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Und du sagst, mit meinem Gefühl stimmt etwas nicht?

Grafik: TP

Das Eurobarometer 449 zum Thema geschlechterspezifische Gewalt: Unkonkrete Fragen und das Vermengen diverser Sachverhalte bringen mehr Konfusion als Aufklärung

Das Eurobaromater 449 [1] ist eine Umfrage, die von der Europäischen Kommission, Generaldirektion Justiz und Verbraucher, in Auftrag gegeben und von der Generaldirektion Kommunikation koordiniert wurde. Es soll Aufschluss über die Wahrnehmung geschlechtsspezifischer Gewalt geben und folgende Aspekte beleuchten:

Wahrnehmung der Verbreitung häuslicher Gewalt, persönliche Bekanntschaft mit einem Opfer häuslicher Gewalt, die Frage, mit wem die Menschen in einem solchen Fall sprechen, sowie die Gründe dafür, warum sie mit niemandem sprechen; Meinungen dazu, wo es am wahrscheinlichsten zu Gewalt gegen Frauen kommt; Meinungen und Einstellungen zu geschlechtsspezifischer Gewalt einschließlich der Frage, ob es Umstände gibt, die Geschlechtsverkehr ohne Einwilligung rechtfertigen; Wahrnehmung der Verbreitung sexueller Belästigung; die Frage, ob eine Reihe von Akten geschlechtsspezifischer Gewalt falsch und gesetzwidrig sind oder gesetzwidrig sein sollten.

Das Ziel, hierüber einmal eindeutige Daten zu erhalten, ist hehr - doch zeigt sich bereits bei den Fragestellungen, dass nicht nur Teilbereiche unnötig vermengt werden, sondern auch die Fragestellungen unklar und Anlass für Konfusion sind.

Glauben Sie, dass es Menschen gibt, die ...

Eine wichtige Frage ist jene, ob die Befragten Sex ohne Einwilligung unter bestimmten Umständen für richtig erachten oder nicht. Neben den bekannten Aussagen zum Thema Bekleidung (Tragen von provozierender, freizügiger oder sexy Kleidung), dem "Mitgehen" (freiwillig zu jemandem in die Wohnung gehen, z.B. nach einer Party), sowie der Anzahl der Sexualpartner (mehrere Sexualpartner haben) findet sich auch ein Bezug zur "nein heißt nein"-Argumentation (nicht deutlich nein sagen oder sich körperlich nicht dagegen wehren).

Die Frage ist missverständlich gestellt und wird durch eine Einleitung zu einer, deren Intention zwar vielen klar sein dürfte, die aber durchaus auch bei detaillierter Betrachtung dazu führen kann, dass sie anders aufgefasst wird als sie gemeint ist. So wird nicht gefragt "halten Sie Geschlechtsverkehr ohne Einwilligung in den folgenden Situationen für gerechtfertigt?", sondern: "Es gibt Personen, die finden, dass Geschlechtsverkehr ohne Einwilligung unter bestimmten Umständen gerechtfertigt ist. Glauben Sie, dass dies auf die folgenden Situationen zutrifft?", gefolgt von der Auflistung der "bestimmten Umstände".

Nun ist die Einleitung vielleicht gut gemeint - doch gut gemeint und gut gemacht sind zweierlei. In diesem Fall könnte die Frage durchaus auch bedeuten, dass jemand nicht Auskunft darüber gibt, unter welchen Umständen er selbst Geschlechtsverkehr ohne Einwilligung für gerechtfertigt hält, sondern ob er glaubt, dass es Menschen gibt, die unter Umstand X Geschlechtsverkehr ohne Einwilligung für gerechtfertigt halten.

Diese Art der irreführenden Fragestellung findet sich in Fragebögen und Umfragen öfter. In einem Fragebogen zum Thema Tierhaltung stand kürzlich beispielsweise folgendes: "Es gibt Menschen, die meinen, dass eine Ernährung von Katzen nur durch Trockenfutter akzeptabel ist. Glauben Sie das?" Auf Nachfrage wurde erläutert, dass sich das "glauben Sie das" auf die Frage der Ernährung durch Trockenfutter bezieht - doch dies geht nicht eindeutig hervor. Ein "ja" kann also hier auch bedeuten, dass ich durchaus glaube, dass es Menschen gibt, die so denken.

