Unsere Erde wird fett
Verschiebungen in den Weltmeeren und das Schmelzen subpolaren Eises beuteln den Gürtel am Äquator aus
Wenn die Erde tief einatmet, dann dehnt sich der Äquator wie beim werbeträchtigen Michelin-Männchen. Oblateness oder Abplattung nennen die Geophysiker den Prozess, bei dem sich das Verhältnis zwischen den Durchmessern am Pol und am Äquator verändert. Als Isaac Newton den Quotienten berechnete, konnte er noch nicht wissen, dass es sich um eine dynamische Größe handelt. In seiner Zeit und noch bis vor kurzem gab es einen eindeutigen Trend: Über 2.500 Jahre hat die Oblateness abgenommen. Jetzt, exakt seit 1997, nimmt der Bauchumfang zu.
Die politische Diskussion um die globale Erwärmung ist ein enormer Stimulus für die Suche nach dem Funktionsgefüge. Direkte Messungen über Satelliten sowie Beobachtungen und Analysen von Astro- und Geophysikern gewinnen synergistisch zunehmend an Schärfe.
Cox und Chao weisen im August in Science, (Detection of a Large-Scale Mass Redistribution in the Terrestrial System Since 1998) auf die bemerkenswerten Veränderungen hin. Analysen der regelmäßigen Lasermessungen, die seit 25 Jahren durchgeführt werden, zeigen zwei Phänomene, nämlich jahreszeitliche Schwankungen und einen globalen Trend. Die saisonalen Veränderungen der Oblateness sollen sich aus der Rückverteilung der Luftmassen in der Atmosphäre, den Wassermassen und dem kontinentalen Wasser-Reservoir erklären. Die globale Entwicklung kann heute über Proxies bis zu 2.500 Jahre zurück verfolgt werden. Die Erklärung der Forscher folgt der Theorie, dass die Erdrotation und die visköse Beschaffenheit des Erdmantels von Einfluss sind, wobei mit dem Ende der Eiszeit vor 18.000 Jahren der Erdmantel verformbarer geworden ist.
In Kenntnis der globalen Erwärmung drängt sich das Schmelzen des grönländischen Eises und der Gletscher in den Hochgebirgen als Ursachen für den gegenwärtigen Effekt auf. Cox und Chao legen allerdings mehr Wert auf die Veränderungen im Geomagnetismus. Bedeutsamer, so ihre Berechnungen, sind jedoch die El Niño Oszillationen, die im vergangenen Jahrhundert niemals stärker waren als 1997/98. Mächtige Wassermassen werden im tropischen Pazifik parallel zum Äquator bewegt, und zusätzlich sind Strömungen dazu senkrecht beobachtet worden. Obwohl diese Dynamik noch nicht hinreichend erklärt werden kann, ist der Nettoeffekt unverkennbar, nämlich Massenverschiebungen von den Subtropen zu den Tropen. Dass die Ereignisse nicht isoliert wirksam werden, sondern auf die Nord Atlantik Oszillationen durchschlagen, wird auf dem AGU 2002 Fall Meeting die Arbeitsgruppe von Franzke von der Pennsylvania State Universität (http://www.psu.edu/) an Hand ihrer Beobachtungen aus den letzten 40 Jahren vorstellen.
J.E.Dickey vom Jet Propulsion Laboratory der NASA in Pasadena präsentiert mit seinen Kollegen soeben in Science (Recent Earth Oblateness Variations: Unraveling Climate and Postglacial Rebound Effects) eine Erklärung, die auf dem Vergleich von Zeitreihenkurven für insgesamt sechs globale Effekte beruht. Das Abschälen der verschiedenen Einwirkungen und die daraus abgeleiteten Simulationen machen wahrscheinlich, dass der größere Teil der aktuellen Abplattung durch die Verschiebung von Wassermassen verursacht wird. Das Schmelzen der polaren Eisschicht hat ebenfalls, aber geringeren Einfluss. Unverkennbar ist, dass 1998 das Jahr mit der höchsten mittleren Oberflächentemperatur war. Wechselbeziehung oder Zufall?
Wir müssen mehr über die Vorgänge auf der Erde verstehen, um etwas über Ursache und Wirkung sagen zu können. Wir alle hoffen auf die GRACE Mission (http://www.csr.utexas.edu/grace/mission/), die uns die monatlichen Veränderungen des Gravitationsfeldes vermittelt und damit die Interpretation der globalen Prozesse erleichtern wird.
J.E.Dickey
Die Einflüsse der El Niño Oszillationen passen gut zu Befunden an einem weiteren Proxy, nämlich Sedimenten des Sees Laguna Pallacocha, der 4.200 Meter hoch in den südlichen Anden Ecuadors gelegen ist. C.M.Moy von der Syracus Universität in New York berichtet in Nature (Variability of El Niño/Southern Oscillation activity at millennial timescales during the Holocene epoch) über die zu Sediment gewordenen Ablagerungen durch die El Niño Aktivität im Verlauf der vergangenen 12.000 Jahre. Während sich noch in der Eiszeit alle 2-8 Jahre warme Perioden in die kalte Witterung hineinschummeln, hat deren Häufigkeit in den letzten 1.200 Jahren erheblich abgenommen. Deshalb, so C.M.Moy, besteht die Gefahr, dass ein von Menschenhand unabhängiges zyklisches Ereignis in unserer Zeit mehr Gewicht bekommt als ihm zusteht.
Wir wissen, daß wir zuwenig wissen - ist die gegenwärtige Erkenntnis von allen Fronten der Geophysiker und Klimaforscher. Kein Wunder, dass in den USA und Kanada zunehmend Zweifel an der Wissenschaftlichkeit des Kyoto-Protokolls aufkommen.
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