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Urknall oder Demiurg?

Platon hatte eine ganz einfache Antwort auf die Frage, wie das Universum entstanden ist: Es war der Demiurg!

Urknall oder Systemstart?

Die Hypothese, unsere Wirklichkeit sei eine auf einem unvorstellbar mächtigen Computer laufende Simulation, ist keinesfalls so abwegig, wie Sie vielleicht denken - und absolut kein der Science Fiction vorbehaltenes Thema! Wenngleich die meisten Naturwissenschaftler aus nachvollziehbaren Gründen nur sehr zurückhaltende Statements zu solchen Ansichten abgeben, liefern sie dennoch - ungewollt oder ganz bewusst - reichlich Material und Argumente, die der Diskussion wert sind. In diesem Essay habe ich die relevanten Forschungsresultate, Spekulationen und Schlussfolgerungen - zum Teil stark vereinfacht - zusammengefasst.

Vor knapp zweieinhalbtausend Jahren war die Vorstellung von einem Schöpfergott, der das materielle Chaos ordnet, ihm Struktur und Sinn verleiht, in vielen Kulturen gang und gäbe. Demiurg kommt vom griechischen Wort für Handwerker, und der Philosoph bezeichnet damit nicht nur den Baumeister des Universums, sondern bringt auf listige und provokative Weise seine Geringschätzung der parasitären Nichtstuer zum Ausdruck: Die Handwerker rangierten nämlich in der sozialen Hierarchie und Wertschätzung nach dem Adel und den Grundbesitzern erst an dritter Stelle!

Während die meisten Kulturen bzw. Religionen ihren Weltschöpfern einen fürstlichen Rang zubilligen, ehrte Platon mit seinem Konzept von einem im Schweiße seines Angesichts schuftenden Weltenbauer die Schaffenden, die Kreativen, die Nützlichen. Das verdient Sympathie und höchsten Respekt - und hat ihm bestimmt die Feindschaft der griechischen Aristokratie eingetragen.

Während Religion aus kulturgeschichtlicher, anthropologischer und ethnologischer Sicht in der vorindustriellen Entwicklungsphase der Menschheit anscheinend nicht nur unvermeidlich, sondern auch notwendig war als Machtinstrument, moralisch-ethisches Korrektiv und Moderator sozialer Interaktionen, hat sie im Jahrhundert der Raumfahrt, der Kernphysik und Informatik nichts mehr verloren.

Angesichts der natur- und geisteswissenschaftlichen Errungenschaften des Industriezeitalters muss man Religion als eine Beleidigung des menschlichen Verstands betrachten.

Menschlicher Genius macht Götter arbeitslos

Raumsonden durchpflügen den interstellaren Raum weit jenseits der Plutobahn; Astronomen entdecken Planeten, die viele Lichtjahre entfernte Sterne umkreisen; Quantenphysiker erforschen die kleinsten Bestandteile der Materie mit der größten und komplexesten Maschine, die Menschen jemals erbaut haben und die Energien erzeugt, wie sie in den ersten Sekundenbruchteilen nach dem Urknall existierten; Kybernetiker/Informatiker sind dabei, unseren Planeten mit einem elektronischen Neocortex zu überziehen; Genetiker erschaffen gottgleich neue Lebensformen - die Menschen haben ihren Göttern längst Hammer und Meißel entwunden und schlagen grandiose Tempel der Vernunft aus dem Fels der Ewigkeit.

Und in dieser Ära der Emanzipation von geistiger und physischer Unterdrückung bekräftigt der oberste Katholik eines der barbarischsten und lächerlichsten Rituale der Christenheit: den Exorzismus. In diesen wunderbaren Zeiten des geistigen Big Bangs werfen sich Muslime fünfmal täglich auf den Bauch und murmeln, Allah sei der Größte. Während über ihren Köpfen die ISS durchs Weltall gleitet, schreiben Juden wie Kinder vor Weihnachten Wunschzettel und stecken sie in die Ritzen der Klagemauer, davon überzeugt, Jahwe wird sie auf jeden Fall lesen. Immerhin dürfen sie ihre Gebetszettel per Fax oder E-Mail schicken. Ein Hindu lässt sich lieber zwölfmal vom Floh beißen, statt ihn totzuschlagen - denn es könnte ja die Reinkarnation der voriges Jahr verschiedenen Großmutter sein. Da haben die Pseudoweisheiten des Buddhismus wenigstens noch einen gewissen Unterhaltungswert und stellen durchaus eine intellektuelle Herausforderungen dar - etwa so, wie eine gute Schachpartie.

