werden kleine Schädigungen an der DNA nicht durch geheimnisvolle Mutationen "vererbt". Auch werden solche Schäden nicht repariert, weil sie Tier und Mensch nicht sichtbar belasten und deshalb nicht korrigiert werden müssen. Folglich bleiben sie bestehen, ohne etwas Besonderes zu sein.
Die epigenetischen Schädigungen sind damit viel häufiger, als es seit Charles Darwin vermutet wurde. Beispielsweise Brustkrebs oder Prostatakarzinom. Beide Krebsarten nehmen an Häufigkeit erheblich zu. Das was die Ärzte wundert, ist das Ausmaß dieser Zunahme - die Häufigkeit ist sehr viel höher, als es genetische Mutationen vorhersagen.
Werden wir die "evolutionäre" Biologie ändern müssen? Bisher verstand sie sich als Ausdruck von genetischen Besonderheiten. Auch wenn die Umwelt der Platz war, an dem die Veränderungen abliefen, waren sie dennoch durch Mutationen in der DNA gesteuert. Inzwischen schält sich heraus, dass Umweltfaktoren eigenständig schädigen. Auch werden sie, und das ist neu, keineswegs genetisch vorbestimmt. Womit die Bibel doch wieder Recht behält: Auch noch nach Generationen ist der einmal gesetzte Schaden nachweisbar.