Ursache für Krieg und Krisen: Wo die Friedensbewegung konsequent sein muss
- Ursache für Krieg und Krisen: Wo die Friedensbewegung konsequent sein muss
- Die weltweite Schere zwischen Arm und Reich
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Globale Ungerechtigkeit und Ausbeutung machen die Welt unsicher. Viele im Norden profitieren aber davon. So wirkt die Verdrängung. Ein Kommentar.
Proteste gegen akute Bedrohung durch Kriege und durch die Zerstörung natürlicher Lebensräume, so lautstark sie daherkommen, bleiben wirkungslos. Ein Grund ist, dass auch Friedensbewegte die destruktiven Triebkräfte der krisenhaften Realität und den eigenen Beitrag zu deren Zumutungen ausblenden.
Beispiele gibt es reichlich: Am 25. November 2023 hatte sich in Berlin ein großer Teil der deutschen Friedensbewegung versammelt, um gegen Krieg und Aufrüstung, für Frieden und Diplomatie zu demonstrieren, zwei Wochen später tagte der Friedensratschlag in Kassel.
Wohlfühl-Protest mit Sahra Wagenknecht
Auf der Friedensdemonstration in Berlin stellte Michael von Schulenburg zu Beginn seiner Ansprache die Frage: "Wir leben in einer Welt, die zunehmend in den Würgegriff von Gewalt und Kriegen geraten ist. Wie kommen wir aus dieser Situation wieder heraus und in welcher Welt wollen wir denn leben?"
Seine Antwort als Kondensat: Kriege, Rüstung, die Nato, Rassismus und Terrorismus haben keine Chance, "wenn wir nur einer langen Rede unseren Verstand gebrauchen und (…) uns verstehen und zusammenarbeiten."
Sahra Wagenknecht kritisierte ebendort aufs Schärfste Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD), "der allen Ernstes sagt, er will unser Land wieder kriegstüchtig machen", und beklagte, "dass die Bundesrepublik den größten Rüstungshaushalt aller Zeiten im nächsten Jahr haben wird".
Unterdessen fehlten Tausende Lehrer, Krankenhäuser würden geschlossen "und die Infrastruktur vergammelt", so Wagenknecht. "Lassen wir uns nicht länger in Kriege hineinlügen und stehen auf für Frieden und gegen Krieg."
Friedensratschlag für Bildung, Gesundheit und Wohnungsbau
Schließlich wird in der Abschlusserklärung des Friedensratschlags ein "Stopp aller Waffenlieferungen" verlangt, die Unterzeichnenden setzen sich "für die Einstellung aller Kriegshandlungen zugunsten diplomatischer Lösungen ein".
Statt Rüstungskonzerne reich zu machen, sollten die "Milliarden in marode zivile Infrastruktur, Bekämpfung von Kinderarmut, Wohnungsbau und das Bildungs- und Gesundheitssystem gesteckt" sowie "die Sozialausgaben insgesamt" erhöht werden.
"Kooperation, Zusammenarbeit und Entmilitarisierung in Europa ist unsere Aufgabe. Wir haben die Vision eines grenzenlosen, friedlichen Europas von Lissabon bis Wladiwostok nicht aufgegeben."
Bezug auf UN-Charta als Grundlage für Friedenspolitik
Die Redner in Berlin wie in Kassel haben kriegstreibende Akteure und Bedingungen benannt, sie wiesen auf längst vorhandene Grundlagen und Vereinbarungen für ein friedliches Zusammenleben aller Menschen – wie die UN-Charta – als greifbare Möglichkeit der Beendigung mörderischer Kriegsszenarien hin.
Ihre Botschaften sind für viele ihnen denkend und fühlend verbundenen Menschen sinnstiftend, machen Hoffnung auf eine bessere Welt und ermuntern zum widerständigen Handeln. So weit, so überzeugend – fast.