Sie ahnen es, spätestens jetzt: Der Autor ist ein unverbesserlicher, unbelehrbarer, in gewisser und durchaus paradoxer Weise selbst "religiöser" Atheist. Denn dem Atheismus hänge ich mit eben derselben unerschütterlichen Überzeugung an wie ein rechtgläubiger Christ, Muslim oder Jude seiner Religion. Das hindert mich jedoch nicht daran, die Schriften der Weltreligionen mit Neugier und Interesse zu studieren. Ich besitze z.B. vier Koran-Übersetzungen und eine Übersetzung der Hadithe (Al Buchari) nebst reichlich Sekundärliteratur, zahlreiche Bücher zur christlichen Theologie, Literatur zum Talmud und natürlich die Kabbala, den buddhistischen Palikanon und eine Extra-Ausgabe der "Vier edlen Wahrheiten" sowie die wichtigsten Upanishads und vedischen Texte. Darüber hinaus Literatur über Konfuzius und Laudse, die "Zen-Bibel" (Niederschrift von der Smaragdenen Felswand) und und und…

Zu meinen Lieblingsschriften gehört seit Jahrzehnten das Herzstück des Mahabharata: die Baghavadgita - viel mehr eine erschütternd schonungslose Schilderung des menschlichen Wesens als eine Geschichte über Götter.

Doch all dieses Interesse, die umfangreiche Lektüre und zahlreiche Gespräche haben mich der Religion nicht einen einzigen Schritt näher gebracht, sondern mich ihr unaufhaltsam immer weiter entfernt.

Denn meine naturwissenschaftliche Bibliothek und mein Interesse an naturwissenschaftlichen Themen - insbesondere Kosmologie und Quantenphysik - sind um ein Vielfaches größer, und im direkten Vergleich der religiösen mit den wissenschaftlichen Aussagen und Erkenntnissen ist die Religion in meiner Wertschätzung auf die Stufe herabgesunken, die ich weiter oben bereits eindeutig benannt habe: eine Beleidigung des menschlichen Verstands.

Das bedeutet allerdings nicht, dass ich transzendentale Weltkonzepte generell ablehne. Ein einziges solches Konzept halte ich für möglich - jedoch nicht für sehr wahrscheinlich. Doch die geringe Wahrscheinlichkeit soll mich nicht hindern, dieses Konzept näher zu untersuchen. Alles was möglich ist, ist auch einer Untersuchung wert.

Welt am Draht

Welt am Draht - so hatte Rainer Werner Fassbinder 1973 seine Verfilmung des Romans Simulacron-3 (1964, D. F. Galouye) genannt. Es war meine erste Begegnung mit dem Thema "virtuelle Welten". Verglichen mit aktuellen Romanen und Filmen über VR-Welten hatte Fassbinders Film eine sehr einfache Ausstattung und Story. Trotzdem hatte mich das Thema sofort fasziniert und war der eigentliche Anlass, mich mit Kybernetik zu beschäftigen. Später, Mitte der 80er, gipfelte diese Leidenschaft darin, dass ich - inspiriert durch den Fassbinder-Film - selbst einen Roman zum Thema schrieb: Copyworld.

Klaus Löwitsch in "Welt am Draht"

Inzwischen ist die Idee der Virtualität sogar schon in die Hinterzimmer der Kosmologie eingezogen. Offiziell und öffentlich wagt zwar kein einziger seriöser Wissenschaftler, darüber zu spekulieren. Aber ganz vereinzelt wurde am Rande anderer Erörterungen, in einem Nebensatz oder einer Fußnote angemerkt, dass man da eventuell, ganz hypothetisch, mit der gebotenen Zurückhaltung und selbstverständlich nur zum Zwecke der Verständigung und der Vollständigkeit halber…

Nehmen wir es ihnen nicht übel. Der Konkurrenzkampf im Wissenschaftsbetrieb wird mit einer der Öffentlichkeit nicht annähernd bewussten Härte geführt: Da fliegen die Fetzen, das ist Krieg, da rollen die Köpfe wie in der Französischen Revolution.

Wer sich eine Blöße gibt, wird gnadenlos platt gemacht. Deshalb üben die meisten Wissenschaftler hinsichtlich spekulativer Themen Zurückhaltung. Schade, aber verständlich. Und deshalb mag ich ganz besonders diejenigen unter ihnen, die sich nicht scheuen, die verrücktesten Theorien zu publizieren - obwohl ich nicht jeder dieser Verrücktheiten zustimme.