Aus diesem Grund ist es wichtig, Fragestellungen in Umfragen so unmissverständlich wie nur irgend möglich zu formulieren. Dies ist auch im Sinne der Auftraggeber, denn durch missverständliche Fragen wird das Ergebnis angreifbar. Selbst wenn die Mehrheit der Befragten die Frage so versteht wie es der Fragesteller gemeint hat, kann von Kritikern eingewandt werden, dass dies nicht eindeutig belegbar ist (durchaus richtig, da die Befragten ja nicht hierzu noch zusätzlich befragt werden).

… die Frage der Gegengewalt

Ähnlich sieht es mit der Meinung, dass Gewalt gegenüber Frauen oft vom Opfer provoziert wird, aus. Da zwischen 6% und 57% der Befragten dieser Aussage zustimmen, lautet die Schlussfolgerung: "Es gibt weiterhin Mitgliedstaaten, in denen im Hinblick auf die Wahrnehmung geschlechtsspezifischer Gewalt noch viel zu tun bleibt, insbesondere im Zusammenhang mit der Ansicht, dass Gewalt gegenüber Frauen oft vom Opfer provoziert wird oder dass Frauen Missbrauchs- oder Vergewaltigungsvorwürfe oftmals erfinden oder übertreiben."

Dabei sagt ein "ich stimme der Aussage zu, dass Gewalt gegenüber Frauen oft vom Opfer provoziert wird" nichts darüber aus, ob die dadurch entstehende Gewalt gerechtfertigt ist. Es sagt lediglich aus, dass angenommen wird, dass bei der Situation auch das Verhalten der Frau (die Frage ist nur auf Frauen als Opfer bezogen) eine ursächliche Rolle gespielt hat.

So kann beispielsweise bereits erfolgte Gewalt als Ursache für die Gegengewalt benannt werden, wobei die anfängliche Gewalt durchaus auch psychisch erfolgt sein kann. Um diesen Aspekt einmal zu verdeutlichen, sei auf den Fall Lorena Bobitt verwiesen, bei der die psychische und physische Gewalt des Mannes zu einer Gewalttat seitens seiner Frau führte, die in einigen Kreisen durchaus positiv aufgenommen wurde.

Bei einer Gewalttat mit umgekehrten Rollen wäre (schon weil oft angenommen wird, dass der Mann in der Beziehung entweder körperlich überlegen ist, was weder etwas über seine Bereitschaft, gewalttätig zu werden noch über seine tatsächliche Überlegenheit aussagt) das Fazit eher, dass der Mann sich hier der Gewalt hätte entziehen müssen bzw. andere Möglichkeiten hätte finden müssen als selbst gewalttätig zu werden. Damit soll weder die anfängliche noch die reaktive Gewalt befürwortet werden.

Auch ist die Ansicht von immerhin zwischen 8% (Schweden) und 47% (Malta) der Befragten, dass Opfer Missbrauchsvorwürfe oft erfinden oder übertreiben etwas, was angesichts der gerade auch medial gerne einseitig betrachteten Fälle von sexueller Gewalt gegenüber Frauen, die sich als erfinden bzw. übertrieben dargestellt haben, nachvollziehbar.

Das Fazit lautet, dass hier noch viel zu tun bleibt im Hinblick auf die Wahrnehmung - offen bleibt allerdings, was sich genau hinter diesem Fazit verbirgt, was also zu tun sei. Ist daran zu arbeiten, dass die Wahrnehmung sich verändert, soll daran gearbeitet werden, dass es zu weniger Falschbeschuldigungen kommt oder zu weniger Übertreibungen? Das Wort "oft" ist in der Fragestellung so vage, dass nicht klar ist, was es bedeutet. Auch hier wären präzisere Fragen wichtig und angeraten.

Ich rackere mich ab ...

