Unterm Regenbogen

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Was die LGBT- und andere Identitäten bewegt (Teil 1)

Die politischen Bewegungen, denen es um Identitäten geht, verstehen sich nicht nur als Repräsentanz der in der charakteristischen Buchstabenreihe benannten geschlechtlichen Orientierungen. Ihr Regenbogen will vielmehr, von den USA ausgehend, Gender, Race und Class überspannen, also die wesentlichen gesellschaftlichen Bereiche, in denen ihrer Wahrnehmung nach Diskriminierung stattfindet.

Dabei können die Betroffenen und Fürsprecher aus den Reihen von Feministinnen, Homosexuellen, People of Color (PoC), Transpersonen und weiteren Gruppen auf Erfolge zurückblicken. In Deutschland z.B., und davon wird hauptsächlich die Rede sein, erleichterte das Grundgesetz einer gesellschaftlichen Veränderung den Weg, indem es Gleichberechtigung und freie Entfaltung der Persönlichkeit als bindendes Recht setzte sowie Benachteiligungen aufgrund von Geschlecht, Rasse, Herkunft, Weltanschauung oder Behinderung untersagte.

Die in diesem Sinne geforderte Gleichstellung der Frau, der später noch Quotenregelungen folgten, die Streichung des Schwulenparagrafen, eine Ehe für alle oder die Geschlechtsangabe "divers" sind hinzugekommen. Inzwischen wollen im kulturellen Überbau schriftliche und mündliche Sprachregelungen dem Gender-Spektrum Rechnung tragen.

IKEA hat am UN-Verhaltenskodex gegenüber LGBT-Personen mitgearbeitet, den auch Lufthansa, Deutsche Bank, Adidas u.a. unterzeichnet haben. Die Paralympics finden viel mediales Interesse. Und neulich bei der Fußball-EM dachte der bayerische Ministerpräsident sogar daran, die Regenbogenfarben gegen seinen homophoben ungarischen Amtskollegen in Stellung zu bringen, der sich der EU nicht im erwünschten Maß unterordnet.

Zivilisierung

Dieser Fortschritt hat seine Gründe. Was die rechtliche Diskriminierung von Frauen, Eigentumslosen, sexuell Abweichenden oder auch Vorbehalte gegen Andersfarbige und Zugewanderte betrifft, alles einst gängige Praktiken in Staat und Volk, so vertragen die sich schlecht mit einer modernen Konkurrenzgesellschaft.

In der sollen die Bürger und Erwerbspersonen sozialfriedlich ihre Interessen nach Geldeinkommen verfolgen und sich so für den nationalen Wirtschaftserfolg nützlich machen. Was näher LGBT angeht, so hat der Staat seine schlechte Meinung über die Betroffenen revidiert. Ihre Abweichung von der Heteronormalität deutete und bestrafte er lange Zeit als Absage an eine Sittlichkeit, die die staatlich geregelte Familie als natürliche Heimat der Individuen und Geschlechter sowie als die Keimzelle der Nation verstand.

Während die Sanktionen dieses sittliche Empfinden der Mehrheit bestärkten, traten sie in Konfrontation zu den Neigungen einer Minderheit guter Bürger, die sich ganz zu Unrecht aus dem Gemeinwesen ausgegrenzt sahen und dagegen Protest anmeldeten. Als dieser zunehmend Verständnis aus den Reihen der Mehrheitsgesellschaft erfuhr, ließ sich der Gesetzgeber zögernd beeindrucken, um zu bemerken, dass auch nicht-binäre Geschlechtsbeziehungen, unbesehen der Fortpflanzung, den erwünschten Family Values nicht entgegenstehen.

Auch LGBT-Paare sind "füreinander da", können dafür wechselseitig in die Pflicht genommen werden, leisten ihren Teil für die Reproduktion eines produktiven Volks und finden auch in der normabweichenden Entfaltung ihrer bürgerlichen Individualität das Weiß-Warum für ein konstruktives Mitmachen.

Dass die Bundeswehr mit einer Trans-Frau im Offiziersrang prahlt , steht am Ende dieser Zivilisierung der Geschlechterfrage.

Ressentiments

Andererseits sind die Identitäts-Bewegungen weder zufriedengestellt noch verstummt. Im weiteren Eintreten gegen Sexismus, Rassismus oder Klassismus, dem sich unter dem Stichwort "Intersektionalität" noch Anglizismen wie Ableism oder Ageism hinzugesellen, führen sie ihren Kampf gegen die Bandbreite gesellschaftlicher Diskriminierungen weiter.