Glücklicherweise muss ich mich aber nicht zurückhalten! Im Gegenteil: Für einen SF-Schriftsteller gehört es nach meinem Verständnis zu den heiligen Pflichten, das Niemandsland zwischen Wissenschaft und Phantasie zu kartografieren.

Stellen wir uns also vor, das Universum wäre eine Simulation, die auf einem unfassbar mächtigen Computer läuft.

Gott braucht einen ziemlich großen Schreibtisch

Stellt sich zuerst die Frage: Wie unfassbar groß? Und vor allem: Wo steht das Ding?

Die Antwort auf Frage eins läßt sich mit einiger Genauigkeit berechnen, aber bereits vor der Rechenarbeit kann man grob überschlagen: Dieser Computer - nennen wir ihn ab jetzt lieber Weltmaschine, denn mit einer herkömmlichen Turing-Maschine wird er wohl nichts zu tun haben - muss die Informationsmenge 10unheimlich viel verarbeiten können. Das lässt sich wider Erwarten präzisieren.

Ein Computer, der so groß und so alt wäre wie das ganze Universum, der seit seinem Bestehen ununterbrochen rechnen würde und dessen Bauelemente einzelne langlebige Elementarteilchen wären, könnte bis heute höchstens 10120 Operationen ausgeführt haben - nämlich die Anzahl der elementaren Bausteine (1080) multipliziert mit dem Alter der Welt in Elementarzeiten (1040). Das Alter der Welt geht deshalb in die Abschätzungen ein, weil jedes Bauelement - jedes Elementarteilchen also - nur an höchstens einer Operation pro Elementarzeit beteiligt sein kann; wären es mehr, so wäre die Stabilität des Bauelements in Frage gestellt, der Computer wäre nicht mehr verläßlich.

Professor Alfred Gierers

Berechnung gibt einen ersten Hinweis auf den Informationsgehalt des Universums, berücksichtigt aber nur die Ebene der Nukleonen. Wir müssen jedoch bis hinab auf die Planck-Ebene rechnen.

Nachbau einer "Turing-Bombe" - ausgestellt in Nachbau einer Turing-Bombe. Bild: Magnus Manske. Lizenz: CC-BY-SA-3.0 [1]

Auch C. F. von Weizsäcker kommt - auf einem ganz anderen Weg - auf diese Zahl, rechnete jedoch ebenfalls nur bis zur Nukleonen-Ebene.

Der israelische Mathematiker und Physiker Jacob Bekenstein hat dazu einen wichtigen Beitrag geleistet: Er berechnete den Informationsgehalt eines einzigen Protons und kam auf schier unglaubliche 1040 Bit! Daraus folgt rein formal, dass die Zahl der Bits des ganzen Universums auf 10160 steigt - aber auch das berücksichtigt nicht die immense Informationsmenge, die durch die von Heisenberg entdeckte Unbestimmtheitsrelation (weniger genau, aber dafür anschaulicher auch "Quantenunschärfe" genannt) generiert wird. Sollte sich das Konzept von der Superposition (Überlagerung) aller mit einer Wahrscheinlichkeit behafteten Zustände nicht als Irrtum herausstellen, wird diese Zahl unvorstellbar groß.

Seht Lloyd vom MIT, der John Wheelers legendären Spruch "It from Bit" zu "It from Qubit" abwandelte, hat ausgerechnet, dass unser Universum - wäre es ein Computer - bis jetzt 10123 Bit berechnet hätte. Lloyd ist der Vater einer wirklich sehr exotischen kosmologischen Idee: Er geht davon aus, das Universum sei ein Quantencomputer, der sich unentwegt selbst berechnet. Das hat mit dem virtuellen Universum, das wir hier untersuchen wollen, nichts zu tun sondern geht mehr in die Richtung der holografischen Theorien - aber die Zahl gibt eine erste Orientierung, definiert die Minimalanforderung an die Weltmaschine. Obgleich ich einen eklatanten Widerspruch zu Bekensteins Berechnung sehe, der ich mehr vertraue.

Roger Penrose hat eine Zahl berechnet, die weitaus größer ist und die Quantenebene einschließt: 10 hoch 10123 Bit - also 10 hoch die Lloyd-Zahl! Der exzentrische, aber zweifellos geniale Kosmologe Frank J. Tipler interpretiert genau diese Zahl als die hinreichende Computerkapazität für die Emulation eines ganzen Universums! Das erscheint plausibel.

