"Unsere Kinder leben in Angst"
Nach dem Schulmassaker im US-Bundesstaat Texas richtete Senator Chris Murphy einen flammenden Appell an seiner Parlamentskollegen
In den USA ist nach dem schlimmsten Schulmassaker seit über zehn Jahren erneut eine Debatte über die freizügigen Waffengesetze entbrannt. Das Thema beherrscht Medien und Politik in den Vereinigten Staaten, nachdem ein 18-Jähriger in einer Grundschule im US-Bundesstaat das Feuer eröffnet und nach jüngsten Informationen der lokalen Behörden mindestens 19 Kinder ermordet hat. US-Medien sprechen von einem der verheerendsten Schulmassaker in der Geschichte der USA.
Nach Angaben der Polizeibehörden hatte der Täter am Dienstagnachmittag eine Grundschule in der Kleinstadt Uvalde betreten und umgehend das Feuer eröffnet. Unklar blieb bis zuletzt, ob der von der Polizei erschossene Amokschütze zu den beiden erwachsenen Todesopfer zählt. US-Präsident Joseph Biden wandte sich nach dem Massaker an die Nation und forderte strengere Waffengesetze.
Zuvor schon hatte der Senator der Demokratischen Partei aus dem US-Bundesstaat Connecticut, Chris Murphy, im Parlament mit einer emotionalen und offenbar in Teilen spontan gehaltenen Rede für Schlagzeilen gesorgt. Telepolis dokumentiert die Parlamentsintervention in Übersetzung. Zum Zeitpunkt von Murphys Rede waren 14 Todesfälle gemeldet worden. Inzwischen ist die Zahl der Todesopfer auf 19 gestiegen.
Herr Präsident, in einer Grundschule in Texas sind gerade 14 Kinder gestorben.
Was tun wir angesichts dessen?
Was tun wir?
Was tun wir?
Nur wenige Tage, nachdem ein Schütze in einen Lebensmittelladen spaziert ist und afroamerikanische Kunden erschossen hat, sind wir erneut mit einer Situation konfrontiert, wie in (der Kleinstadt) Sandy Hook (wo 2012 in einer Schule ein Massaker verübt wurde).
Und was tun wir jetzt?
Es gab mehr Massaker als Tage in diesem Jahr.
Unsere Kinder leben in Angst. Jedes Mal, wenn sie einen Fuß in ein Klassenzimmer setzen, denken sie, dass sie die Nächsten sein könnten.
Was tun wir denn angesichts dessen?
Warum verbringen Sie so viel Zeit damit, für den Senat der Vereinigten Staaten zu kandidieren? Warum machen Sie sich die Mühe, diesen Job zu bekommen, sich in eine Position der Autorität zu erheben?
Was tun wir hier?
Warum sind Sie hier, wenn nicht, um ein so existenzielles Problem wie dieses zu lösen?
Das alles ist nicht unvermeidbar. Diese Kinder hatten kein "Pech". So etwas passiert nur in diesem Land und nirgendwo sonst.
Nirgendwo sonst gehen die Kinder mit dem Gedanken zur Schule, dass sie an diesem Tag erschossen werden könnten.
Nirgendwo sonst müssen Eltern mit ihren Kindern darüber sprechen – so wie ich es tun musste –, warum sie in einer Toilette eingeschlossen wurden und fünf Minuten lang still sein sollten, nur für den Fall, dass ein "böser Mann" in das Gebäude kommt.
Was machen wir angesichts dessen denn?
In der Sandy Hook Elementary School mussten die Kinder, nachdem sie in die Klassenzimmer zurückgekehrt waren, eine neue. Verhaltensregel lernen. Es wurde ein Codewort verabredet, das die Kinder sagen konnten, wenn ihnen Gedanken über das, was sie an jenem Tag gesehen hatten, durch den Kopf gingen.
In einem Klassenzimmer war dieses Wort "Affe".
Im Laufe des Tages standen die Kinder immer wieder auf und riefen: "Affe!" Und ein Lehrer oder eine Hilfskraft musste zu diesem Kind gehen, es aus dem Klassenzimmer holen, mit ihm über das Gesehene sprechen und mit ihm an seinen Problemen arbeiten.
Sandy Hook wird nie wieder dasselbe sein.
Diese Gemeinde in Texas wird nie wieder dieselbe sein.
Und warum?
Warum sind wir hier, wenn nicht, um dafür zu sorgen, dass weniger Schulen und weniger Gemeinden das durchmachen, was Sandy Hook durchgemacht hat, was Uvalde nun erleidet.
Unser Herz blutet für diese Familien.
Wir senden ihnen jedes erdenkliche Quäntchen Liebe und Beileid und unsere Gebete.
Aber ich bin hier in diesem Saal, um zu betteln, um buchstäblich auf die Knie zu gehen und meine Kollegen anzuflehen:
Finden Sie hier einen Ausweg aus dieser Lage. Arbeiten Sie mit uns zusammen, um einen Weg zu finden und Gesetze zu verabschieden, die solche Taten weniger wahrscheinlich machen.
Ich verstehe, dass meine republikanischen Kollegen nicht allem zustimmen werden, wofür ich stehe.
Aber es gibt einen gemeinsamen Nenner, den wir finden können.
Es gibt einen Punkt, an dem wir eine Einigung erzielen können. Das ist vielleicht keine Garantie dafür, dass Amerika nie wieder eine Massenschießerei erlebt.
Das wird vielleicht nicht über Nacht die Zahl der Morde in Amerika halbieren.
Es wird das Problem der amerikanischen Gewalt nicht von selbst lösen.
Aber wenn wir etwas tun, hören wir zumindest auf, diese stille Botschaft der Unterstützung an diese Mörder zu senden, in deren Köpfen ein Schaden wirkt; die sehen, dass die höchsten Regierungsebenen nichts tun.
Schießerei um Schießerei.
Und was tun wir angesichts dessen?
Warum sind wir hier?
Was tun wir?