Und Allah weiß es besser

Internet und Islam, Teil 2

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Allah wohnt über dem Himmel, außerhalb jeder menschlichen Kategorie. Weswegen Allah nicht modern sein muss. Ob die Gemeinde derer, die an ihn glauben und nolens volens dazu gezwungen sind, sich den menschlichen Kategorien zu stellen, Modernität nötig hat, gehört zu den meist diskutierten Fragen der Gegenwart. Innerhalb der Gemeinde (Umma) ebenso wie außerhalb. Der Strahlungsherd dieser Diskussion, seine Wellen und deren Ausläufer waren jedenfalls deutlich spürbar, als Telepolis per Telefon und Email bei deutschsprachigen muslimischen Forumsbetreibern, -Administratoren, - Diskutanten und Webusern nachgefragt hat, ob sich ihrer empirischen Einschätzung nach die These des ersten Artikels dieser Reihe: e-Islam: Geburt einer modernen muslimischen Umma? halten lässt.

"Salamoalykom! Wollt auch ihr endlich aktiv werden im Internet???", fragt ein anonymes Posting im Forum "Topwebmaster.net" und appelliert:

Besucht uns auf unserer Seite und informiert euch und andere über unser Web-Board, das nur für Muslime gedacht ist. Werdet auch Cybermuslim indem ihr uns einfach anonym unterstützt! Wer wir sind? Das wissen wir selbst nicht genau, denn wir "treffen" uns freiwillig und von überall her durch die Hand Allahs auf der Seite der Cybermuslime. Und aus einer kleinen Community scheint eine große zu werden insha'allah

Cybermuslim-Fiction

Dass der beigefügte Link zu einem Einkaufsparadies geführt hat, wie ein enttäuschter Leser beklagt, ist nicht die einzige Irreführung des Postings.

Schon das Signalwort "Cybermuslim" kann, ungeachtet der Intention des posting-Verfassers, auf den falschen Kurs führen, da es in dieser reizvollen Verknüpfung auf schillernde Weise mit einem Verdacht spielt, der sich im gegenwärtigen Klima fortdauernd auf der Lauer halten kann. "Cybermuslim" beschwört genau jenen Ruch von subversivem Underground und Techie-Geschmeidigkeit, der gefährlich schmeckt; westliche Cyber-Wachhunde wittern in der Zusammenstellung Internet und Islam gerne mal unheilvolle Communities, zumal wenn sie nur Muslimen vorbehalten sind, die sich durch die Hand Allahs geleitet von "überall her" treffen, um groß zu werden.

Der glamourhafte "Cyber-Muslim" ist so gesehen ein Konglomerat aus zwei Mainstream-Mythen, dem des "Cyberspace-Underground" und dem des technisch beschlagenen "Muslim", der nur mit seinesgleichen zu tun haben will, Kabale treibt und sich dafür einer hochmodernen Technik bedient; naturgemäß sieht die Realität anders aus.

Wie wichtig ist das Internet für die deutschsprachigen Muslime?

Zumindest in diesem Punkt waren sich die angerufenen und angemailten Betreiber von islamischen Webseiten, Foren und Internetverteilern einig: es ist wichtig.

Das Internet stellt eine hervorragende Möglichkeit dar, das eigene Wissen mit anderen zu teilen. So werden heute viele Probleme und deren Lösung im Internet besprochen. Diese Beiträge erhalten entsprechend eine hohe Qualität durch ständige Verbesserungen und nicht zuletzt durch Sheiks und Gelehrte, die ebenfalls im Internet vertreten sind. Wir Muslime sind in keinster Weise dem technischen Fortschritt abgeneigt...Sicherlich stellt das Leben in Deutschland oder in einem anderen nichtmuslimischen Land den zentralen Punkt vieler Konversationen...Betrachten Sie alleine mal die vielen Beiträge zum 'Kopftuchstreit' in vielen Foren. Hier hilft das Internet entsprechend sich auszutauschen oder neue Denkanstöße zu vermitteln. Sowie Aufklärung in jeglicher Form zu betreiben: Edin-Husein Topgcagic, Webmaster von Moslem.de