Na also, jetzt wissen wir wenigstens, dass Deep Blue bestenfalls für die Steuerung der Lüfter der Weltmaschine in Frage kommt, und dass der Schöpfer einen ziemlich großen Schreibtisch haben muss…

Nun zur Frage: Wo steht die Weltmaschine? Die Antwort ist leicht. Sie steht in einem uns auf ewig unzugänglichen1 [2] Meta-Universum. In unserem Universum kann sie nicht stehen, denn sie kann ja nicht in ihrem eigenen Emulationsprogramm stehen. Nicht einmal dann, wenn sie selbst eine virtuelle Maschine wäre. (Achtung: Nicht mit dem Lloyd-Universum verwechseln! Das ist ein grundlegend anderes Konzept, bei dem es keinen außerhalb des Universums existierenden Schöpfer - also keine transzendentale Entität - gibt.)

Wir wollen aber das einzige denkbare und mögliche transzendentale Konzept untersuchen und müssen nun die Frage nach dem Schöpfer stellen, der die Weltmaschine gebaut und das Universum erschaffen hat. Und wenn wir das hinter uns haben, versuchen wir zu verstehen, warum dieser Schöpfer es getan hat.

Ich schlage vor, zu Ehren Platons nennen wir diese Entität Demiurg.

Hat der Demiurg eine Nase?

Wie könnte er aussehen? So wie wir? Mit einer Nase in der Mitte des Gesichts und Haarwurzeln in der Kopfhaut? Wohl eher nicht. Außerdem ist kaum etwas irrelevanter als seine physische Beschaffenheit.

Relevant ist: Er denkt! Er hat Ziele und Absichten, Ideen und Pläne, Theorien und Hypothesen. Vielleicht auch Emotionen, Wünsche, Humor.

Relevant ist: Ganz gleich, ob er eine einzige, solitäre Entität oder Subkonstituent einer komplexen Noosphäre ist - er beherrscht Technologie und Wissenschaft. Die Beschaffenheit seiner Schöpfung erlaubt sogar die Schlussfolgerung, dass seine Denk-Algorithmen für uns erkennbar und möglicherweise auch anwendbar sind: Wenn wir seine Schöpfung zu erforschen fähig sind, könnten wir unter Umständen auch die Gesetze des Meta-Universums verstehen - wenn er uns ein Interface zur Verfügung stellen und so den Zugang ermöglichen würde.

Wir hätten einen wertvollen Hinweis auf seine Art zu denken, wenn wir wüssten, weshalb er das Universum erschuf. Aber auf diese Frage sind derart viel Antworten möglich, dass wir nur raten können.

Für uns am interessantesten und mit gewissen Aussichten auf Kommunikationsbereitschaft verbunden, wäre die Antwort: Er ist ein Forscher, und die Emulation des Universums ist ein Forschungsprojekt. Unsere Kosmologen nutzen seit vielen Jahren leistungsstarke Rechner, um Modelle des Universums zu simulieren, untersuchen die verschiedensten astrophysikalischen Phänomena, Prozesse und Theorien anhand von Rechnersimulationen - diese Methode ist gar nicht mehr wegzudenken aus der Physik. Das bekannteste dreidimensionale Modell des gesamten sichtbaren Universums ist eine der spektakulärsten, aber nicht einmal die anspruchsvollste Simulation. Allerdings ist die Auflösung in dieser Simulation so gering, dass keine einzelnen Sterne, geschweige denn Planeten oder gar die Elementarteilchenebene simuliert werden können. Als Weltenemulator sind unsere Rechner nicht zu gebrauchen.

Wissensdurst ist ein Merkmal hochentwickelten Denkens und als Motiv sehr gut vorstellbar. Aber die Frage muss vertieft werden: Was könnte der Demiurg anhand der Simulation untersuchen wollen? Von der Antwort hängt viel für uns ab. Wenn er ausschließlich an kosmologischen bzw. physikalischen Erkenntnissen interessiert ist, wäre es nicht ungewöhnlich, wenn ihn die Entstehung von Leben oder gar Intelligenz in seinem Laborexperiment überhaupt nicht in Euphorie versetzt, weil er diese Risiken und Nebenwirkungen schon so oft erlebt hat, dass sie ihm womöglich im schlimmsten Fall sogar eher lästig sind. Denn technologisch hochentwickelte Intelligenz könnte ihm durchaus in die Suppe spucken, durch Manipulationen im galaktischen oder metagalaktischen Maßstab die Resultate verfälschen. Da müsste man schon Verständnis für den Forscher aufbringen, wenn er zum virtuellen Insektenspray greift und sein Universum mit einem apokalyptischen Gamma-Burst desinfiziert…

