Vandana Shiva und die "Faktenfinder": Kann Gentechnik den Welthunger beenden?

Vandana Shiva erhielt 1993 den auch als alternativer Nobelpreis bekannten Right Livelihood Award. Foto: Elke Wetzig (Elya) via Wikimedia Commons

Der ARD-"Faktenfinder" motzt gegen Vandana Shiva. Mit polemischen Anschuldigungen rückt er die Aktivistin und Trägerin des alternativen Nobelpreises in ein falsches Licht. Eine Gegendarstellung.

Nahrung ist eine Waffe. Wer Waffen verkauft, kontrolliert Armeen. Wer Nahrung kontrolliert, kontrolliert die Gesellschaft. Aber wer Saatgut kontrolliert, kontrolliert das Leben auf der Erde.


Vandana Shiva

Dieses Zitat von Vandana Shiva stimmt heute mehr als je zuvor. Die inzwischen 70-jährige Physikerin wehrt sich gegen die Vereinnahmung der Landwirtschaft durch multinationale Konzerne. Seit Jahrzehnten legt sie sich mit Konzernen wie Monsanto (heute Bayer), Cargill, Nestlé und Coca-Cola an. Sie propagiert einen Systemwechsel in der globalen Agrarökonomie. Vor allem kämpft sie gegen den Einsatz und die Erforschung gentechnisch modifizierter Organismen (GMO) im Pflanzenbau.

Immer wieder stören sich Einige an ihrem unkonventionellen Auftreten und/oder stellen sie in die Verschwörungsecke. Zum Beispiel der ARD-Faktenfinder vom 13. Dezember. Hier schreibt Pascal Siggelkow über Vandana Shiva und unter anderem auch ihr Verhältnis zur Gentechnik. Dabei verdreht er die Tatsachen und unterstellt ihr falsche Behauptungen. Nebenbei werden die Risiken der Grünen Gentechnik heruntergespielt.

Grüne Gentechnik sei eine schnellere und zielorientiertere Form der Züchtung, erklärt etwa Jochen Kumlehn, Leiter der Arbeitsgruppe Pflanzliche Reproduktionsbiologie am Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung (IPK) in Gatersleben. Erbgut unterliege permanenten Veränderungen. Alle Organismen seien nur deshalb entstanden und so divers, weil in jedem Individuum Dutzende genetische Veränderungen vorkommen. Genetische Veränderungen seien nichts Unnatürliches.

"Natürliche genetische Veränderungen erfolgen zufällig. Dabei können Eigenschaften entstehen, die vorteilhaft sind, während jedoch viel mehr Veränderungen zu Nachteilen führen. Natur ist also keineswegs prinzipiell gut, sondern bestenfalls neutral", erklärt der Wissenschaftler, der selber Genom-Editierung betreibt. Nie behauptete die Öko-Aktivistin, genetische Veränderungen seien etwas Unnatürliches, heißt es in einer Gegendarstellung auf ihrer Website. Bei der Gentechnik aber liegt der Fall anders. Denn hier greift der Mensch mit technischen Hilfsmitteln direkt in das Erbgut von Lebewesen ein.

Naturschützern und Gentechnik-Gegnern wirft Kumlehn die "Romantisierung des Begriffs Natur" vor. Darin sehe er ein Grundproblem des Gentechnik-Diskurses. Fakt ist: Ohne Natur gäbe es keine Wissenschaft. Sie ist die Kulisse, vor der Theorien bewiesen oder widerlegt werden. Sie liefert das Material, mit dem experimentiert wird.

Wissenschaftler, die die Phänomene der Natur erforschen, kommen selber aus ihr, genauso wie die Gene, die sie verändern. Wenn Gentechniker glauben, Pflanzen oder Tiere manipulieren zu können, nehmen sie einen irreversiblen riskanten Vorgang in Kauf. Denn wie sich die Gen-Experimente auf die Natur auswirken, kann niemand vorhersagen.

Als Naturwissenschaftlerin arbeitet und forscht Vandana Shiva in der Ökologie, einer Teildisziplin der Biologie. Ihre Arbeit ist nicht weniger wert als die von Biotechnologen. Von "Romantisierung" kann also keine Rede sein. In einer sachlichen Betrachtung hätte Faktenfinder Pascal Siggelkow auch die andere wissenschaftliche Sichtweise darstellen müssen.