Die Jugend hängt im Internet. Das ist auch eine Angelegenheit der Sprache. Die wenigsten sprechen noch türkisch und die Alten nur wenig deutsch. Die islamische Identität, die Suche danach, ist der neuen Generation (von Türken, Anm.d. V.) in Deutschland sehr wichtig. Seit dem 11.September noch wichtiger. Die zweite und dritte Generation ist sehr viel aufgeklärter als die erste, was zu Widersprüchen zur traditionell verstandenen Religiosität der Älteren führt. Wenn ein Muslim am jüngsten Tag vor Allah tritt und die Frage zu beantworten hat: "Warum bist du Muslim?", dann haben viele Ältere nach Ansicht der Jüngeren nur zu sagen: "Aus Tradition!" Das würde den Jüngeren nicht mehr genügen. Sie haben ein anderes Bewusstsein von Ihrem Glauben. Sie glauben bewusster. Das Internetangebot an Information mit Handlungshinweisen, -empfehlungen, spielt hier eine entscheidende Rolle.

Yaruz Özoguz, Betreiber von Muslim-Markt

Alle Ihre Fragen sind fast uneingeschränkt mit ja zu beantworten

das Team von islam.de

Das Internet spielt eine wichtige Rolle für die Muslime. Zum Beispiel für unsere Arbeit hier in Österreich. Wir haben einen großen Internetverteiler, keine Homepage, ein mail-service, mit Verweisen auf Zeitungsartikel, Veranstaltungen etc. Unter unseren etwa 500 Abonnenten sind einige Multiplikatoren. Wir bekommen demzufolge auch Antworten von Leuten, bei denen wir ganz überrascht sind, dass die von uns wissen. Das ist alles ganz wichtig für den innermuslimischen Diskurs!

Amina Baghajati, Medienreferentin der Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich

Das Internet hat für die Bildung und der Organisation der Ummah bzw. Gruppen und Sekten eine große Bedeutung bzw. noch sehr viel Potential

Yama, Betreiber des Forums "Sarriyya"

Große Einigkeit also darüber, dass das Internet wichtig ist; aber wie steht es mit der viel beschworenen Wissensvermittlung, die Netzseiten bereithalten? Hat, wie im ersten Teil (vgl. e-Islam: Geburt einer modernen muslimischen Umma?) gefragt, das Internet auch die Konzepte darüber beeinflusst, was der Islam ist und wer welche Autorität besitzt, um darüber zu sprechen? Was sagen die Praktiker dazu ?

Moderner Selbstauslegungs-Islam?

Ich habe vor kurzem ein gespräch mit einem freund gehabt, was mir folgendes zeigte, das es viele unterschiedliche meinung zu verschiedenen themen im islam gibt. Er wurde in manchen bereichen des islam ganz anders erzogen bzw. informiert wie ich. Und als ich die wahre interpretation des Heiligen Koran suchte (weil ich leider kein arabisch kann) traf ich auf verschiedene informationen (im internet und in verschiedenen moscheen). Ich glaube mal das auch nicht jeder moslem in der lage ist den koran richtig zu verstehen oder ? wenn ja was kann ich tun damit keine fehler entstehen. Wenn ich die aussagen der hocas vergleiche bin ich ganz durcheinander. Ich habe in diesem forum sogar sehr oft gesehen wie ein paar verschiedener meinung waren. Und was ist mit den hadiths wie sicher kann man sein das die glaubensquellen der wahrheit entsprechen. Ich hoffe ihr könnt mir helfen