Also wünschen wir uns lieber ein Evolutionsexperiment. Aber auf der sicheren Seite sind wir damit auch nicht. Alles hängt von der konkreten Zielsetzung ab. Wenn der Demiurg herausfinden will, welche kosmologischen Parameter am wirksamsten die Entwicklung fünfköpfiger Mineralfresser begünstigen, haben wir verdammt schlechte Karten und können nur hoffen, dass sich irgendwo im Universum gerade fünfköpfige Mineralfresser entwickeln und zufrieden schmatzend auf leckeren Porphyrbröckchen herumkauen. Das würde den Reboot mit veränderten Startparametern bestimmt verhindern.

Es sind beinahe unendlich viele Zielsetzungen vorstellbar. Ärgerlicherweise nur sehr wenige, die ein außerordentliches Interesse des Demiurgen ausgerechnet an uns Menschen erklären würden. Machen wir uns nichts vor: Da gibt’s in den unendlichen Weiten bestimmt eine ganze Menge viel interessanterer, liebenswürdigerer und liebenswerterer, klügerer und geistvollerer, komischerer und drolligerer Arten. Wir sind doch eigentlich ziemlich miese, finstere Gesellen und können der universalen Gemeinschaft bestenfalls als abschreckendes Beispiel dienen.

Aber in einem kosmischen Aquarium würden wir uns als die kleinen bösartigen Stinkstiefel richtig gut machen! Vielleicht steht unser Universum ja auch nur in einem demiurgischen Wohnzimmer auf der Blumenbank, und der Papa-Demiurg sagt zur Tochter-Demiurg: "Auuu, gugge mal da! Jetzt hammse sich gerade Atombummbumm uff de Köppe geschmissn!"

Ebenso gut könnte es sein, dass unser Universum in der Spielzeugkiste von Sohnemann-Demiurg einstaubt, der vergessen hat, sein Spielzeug auszuschalten. Dann bleibt uns nur abzuwarten, wie lange die Batterien noch halten.

Belassen wir es dabei. Viel interessanter ist die Frage: Woran könnten wir erkennen, in einer Simulation bzw. Emulation zu leben?

Sie werden es kaum glauben wollen: Die Chancen stehen gar nicht mal schlecht! Und es gibt tatsächlich einige Ungereimtheiten in unseren Theorien über die Welt, die im Kontext einer Simulation eine vermeintlich elegante, in Wahrheit jedoch unbefriedigende Erklärung fänden. Unbefriedigend, weil das Problem nicht wirklich gelöst, sondern lediglich auf eine Ebene verlagert würde, zu der wir keinen Zugriff erhalten.

Es ist etwas faul im Universum

In Abwandlung des berühmten Hamlet-Spruchs können wir konstatieren: Es ist etwas faul in unserem Universum. Da gibt es eigentlich nur zwei mögliche Erklärungen: Entweder es liegt an uns, oder es liegt am Universum.

Entweder unsere Theorien, unsere Erkenntnisse und unser Verständnis vom Universum sind fehlerhaft - oder das Universum selbst ist ohne die erforderliche Sorgfalt zusammengepfuscht worden.

Programmierer werden mir seufzend - Hacker feixend - beipflichten: Es gibt keine fehlerfreie Software. Die Gründe sind vielfältig: Von unumgänglichen konzeptionellen Kompromissen in der Programmarchitektur bis zum Montagskater und der damit verbundenen Koffein-Vergiftung.

Doch bevor wir nach Indizien für Pfusch und Murks suchen, begutachten wir einmal das Grobkonzept: Was mich schon beunruhigte, als ich mit modernen kosmologischen Theorien noch weniger vertraut war, ist die absolute Endgültigkeit der Planck-Ebene - obgleich die in langweiliger Unendlichkeit versickernden Strukturen fraktaler Konzepte nicht weniger unheimlich wirken, bereiten sie der menschlichen Logik doch etwas geringeres Unbehagen. Im Kontext von Vorstellungen, Hypothesen und Theorien, in denen Unendlichkeit unverzichtbar ist, erscheint die finite Absolutheit dieser vermeintlich fundamentalen Quanten-Ebene wie willkürlich geschaffen.

Wie würde ein Forscher "seinen" Mikrokosmos erleben, den wir - die benötigte Computerpower einfach mal stillschweigend vorausgesetzt - in einer auf dem PC laufenden Simulation zum Leben erwecken?