Die Verquickung von Gewalt mit "dauernder Kritik, die darauf ausgerichtet ist, dass der andere sich gedemütigt fühlt" ist ein weiterer Kritikpunkt, da auf diese Weise der Gewaltbegriff immer stärker ausgedehnt wird. Insgesamt denken 44%, dass dieses Verhalten nicht gesetzwidrig sein sollte, während 39% sagen, es sollte gesetzwidrig sein, und 13% davon ausgehen, dass es bereits gesetzwidrig ist.

Es ist verständlich, dass ein Mensch, der in einer Beziehung ständig klein gehalten wird, leidet - doch ist es problematisch, wenn solche Beziehungsmuster in einer allzu vagen Fragestellung berücksichtigt werden, ohne dass der Einzelfall bekannt ist. Denn erst bei einer Einzelfallbetrachtung kann überhaupt bewertet werden ob es sich hier um auf Demütigung ausgerichtete Kritik handelt oder nicht.

In Loriots Sketch "Das Frühstücksei" wird dargestellt, wie die Bemerkung, dass das Frühstücksei hart sei, sich zu einer Ehekrise ausweitet, bei der die Ehefrau sich ob der Kritik am Ei im allgemeinen herabgesetzt fühlt, nicht zuletzt wegen ihrer bisherigen Aufopferung innerhalb der Ehe.

Bereits am Anfang des Sketches zeigt sich, wie Kommunikation manchmal abläuft. Während er fragt, wie lange das Ei denn gekocht hat, antwortet sie "zu viele Eier sind gar nicht gesund". Es folgt eine Diskussion darüber, wie denn die Minuten, in denen das Ei gekocht wird, gemessen werden - per Gefühl, wie es seitens der Ehefrau heißt, die angibt, dies schon immer so erledigt zu haben. Die Aussage "dann stimmt mit deinem Gefühl vielleicht etwas nicht" ist dann der endgültige Auslöser der Krise. "Ich stehe den ganzen Tag in der Küche, mache die Wäsche … ärgere mich mit den Kindern rum und du sagst, mit meinem Gefühl stimmt etwas nicht!"

Hier zeigt sich, dass zwischen dem, was intendiert ist, und dem, wie etwas empfunden wird, oft große Unterschiede bestehen. Ein Fakt, der sich in Beziehungen allzu oft zeigt. Die Fragestellung jedoch berücksichtigt diesen Aspekt nicht - sie suggeriert, dass klar und deutlich zu sehen ist, wann es sich um eine auf Demütigung gerichtete Kritik handelt. Wenn dem so ist, dann ist sie als Bestandteil einer per se auf Demütigung gerichteten Beziehung bereits sanktionierbar.

Und die Männer?

Die Frage nach der geschlechtsspezifischen Gewalt gegenüber Männern spielt bei der Umfrage nur eine geringfügige Rolle. Während zwar anfangs noch die Frage gestellt wird, wie verbreitet denn die häusliche Gewalt gegenüber Männern sei und ob diese strafbar sein solle, spielen männliche Opfer in den folgenden Fragen weitgehend eine untergeordnete bis keine Rolle. Manche Fragen (z.B. jene in Bezug auf anzügliche Witze auf der Straße) beziehen sich nur auf Frauen als Opfer, obwohl es hier keinen Grund gibt, Männer per se auszuklammern. In Deutschland halten 3% der Befragten häusliche Gewalt gegen Männer für sehr verbreitet, 19% für ziemlich verbreitet, 54% für nicht sehr verbreitet und 15% halten sie für überhaupt nicht verbreitet.

Die Aufbereitung der Umfrageergebnisse ist verbesserungsbedürftig, für die nächsten Umfragen sind präzisere Fragestellungen und die Einbeziehung der Opfer jeglichen Geschlechtes wünschenswert, auch um die Ergebnisse weniger angreifbar zu gestalten.


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https://www.heise.de/-3554808

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[1] http://ec.europa.eu/COMMFrontOffice/publicopinion/index.cfm/ResultDoc/download/DocumentKy/75839