Forumsbeitrag im muslim-forum.de

Unterwandert das Internet religiöse Autoritäten durch die Möglichkeit der individuellen Wissensbildung? Die Sache mit den Fatwas beispielsweise (religiöses Gutachten) sei hierzulande nie richtig verstanden worden, sagte Yaruz Özoguz, einer der Chefs von Muslim-Markt, am Telefon. Man verstehe das hier nur in Analogie zum Papst und dessen Unfehlbarkeit. Das sei aber im Islam ganz anders, weshalb es im Übrigen am Ende jeder Fatwa auch heißt: Und Allah weiß es besser. Es obliege dem Gläubigen, seinen Mudschtahid auszuwählen. So wie man etwa an der Uni auch seinen Professor aussuche, der einem glaubwürdig und kompetent erscheint. Die Frage der Autorität stelle sich also nicht in diesem Sinn.

"Massenweise", etwa 10 bis 20 Fatwa-Anfragen per Email bekommt Özoguz täglich. Nur die wenigsten werden veröffentlicht, die meisten sind privat. Auch hier zeige sich ein beinahe demokratisches Verständnis der jüngeren Generation, die sich selbst aussuche, wem sie vertraut. Özoguz selbst vertraut den Fatwas des iranischen Ayatollahs Khamenei; er betreibt neben dem Muslim-Markt auch die Site Khamenei.de.

Eine Art "Homeschooling" auf höherem Niveau ist möglich, schreibt der Betreiber des Sarriyya-Forums, rege beteiligt auch an vielen, teilweise sehr hintergründigen Diskussionen über Grundsätzliches zum Islam in anderen Foren, z.B. hier; "es gibt Ahadith-Archive mit Suchfunktionen, den Koran mit Erklärungen von den verschiedensten Gelehrten...Fatwas zu den verschiedensten Themen".

So könne man im Netz auf sehr einfache Art Sachverhalte lernen, die man vor hundert Jahren an Medressen (Schulen) lernen/studieren musste. Allerdings bestünde die Gefahr, dass sich die Internetbildung zum Fastfoodunterricht entwickelt; "...durch das Internet allein kann man nicht viel Wissen erlangen...wenn man (sich) nicht noch im real life informiert, diskutiert und liest".

Das Internet kann zu einer Festigung der Ummah durch Chats und Foren führen und auch zu einer besseren Bildung der Muslime über ihren Din (Religion, Weg, Ideologie) aber zur Zeit sehe ich keine richtigen bzw. viele Fortschritte in Richtung besserer und schnellerer Bildung... die Qualität ist noch zu niedrig und es beteiligen sich wenige bzw. nutzen wenige Muslime das Internet zu Themen ihrer Religion.

Eine Moderatorin des Muslim.de-Forums warnt in einem Mail ausdrücklich davor, das "Hinterfragen diverser Artikel" als modernen "Selbstauslegungs-Islam" falsch zu verstehen.

Es gibt, wie im Christen-und Judentum, auch im Islam unterschiedliche Gruppierungen, die versuchen, ihre falsche Aqida zu verbreiten und vor diesen müssen unsere Geschwister bewahrt werden.

Im Islam zählen einzig und alleine der Koran und die Sunna des Propheten (s.a.s.) - wobei man hier auch zwischen starken und schwachen Überlieferungen unterscheiden muss.

Nur dürfen wir Muslime nicht den Fehler machen und blind irgendwelchen Sheikhs oder Texten im Internet folgen, sondern müssen mit unserem gesunden Menschen-Verstand entscheiden, was richtig oder falsch ist.

Dann der Satz, der zur ursprünglichen Fragestellung zurückführt und dem Enthusiasmus von Peter Mandaville (siehe e-Islam: Geburt einer modernen muslimischen Umma?), der in der Fragmentierung der traditionellen Quellen von Autorität im Netz, einen modernen, wenn nicht postmodernen (Bei)Klang des Islam erkennen will, enge Grenzen zieht:

Aber von einer "modernen Ummah" kann man nicht sprechen, denn es wird niemals einen "modernen Islam" geben.

Im dritten Teil: Umma, Partizipation und Aufklärung nach innen und außen