Er würde bis an eine unüberwindbare Barriere vorstoßen: Die kleinsten Teilchen seiner Welt, vom Emulationsprogramm in Form von Bytes manifestiert, wären für ihn rätselhafte Erscheinungen, die Gesetzen folgen, die anscheinend aus einer ihm verschlossenen und unverständlichen Sphäre in seine Welt hineinwirken. Möglicherweise würde er sie "Quantensphäre" nennen und sich verzweifelt den Kopf darüber zerbrechen, wie er diese Barriere vielleicht doch durchbrechen und den aller Logik widersprechenden spukhaften Wirkungen aus dieser Ebene auf den Grund gehen kann. Die Ebene der Bytes ist für ihn grundsätzlich nicht wahrnehmbar. Seine Welt endet genau an dieser Barriere…

Kommt Ihnen das bekannt vor? Wir befinden uns exakt in derselben Lage! Die jeglicher klassischen Logik und allen Gesetzen der makroskopischen Ebenen widersprechenden Phänomena der Quantenebene präsentieren sich uns so, als seien sie Wirkungen aus einer anderen Dimension. Wir nennen diese "andere Dimension" etwas verharmlosend "Quantenvakuum" und suggerieren uns damit, wir hätten verstanden, worum es sich handelt. Das in diesem "Quantenbrodeln" unaufhörlich aus virtuelle Teilchen (!) physische Teilchen entstehen, konstatieren wir, ohne uns wirklich bewusst zu machen, was "virtuell" bedeutet: "Virtualität spezifiziert eine gedachte oder über ihre Eigenschaften konkretisierte Entität, die zwar nicht physisch, aber doch in ihrer Funktionalität oder Wirkung vorhanden ist." Ich zitiere dies aus Wikipedia, weil ich es nirgends besser formuliert fand und es selbst erst recht nicht besser auf den Punkt bringen kann. Man könnte auch sagen: Das virtuelle Teilchen existiert als Code im Emulationsprogramm und wird physisch existent in der Simulation, sobald der Code ausgeführt wird.

Auch das Zitat aus einem Artikel über das Quantenvakuum verblüfft, wenn man es in den hier diskutierten Kontext einbettet:

Dieser höher dimensionale Quantenraum ist ein Informationsspeicher aus dem heraus alles entsteht und in den alles wieder zurückkehrt.

GRZ

Die Aussage liest sich wie aus einem Handbuch zur Weltenemulation.

Selbst die derzeit modernste kosmologische Theorie - die Loop-Quantengravitation - setzt der physikalischen Wirklichkeit eine absolute untere Grenze, indem sie kleinste Raumzeit-Elemente postuliert, die sich zu einem Spin-Netzwerk bzw. Spin-Schäumen verbinden. Die kompromisslose Geometrisierung der Kräfte in dieser Theorie ähnelt etwas der geometrischen Gravitationstheorie Einsteins - und ist wohl auch deshalb ein heißer Kandidat für die "Weltformel". Interessant unter dem Aspekt der Emulation ist diese Theorie auch genau wegen dieser Geometrisierung - das könnte ein Demiurg in einen Programm-Algorithmus umsetzen! Oder umgekehrt: Daraus könnten wir auf den Algorithmus schließen, der dem Emulationsprogramm zugrunde liegt.

Alle Quantenphänomena wirken so absurd und fern jeder klassischen Logik, dass man sich durchaus das Gedankenexperiment gönnen kann, ihre Ursachen auf einer uns unzugänglichen Vollzugsebene zu sehen: Komplementarität, Unschärfe, Verschränkung - das sind Eigenschaften, die selbst viele Quantenphysiker nur kopfschüttelnd akzeptieren.

Aber als Wirkungen eines außerhalb unserer Realität ausgeführten Codes sind sie widerspruchsfrei vorstellbar.

Indizien für "Programmierfehler" oder Bedienungsfehler gibt es zuhauf. Beginnen wir mit dem Anfang. Bereits unmittelbar nach dem Systemboot ist anscheinend eine Panne passiert: Auf einmal expandiert das Universum - ohne ersichtlichen Grund - so schnell, dass seine einzelnen Regionen (die allerdings noch submikroskopisch klein sind) nicht miteinander wechselwirken können. Das nennt man die Inflation. Diese Phase war sehr kurz und endete ebenso abrupt und unerklärbar, aber sie sorgte durch die Vergrößerung von Quantenfluktuationen für die heutige Massenverteilung im Universum. Etwa 10-30 Sekunden nach dem Urknall war die Inflation bereits beendet, und das Universum fiel in die Standard-Expansion zurück. Da hatte es den imposanten Durchmesser von einem Meter - es war also noch genug Zeit, den Murks zu reparieren.