Die grausame kapitalistische Wirklichkeit
Applaus auf den Demos, ein "gutes Gefühl", gemeinsam mit anderen dabei zu sein, und die gegenseitigen Bestätigungen, toxische Zusammenhänge zu verstehen und auf den richtigen Wegen zu ihrer Entgiftung zu sein, verdecken die eigentlichen Gründe für immer neue Kriege, für Atomkriegsdrohungen, für die galoppierende Aufrüstung, für die Ignoranz gegenüber Klimakatastrophenszenarien.
Es handelt sich um skurrile Auswüchse eines Gewaltszenarios, dem seit gut fünfhundert Jahren weite Teile des Erdballs unterworfen wurden und das dabei ist, ihn auf die eine oder andere Weise oder im Zusammenspiel aller Gefahren, für Menschen unbewohnbar zu machen.
Die Kolonisierung des Globalen Südens durch den Globalen Norden, die Unterwerfung der indigenen Bevölkerung dort durch die Weißen, begleitet von manifestem rassistischem Hochmut, sind die materiellen und ideellen Grundlagen eines seit 150 Jahren kapitalistischen Systems.
Klimakatastrophe ähnlich bedrohlich wie Atomwaffen
Kolonialismus als Eroberung von Landstrichen und Menschen bedarf überlegener Mittel der Gewaltausübung, die von jeher schonungslos gegen Menschen und gegen den Planeten gerichtet waren. Waffen, Rüstung, Kriege sind notwendig, Atomwaffen und Drohungen mit ihrem Einsatz sind die ultima ratio für die Verteidigung des zusammengeraubten Wohlstands auf der Nordhalbkugel.
Geschosse, Drohnen, gezieltes Töten sichern den Zugriff auf die globalen Ressourcen, um den Einfluss auf ihre Aneignung zu optimieren, Unfrieden ist genuiner Systembestandteil kapitalistischer Gesellschaftsformationen, sowohl in der historischen als auch in der analytischen Perspektive, Garanten für ihre Stabilität waren immer und sind weiterhin politische EntscheidungsträgerInnen, die oft und gerne zu willigen Kumpan:innen der ökonomischen Profiteure werden, wenn sie ihre Mandate sicher haben.
Naomi Oreskes, verweist auf die spärlichen Ergebnisse der Klimakonferenzen seit 1992 als Beleg für die politisch-ökonomische Verstrickung, als deren Folge die Klimakatastrophe zu einem ähnlich bedrohlichen Symptom werden konnte wie die Atomwaffenarsenale der Großmächte.
Ausbeutung in Afrika ermöglicht Lifestyle im Globalen Norden
Auch wenn heute keine Menschen aus Afrika mehr in Sklavenschiffen verschleppt werden: Die Tatsache, dass nicht nur Millionen Menschen in Afrika und anderswo weiterhin wie Sklaven behandelt und selbst im südlichen Europa benutzt und ausgesaugt werden wie minderwertige Teile der menschlichen Gattung, bleibt ein stabiles Fundament des komfortablen Lebens im Norden.
Das neokoloniale Handels- und Vertragsmodell verschärft den aggressiven Zugriff auf Reichtümer, auf Bodenschätze, auf Ländereien, es knebelt die Länder des Südens und entzieht den Menschen dort ihre Lebensgrundlagen, zwingt sie zur Flucht in eine ungewisse Zukunft und verweigert ihnen Hilfestellung und Asyl.
Bislang war es gut möglich, die weltweiten Konsequenzen auszublenden. Doch Migration und Klimawandel zeigen, dass die Auswirkungen wie ein Bumerang zurückkommen. Die Konfrontation mit diesen physischen Folgen könnte am ehesten zu einem Verhaltenswandel beitragen.
Systematische Übervorteilung des Südens
Die Folgen dieser systematischen Nutzbarmachung von Menschenleben und natürlichen Lebensgrundlagen verschärfen sich weltumfassend weiterhin, selbst in den Stammländern der Raubritter.
Seit dem Zweiten Weltkrieg, also für die meisten Menschen auch im Norden innerhalb ihres Wahrnehmungshorizonts, sind diese ruinösen Mechanismen perfektioniert worden: als übergriffiges Enteignungsmodell, das Ausbeutung und systematische Übervorteilung des Südens rigoros und todbringend durchgesetzt hat.