Ungeimpfte bald ohne Arzt?

Vereinzelt wenden sich Kassenärzte gegen die Behandlung von Corona-Impfverweigerern. Ein Vorschlag aus Baden-Württemberg ging nun zu weit

Im Verlauf der Debatte um Nicht-Geimpfte und eine mögliche Impfpflicht hat die Kassenärztliche Vereinigung in Baden-Württemberg (KVBW) nun einen nicht nur rechtlich fragwürdigen Vorschlag relativiert und ein entsprechendes Schreiben aus dem Netz gelöscht. Darin hatten die beiden KVBW-Vorsitzenden Norbert Metke und Johannes Fechner – beide praktizierende Kassenärzte – ihren Mitgliedern vorgeschlagen, Patienten, die sich einer Corona-Impfung verweigern, de facto von der Behandlung auszuschließen.

In einem Rundschreiben an die Kassenärzte in Baden-Württemberg hatten der Orthopäde Metke und der Allgemeinmediziner Fechner empfohlen, Ungeimpften künftig nur noch ein zehnminütiges Zeitfenster am frühen Morgen anzubieten. Im Original, das Telepolis vorliegt, heißt es:

Ihrer besonderen Verpflichtung, dem Schutz vulnerablen Gruppen nachkommend, ist jedoch folgender Lösungsansatz möglich: Es ist zulässig, getrennte Sprechstunden, von Notfällen abgesehen, für 2G/3G und andere einzurichten (…), z. B. 3G-Sprechstunde von 08.00 - 18.00 Uhr; non 3G-Sprechstunde von 07.00 - 07.10 Uhr.

Auf Nachfrage von Telepolis bestätigte eine KVBW-Sprecherin, dass das Rundschreiben offline genommen wurde. Zu dieser Entscheidung dürften auch andere Formulierungen beigetragen haben. So hatten die KV-Vorsitzenden "Impfverweigerung als frech und gesellschaftlich inakzeptabel" bezeichnet und angefügt: "Völlig zu Recht wird daher gefordert: 2G/3G-Regeln zu einer Voraussetzung für medizinische Behandlungen zu machen." Wo und von wem diese Forderung erhoben wird, schrieben Metke und Fechner nicht.

Man habe das Rundschreiben aus dem Netz genommen, "damit die Diskussion wieder in ruhigeren Bahnen verläuft", so die KVBW-Sprecherin. Man halte "an der Kernaussage fest", fügte sie an: Erstens hätten alle Patientinnen und Patienten das Recht auf eine Behandlung, zugleich seien Ärzte aber auch berechtigt, getrennte Behandlungszeiträume anzubieten, wie es schon jetzt etwa bei infektiologischen Sprechstunden in Kinderarztpraxen die Regel sei. Allerdings sind diese Sprechstunden nicht darauf ausgerichtet, Patientengruppen gezielt auszugrenzen.

KVBW deutet "Kernaussagen" um

In einem Nachtrag zu ihrem umstrittenen Schreiben versuchten Metke und Fechner, die "Kernaussagen" nun umzudeuten. Man halte "nachhaltig" daran fest, "dass (…) es nicht zulässig ist, die Behandlung von 3G/2G-Status abhängig zu machen". Der umstrittene Vorschlag eine zehnminütigen Sprachstunde sei "plakativ" gewesen, "um die Situation zu akzentuieren".

Nach Darstellung der KV-Vorsitzenden aus Stuttgart habe es harsche Reaktionen und Irritationen vorwiegend "im außerärztlichen Bereich" gegeben; beide beklagen sich über die Androhung körperlicher Gewalt gegen sie.

Dies sei "auf diesem Feld der gesellschaftlichen Auseinandersetzung, wie auch auf jedem anderen, nicht zu akzeptieren. Von dem Aufruf selbst, Ungeimpfte in der kassenärztlichen Versorgung gezielt zu benachteiligen, distanzierte sich der KVBW in dem Schreiben nicht.

Die Debatte um die medizinische Versorgung von Ungeimpften ist in den vergangenen Wochen und Monaten immer wieder aufgeflammt und hatte regional für Kontroversen gesorgt. "Wenn Sie nicht gegen Covid-19 geimpft sind, betreten Sie die Praxis nicht.

Aus Fürsorge für meine Mitarbeiterinnen können und müssen wir Ungeimpfte nur behandeln, wenn die Situation lebensbedrohlich erscheint – sonst nur telefonisch", hatte ein Hausarzt im nordrhein-westfälischen Holzwickede auf einem Aushang geschrieben, nachdem er sich – trotz Impfung – selbst mit dem Corona-Virus infiziert hatte.

Ein Arzt aus Hannover will ab 2022 keine Ungeimpften mehr behandeln "und würde dafür sogar vor Gericht ziehen", schreibt die KV Bremen – und fügt an: "Laut Bundesmantelvertrag können Behandlungen nicht so einfach verweigert werden." Die KV Niedersachsen und auch die Ärztekammer des Landes hätten das Vorhaben des Kollegen "deutlich kritisiert", denn:

Nach dem Bundemantelvertrag - Ärzte (§ 13 Abs. 7 BMV-Ä) muss ein Kassenarzt seine Patienten grundsätzlich behandeln. Die Behandlung Ungeimpfter darf nicht abgelehnt werden, sofern ausreichend Schutzausrüstung zur Verfügung steht. Insoweit besteht kein unzumutbares Risiko.

Immer heftigere Polarisierung

Wie in der Ärzteschaft findet die Debatte auch in der Politik statt. "Die vierte Welle trifft unser Land härter, als sie uns treffen müsste", so Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier diese Woche. Alle wüssten, was zu tun ist, "um diese Pandemie endlich hinter uns zu lassen", so Steinmeier, der anfügte: "Wer jetzt immer noch zögert, sich impfen zu lassen, den will ich heute ganz direkt fragen: Was muss eigentlich noch geschehen, um Sie zu überzeugen?"

Zu erwarten ist, dass sich die Kontroverse noch weiter zuspitzt. Denn während die Impfkampagne Hoffnungen auf eine Entspannung der epidemischen Notlage enttäuscht hat, steigt der Druck auf die ungeimpfte Bevölkerungsminderheit.

Eine Diskussion um andere Verfehlungen, etwa beim notwendigen Ausbau der stationären und intensivmedizinischen Kapazitäten oder der Pflege, findet weit weniger Raum.

Der KV-Eklat in Baden-Württemberg steht daher stellvertretend für die Polarisierung, in deren Zuge sich viele Akteure ins Abseits befördern. Dazu gehörten KV-Vertreter mit Empfehlungen für De-facto-Behandlungsverweigerung für "freche" Patienten ebenso wie die Behandlungsverweigerung von Geimpften durch Ärzte aus der Querdenker-Bewegung.