Hatte der Demiurg versehentlich den falschen Knopf gedrückt? Oder die Kaffeetasse umgestoßen und sein Keyboard "coffeiniert"?

Auch die Beschleunigung der Expansion des Universums, für die ganz unelegant eine rätselhafte und bis jetzt absolut fiktive "Dunkle Energie" verantwortlich gemacht wird, könnte Folge eines zusammengepfuschten Emulationsprogramms oder eines Userfehlers sein. Bekanntlich sitzt die Ursache von Computerproblemen in 99,999% aller Fälle vor dem Monitor…

Oder der Widerspruch in der Baryogenese: Im Urknall hätten Materie und Antimaterie zu gleichen Teilen entstehen und sich sofort gegenseitig vernichten müssen - ist definitiv nicht geschehen. Gab es also mehr Materie? Oder unterscheiden sich beide nicht nur im Vorzeichen, sondern auch in anderen Parametern? Beides würde bedeuten, dass der Demiurg keinen besonders guten Tag hatte, als er den Code schrieb. Denn wenn er es anders gewollt hätte, wäre es überflüssig gewesen, Antimaterie ins Konzept einzubauen. Andererseits ergibt ein absichtlicher Symmetriebruch keinen Sinn. Demiurgen sind eben auch nur Menschen…

Sehr rätselhaft, geradezu mysteriös ist die Starke Kraft (Farbkraft), die zwischen den Quarks wirkt. Während alle anderen Kräfte mit der Entfernung abnehmen, wächst diese gluonische Kraft mit der Entfernung, verhält sich wie ein Gummiband. Die Quantenphysiker konstatieren dies lediglich, ohne es zu erklären. Aber ohne diese ungewöhnliche Eigenschaft könnten keine stabilen Nukleonen existieren - das sieht doch aus wie ein raffiniert ausgeklügeltes Konzept. Da hatte der Demiurg mal eine richtig gute Idee - aber schade ist es schon, dass in der Gesamtansicht alles ziemlich eklektisch zusammengeklittert wirkt.

Es gibt jedoch eine ganze Reihe von Hinweisen darauf, dass der Demiurg das Universum extra für uns Menschen erschaffen hat - da sollten wir ihm die kleinen Nachlässigkeiten und Improvisationen großmütig verzeihen.

Das anthropische Prinzip: Alles nur für uns gemacht?

Es sind die ausgesprochen verdächtigen Koinzidenzen, die von einigen Wissenschaftler und Philosophen - Theologen sowieso - als Beweise dafür gewertet werden, dass das Universum erschaffen wurde - und zwar ganz speziell für uns!

Koinzidenzen sind gemeinsam vorkommende, aufeinander abgestimmte Tatsachen. Und es ist wirklich frappierend, wie unglaublich fein justiert Naturkonstanten und andere Parameter sind, um ein lebensfreundliches Universum zu ermöglichen!

Und was speziell die Konstanten betrifft: Das sind Größen, die man nicht aus Formeln und Gleichungen errechnen, sondern nur messen kann! Sie ergeben sich nicht aus beweisbaren Gesetzen, sondern sind einfach nur so wie sie sind. Oder wie gemacht…

Ohne diese kosmischen Koinzidenzen wäre das Universum eine tote und leere Wüste. Professor Henning Genz, der sich nicht nur als Theoretischer Physiker, sondern auch als Autor einen Namen gemacht hat, schreibt:

Wir wissen, dass die Oase der Werte der Naturkonstanten, die unser Leben ermöglichen, von einer Wüste von Werten umgeben ist, die eben dies nicht tun.

Dass diese Oase durch Zufall entstanden ist, wollen viele Kosmologen und Philosophen nicht glauben, denn es müsste, wenn es nur dieses eine Universum gäbe, ein wahres Wunder sein, dass ein derart unwahrscheinliches System aus haargenau aufeinander abgestimmten Parametern entsteht. Deshalb hat auch die teleologische (nicht theologische!) Transzendenz-Theorie eine gewisse Wahrscheinlichkeit.

Teleologisch-transzendent bedeutet: Die zweckorientierte Ordnung der Welt wird durch eine zielstrebig wirkende Weltkraft hergestellt. Wir haben uns darauf geeinigt, diese Kraft Demiurg zu nennen.

