Unheil auf dem Desktop
Das Künstlerduo Jodi lässt drei unheilvolle Browser auf die PCs der Internetnutzer los
Glauben Sie, dass ihr Computer eine rationale Maschine ist? Ein Zahlenfresser, der automatisch tut, was man ihm aufträgt? Jodi wollen das Gegenteil beweisen. Die Computerkunst, die das holländisch-belgischen Künstlerduo seit 1995 geschaffen hat, verwandeln den PC in eine unberechenbare, erschreckende Maschine mit einem finsteren Eigenleben.
Wenn man ihre Website ansieht oder eine der Software-Arbeiten, die sie in den letzten Jahren produziert haben, herunterlädt, beginnt die Kunst sofort damit, Unheil auf dem Desktop anzurichten. Man sieht Textfitzelchen herumfliegen. Fragmente des Computerinterfaces, die wirken, als seien sie durch den Fleischwolf gedreht worden, schweben über den Bildschirm. Windows flackern herum, als wollten sie mit dem User Fangen spielen wollten. Fliegt der Rechner gleich in die Luft? Nein, da laufen nur ein paar Zeilen Code Amok, keine Sorge.
Jetzt haben Joan Hermskerk und Dirk Paesmans, die Künstler hinter dem Netzkunstprojekt, - die erste beiden Silben ihrer Vornamen bilden den Internet-Nom-de-guerre Jodi [1] - wieder Ungutes ausgeheckt. Ihre neueste Arbeit ist eine Serie von unheilvollen Browsern [2], die halb Kunstprojekt, halb funktionierende Programme sind. Sie tragen die seltsamen Namen .nl, .com und .co.kr und übernehmen den Monitor, sobald sie gestartet wurden. Versuchen Sie gar nicht, sie zu benutzen, das machen sie schon selbst. Danke der Nachfrage.
Alle drei stellen automatisch eine Verbindung zu willkürlichen Internetadressen her, die zu dem Domain-Raum gehören, die die Titel der Arbeit angeben. Nicht, dass man das merken würden, denn die Programme zeigen die Daten, die sie von diesen Sites herunterladen, als einen verwirrenden digitalen Brei. Man kann selbst eine URL eingeben, aber schon bald übernimmt das automatisierte Netzkarussell wieder selbst die Kontrolle.
"Unsere Arbeit dreht sich um die Tatsache, dass alles, was man auf dem Monitor des Computers sieht, lediglich verbrämter Code ist", sagt Dirk Paesmans von Jodi. Ihre neuen Browser-Arbeiten nehmen diese Oberfläche weg und lassen den HTML-Code, in dem Websiten geschrieben werden, in viel bizarrerem und manchmal ziemlich verstörendem Aussehen wieder neu erscheinen. Wenn man nicht das eigene Modem hört, wie es eine Verbindung zum Internet herstellt, wüsste man vielleicht gar nicht, dass es sich bei den Daten auf dem Bildschirm um etwas, das mal eine Website war, handelt.
Nachdem Jodi einige Jahre im Web gearbeitet haben, ist es nur konsequent, dass sie sich nun des "Rahmens" selbst, in dem ihre Kunst bisher erschien, annehmen. Jodi sind nicht die ersten Künstler, die ihre Aufmerksamkeit vom "Inhalt" des Internets abwenden und statt dessen die Programme, die Computercode wie BODY TEXT="#00FF00" BGCOLOR="#000000 zu visuellem Material werden lassen, selbst unter die Lupe nehmen. Der erste "Kunst-Bowser" war der "WebStalker", der Ende 1997 von dem britischen Kollektiv I/O/D [3] veröffentlicht wurde. Die Arbeit der Londoner Künstler zeigte nicht die Oberfläche der Websites, die der Browser absurfte, sondern ihr Rohmaterial: den Code, die Struktur der Site, die Links zwischen den verschiedenen Dateien auf dem Server.
In der folgenden Jahren sind die Kunstbrowser fast eine Art Subgenre der Netzkunst geworden. Der amerikanische Künstlerprogrammierer Maciej Wisniewski entwickelte 1998 Netomat [4], einen Browser, der die angeblich interaktive Erfahrung des "Websurfens" zum starren Glotzen auf vorbeifließende Bilder und Internettexte werden lässt. Reconnoitre [5] von Tom Corby and Gavin Baily aus London reduziert bilderreiche Websites zu weißen Textketten, die vor einem schwarzen Hintergrund schweben wie Sterne an einem dunklen Winterhimmel.
Wie immer gehen Jodi wesentlich rabiater vor als solche Cyberflaneure. Ihre Programme zerfetzen den HTML-Code, und setzten ihn zu digitalen Collagen zusammen, die in den knallenden Farben alter 8-Bit Computer leuchten. Im folgenden Interview erklärt Dirk Paesmans, was da eigentlich auf unserem Monitor vorgeht.
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Links in diesem Artikel:
[1] http://asdfg.jodi.org
[2] http://www.wrongbrowser.com
[3] http://www.backspace.org/iod
[4] http://www.netomat.net
[5] http://www.reconnoitre.net
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