Diese haben sich trotz ihrer Eindämmung durch Grundrechte und geänderte Sitten offenbar nicht einfach überlebt. Dass Frauen Nachteile erfahren oder Farbige und Leute aus der Unterschicht schlechter eine Wohnung oder eine Arbeitsstelle bekommen und dass diese Gruppen bei Beförderungen und Karrieren hintanstehen, ist zwar nicht einfach rechtsförmig.

De facto liegt es aber in der Verfügungsmacht derer, die mit Arbeitsplätzen und Immobilien ihr exklusives Eigentum vermehren oder Behörden vorstehen und darüber Wege finden, auch Ressentiments und Vorurteile, so vorhanden, gültig zu machen.

Weitere Benachteiligungen und Herabsetzungen weisen darauf hin, dass die ehemalige vom Staatshandeln bestärkte Sittlichkeit und Normsetzung in der Mehrheitsgesellschaft ihre Nachwirkungen haben bzw. die ‚Liberalisierung‘ auf Widerwillen stößt.

Das beginnt bei bodenständigen Heteros, die Normalität und Anstand für ihre DNA halten und bei denen gegenderte Substantive, Männer in Frauenkleidern oder die Neubenennung von "Negerkuss" und "Zigeunerschnitzel" wahlweise krachlederne Witze oder theatralische Empörung auslösen.

"Schwule Sau" taugt noch drei Jahrzehnte nach dem Ende von § 175 als Beleidigung auf dem Schulhof und anderswo, frauenfeindliche Sprüche haben ihr Publikum. Wenn Sigmar Gabriel moniert, "die SPD habe sich zu sehr mit Fragen der Gleichstellung von Homosexuellen beschäftigt statt mit den Arbeitern", bringt er den Misserfolg seiner Partei populistisch in einen Zusammenhang, der nicht der wirkliche ist, ihm aber wählerwirksam erscheint.

Es gibt Zeitgenossen, die die sogenannte Flüchtlingskrise oder die Pandemie-Maßnahmen auf eine vermeintliche Vorherrschaft des Weiblichen in der Politik zurückführen und nach Merkel nun vor Baerbock warnen.

Andere idealisieren die Zeiten, in denen der Staat den tradierten Sitten noch Recht gab und so den vermeintlichen Feinden von Familie und Nation Einhalt gebot. Gegen ein "Gender-Gaga mitten in Deutschland" (Alice Weidel), das "gegen die Natur des Menschen gerichtet" sei und an den Unis hochgezüchtet werde, versucht nicht nur die AfD, die im Volk noch virulenten Vorbehalte zu mobilisieren.

Auch die Mainstream-Partei von Alexander Dobrindt, Freund des farbenfreudigen Ministerpräsidenten, beherrscht den Rekurs auf die Vergangenheit: "1968 haben linke Aktivisten sich Schlüsselpositionen gesichert. (… Sie) wollen diese Welt ideologisch in Gender-Welten umdefinieren und Staatsinstitutionen familiäre Kompetenzen zuweisen. (…) Für den Konservativen ist die Familie kein soziales Konstrukt. Sie ist Herzenssache und Wiege der Gemeinschaft."

Die Gefährdung von Heimat und Familie durch "Gender-Gaga" und "linke Aktivisten" ist einerseits natürlich ein Pappkamerad, der aber ein Krisenbewusstsein verrät, mit dem Staaten im Osten Europas z.B. ziemlich ernst machen.

Auch der Sexismus in Teilen der Bundeswehr oder das Racial Profiling bei der deutschen Polizei zeigen, dass etliche Grundlagen des regenbogenfarbnen Protests nicht aus der Welt sind.

Über die Gegenwehr zu Diskriminierungen genannter Art reichen diese Bewegungen allerdings weit hinaus. Ihr Kampf um Rechte ist weitgehend erfolgreich ausgetragen, sie müssen sich nicht mehr darum kümmern, wählen, studieren und in Paarbeziehung leben zu dürfen oder in ihren Neigungen straffrei zu bleiben.

Dass sie ihre Privatheit weitgehend ungestört leben können, ist vielen Betroffenen sogar genug. Die Bewegten aber wollen in großer Mehrheit den verbliebenen Misslichkeiten mit einem Kampf um Anerkennung und Respekt begegnen, der auf anderen und neuen Feldern stattfindet.

Davon handelt der zweite Teil.