Einen Ausweg aus dem Dilemma des anthropischen Prinzips weisen die Theorien, die das Universum als eines von vielen in einem höherdimensionalen Multiversum betrachten. Leonard Susskind, einer der Väter der Stringtheorie hat errechnet, dass es bis zu 10500 Vakuumzustände geben kann. Im Klartext: 10500 Universen mit unterschiedlichen Naturkonstanten und Gesetzen! Angesichts dieser riesigen Zahl wird selbst die geringste Wahrscheinlichkeit realisiert, und man darf konstatieren: Wir leben eben deshalb in einem lebensfreundlichen Universum, weil die beinahe unendliche Zahl von differenzierten Vakuumzuständen auch dieses spezielle Universum beinhaltet, das Leben hervorgebracht hat. Und daran ist nichts Mystisches. Man nennt diese Erklärung das schwache anthropische Prinzip.

Das Problem daran ist nur: Alle uns möglichen Experimente liefern nicht den geringsten Anhaltspunkt für die Existenz zusätzlicher Dimensionen, und die Stringtheorie ist bis jetzt eine reine, unbeweisbare Kopfgeburt.

Also wenden wir uns wieder dem starken anthropischen Prinzip zu.

Hier eine kleine Auswahl der "Feinabstimmungen" und ihrer Bedeutungen:

Anzahl der Raum- und Zeitdimensionen - Planeten- und Elektronenbahnen wären instabil, wenn sie größer oder kleiner wäre.

Entropie nach dem Urknall - wäre sie nicht so unerklärbar gering gewesen, hätte das Universum keine komplexen Strukturen bilden können.

Die starke Kraft - wäre sie nur 0,5 % größer oder kleiner, könnten die Sterne nur Kohlenstoff oder Sauerstoff bilden - aber nicht beides. Bei Abweichungen im einstelligen Prozentbereich gäbe es erst gar keine Sterne. Ähnlich würde eine Änderung der elektromagnetischen Kraft um 4% wirken (Feinstrukturkonstante!)

Die schwache Kraft - wäre sie minimal größer oder kleiner, gäbe es keine schweren Elemente

Gravitation - geringste Abweichungen hätten das Universum entweder längst kollabieren lassen oder eine so schnelle Expansion bewirkt, dass sonnenähnliche Sterne kaum älter als eine Million Jahre werden könnten

Massendifferenz zwischen den Nukleonen - geringste Abweichungen würden dazu führen, dass es nur Protonen oder nur Neutronen gäbe (Zerfallsprozesse)

Bis jetzt sind 37 Naturkonstanten bekannt, deren Feinabstimmung die Ordnung unseres Universums gewährleistet, und der Eindruck, da gäbe es eine ordnende Hand, verunsichert selbst den einen oder anderen Nobelpreisträger genug, um Gegenstand sehr ernsthafter Diskussionen zu sein.

Die Theorie, die Welt sei eine Simulation, kann jedoch weder bewiesen noch widerlegt werden.

Oder ein Universum aus dem Teilchenbeschleuniger?

Der Vollständigkeit halber soll auf eine Hypothese von Andrei Linde hingewiesen werden. Er beschreibt in einem Artikel, wie man im Labor ein schwarzes Mini-Loch erzeugen und zur exponentiellen Expansion bringen könnte. Daraus würde sich ein Tochter-Universum mit eigener Raumzeit bilden, das sich sogleich vom Mutter-Universum "abnabelt". Es wäre für uns ebenso unsichtbar und unzugänglich, wie ein anderes Universum im Multiversum.

Trotzdem gäbe es eine Möglichkeit, ihm eine Botschaft für seine späteren Bewohner mit auf den Weg zu geben! Nicht in Gestalt einer wie auch immer gearteten Struktur bzw. Information, denn jede Information würde im Expansionsprozess vernichtet werden - aber wenn man die Botschaft in den Eigenschaften des Vakuumzustands codiert, bleibt sie erhalten!

Hat der Demiurg uns eine solche Botschaft hinterlassen?

Linde sagt dazu: "Ist das etwa der Grund, warum wir so hart arbeiten müssen, um die seltsamen und nicht perfekten Eigenschaften unserer Welt zu verstehen? Bedeutet das vielleicht, dass unser Universum geschaffen wurde? Aber nicht von Gott, sondern von einem Physiker? Wenn das stimmt, zeigt das Resultat, dass er einen harten Job hatte. Hoffentlich hat er nicht zu viele Fehler gemacht…"

Ist das nicht ein schönes Schlusswort?

;-)


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