Hingegen wird die "Neutralität" der Natur, von der Kumlehn spricht, als Vorwand benutzt, um die Natur seit Jahrzehnten industriell und kommerziell auszubeuten. Natur wird auf ein Objekt reduziert, das im Namen des ökonomischen Wachstums ausgebeutet wird. Genau dieses reduktionistische Weltbild prangert auch Vandana Shiva an.

Genetik ist nicht dasselbe wie Gentechnik

"In den letzten 10.000 Jahren unserer Menschheitsgeschichte haben wir bei der Züchtung die größten, besten oder wohlschmeckendsten Samen selektiert", erklärt Christoph Gornott im nächsten Abschnitt des o. g. ARD-Artikels. Dies sei ein sehr langsamer Prozess gewesen. Damit stimmt der Leiter des Fachgebiets Agrarökosystemanalyse an der Universität Kassel Shiva indirekt zu.

Immer wieder verweist die Aktivistin auf die traditionelle Saatgutvielfalt. Diese werde seit Jahrzehnten durch Monokulturen verdrängt, daher sei es wichtig sie zu schützen. Nicht die Wissenschaftler züchteten die neuen Pflanzensorten, sondern Generationen von Kleinbauern in aller Welt - mit ihren traditionellen Methoden. Heute werden die Kleinbauern durch Agrarriesen und Saatgutkonzerne unter Druck gesetzt, indem sie das Geschäft mit dem Saatgut kontrollieren.

Mit der Zeit beschleunigten immer neue Methoden die genetischen Veränderungen des Saatguts. Die Geschwindigkeit bis zur Fertigstellung einer neuen Sorte sei dabei von entscheidender Bedeutung", fährt Gornott fort. An dieser Stelle vermischt er Genetik mit Gentechnik. Denn im Gegensatz zur konventionellen Züchtung und zur Natur erlaubt es die grüne Gentechnik, artfremde Gene in Pflanzen einzuschleusen. Beispiele sind die so genannte Bt-Baumwolle beziehungsweise Bt-Mais.

Bt steht für das Bodenbakterium Bacillus thuringiensis, dessen Gene in die Baumwoll- und Maispflanzen übertragen wurden. Die Pflanzen produzieren ein bestimmtes Protein, das sich im Darm bestimmter Schädlinge in eine giftige Variante umwandelt und die Schädlinge tötet. Dadurch kann der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln verringert werden, heißt es. In MON810-Mais soll das so genannte Cry1Ab-Toxin selektiv gegen den Maiszünsler wirken, wobei das Gift nicht identisch ist mit dem Gift in den Spritzmitteln.

Dabei war das Bt-Gift längst nicht so wirksam wie ursprünglich geplant, sagt das Gen-ethische Netzwerk. Dafür wirke es umso intensiver gegen bestimmte Schmetterlingsgruppen und deren Larven. Giftig ist es auch für Nützlinge wie Zweipunkt-Marienkäfer, Wasserflöhe und Köcherfliegen.

Durch Anbau von Gen-Pflanzen wächst der Einsatz von Pestiziden

Eines der Hauptversprechen der Grünen Gentechnik ist die Einsparung von Pestiziden. Diese seien bei insektenresistenten Pflanzen größer als bei herbizidtoleranten Pflanzen, räumen die Autoren in einer Meta-Analyse von 2014 ein.

Laut einer Studie von 2012 stellte in den USA die Zunahme von Herbiziden die Reduktion von Insektiziden während eines Zeitraumes von 16 Jahren um ein Vielfaches in den Schatten. Denn die Ausbreitung von Glyphosat-resistenten Unkräutern habe zu einem erheblichen Anstieg der Anzahl und Menge der eingesetzten Herbizide geführt. Weitere Studien kommen zu ähnlichen Ergebnisssen.

Weil in Amerika Unkräuter immer öfter resistent gegen Glyphosat werden, weichen die Farmer auf andere Herbizide aus, etwa auf Glufosinat – bis die Pflanzen auch gegen diesen Wirkstoff resistent werden.

Zunehmende Mehrfachresistenzen von Unkräutern führen dazu, dass immer mehr Herbizide gespritzt werden. Gleichzeitig braucht es immer neue Gen-Pflanzen-Konstrukte, die die wachsenden Mengen an Herbiziden wegstecken, ohne einzugehen. An dieser Art der Landbewirtschaftung gehen zuerst die Böden zugrunde und dann die Farmer.