"Verantwortung für die Krise tragen in erster Linie SPD und FDP"
Seite 2: "Politiker werden gewählt, um zu gestalten"
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- "Politiker werden gewählt, um zu gestalten"
- "Die teils schrägen Debatten der vergangenen zwei Jahre haben uns geschadet"
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Union und SPD verloren zusammen rund 14 Prozentpunkte.
Ruprecht Polenz: Wenn eine Regierung Stimmen verliert, ist sie aber nicht abgewählt, sondern lediglich geschwächt. Sie könnte regieren. Genau das hat der Bundespräsident der SPD ja kürzlich noch einmal aufgezeigt. Wir haben die Situation, dass sowohl SPD und FDP als auch Linkspartei und AfD sagen: Wir wollen nicht regieren. Eine Situation, die wir so noch nicht hatten. Die Verantwortung für diese Krise tragen also in erster Linie SPD und FDP, die sich dem mühsamen Kompromissfindungsprozess entziehen, nach dem Motto: Macht ihr doch mal.
Wie bewerten Sie den Kursschwenk Martin Schulz', der dem SPIEGEL nun sagte: "Politik ist ein dynamischer Prozess, und Parteien wie die SPD müssen sich dann auch auf neue Lagen einstellen. Auch wenn das nicht immer zwingend elegant aussieht."
Ruprecht Polenz: Positiv. Nachdem die FDP die Jamaika-Verhandlungen für gescheitert erklärt hatte, ist für die SPD eine neue Lage entstanden. Darauf hat sicher auch der Bundespräsident hingewiesen.
Gehen Sie also davon aus, dass die SPD sich doch noch bewegen wird?
Ruprecht Polenz: Nehmen wir mal an, wir hätten im März oder April Neuwahlen. Nachdem, was wir derzeit erleben, kann man davon ausgehen, dass der SPD-Spitzenkandidat in jeder Wahlveranstaltung dieselbe Frage beantworten müsste: Was macht die SPD am Tag nach der Wahl? Nur so viel: Ich hoffe, dass diejenigen Parteien, die sagen, sie wollen keine Regierungsverantwortung übernehmen, nicht gewählt würden. Politiker werden gewählt, um zu gestalten.
Glauben Sie, Martin Schulz wäre bei einer Neuwahl der Spitzenkandidat der SPD?
Ruprecht Polenz: Jede Partei muss selbst entscheiden, wen sie ins Rennen schickt. Zu den Personalproblemen der SPD will ich mich als Christdemokrat nicht äußern. Klar ist: Die SPD wird diese entscheidende Frage beantworten müssen: Will sie regieren - oder will sie in die Opposition? Schauen wir uns die aktuellen Meinungsumfragen an, ist nicht davon auszugehen, dass die SPD nach Neuwahlen plötzlich andere Koalitionsoptionen hätte. Kurzum: Wenn die Sozialdemokraten bei ihrer Haltung bleiben, dann weiß ich nicht, weshalb man sie wählen sollte. Das ergäbe keinen Sinn.
Sie schrieben kürzlich, bei einer Neuwahl würde es für die Union entscheidend darauf ankommen, dass die Geschlossenheit erhalten bleibe und mit einem überzeugenden und glaubwürdigen gemeinsamen Wahlprogramm begründet werde. Herr Polenz, ist die Union derzeit nicht eher gespalten?
Ruprecht Polenz: Nein. Richtig ist: Wir sahen über Monate hinweg ein Gezerre zwischen CDU und CSU. Angesichts der unterschiedlichen Ansichten in der Flüchtlingspolitik wurde sogar ernsthaft darüber diskutiert, ob es ein gemeinsames Wahlprogramm geben sollte. All diese Auseinandersetzungen liegen nicht weit zurück. Mittlerweile hat die Union allerdings zu einer neuen Geschlossenheit gefunden. Das betrifft offensichtlich auch das persönliche Verhältnis zwischen Merkel und Seehofer. Ein Punkt, der sowohl bei Koalitionsverhandlungen mit der SPD von Vorteil wäre als auch bei möglichen Neuwahlen.
Ihr Parteikollege Friedrich Merz sagte vor Kurzem, der Wahlkampf der Union müsse in Zukunft "ein völlig anderer werden."
Ruprecht Polenz: Dazu gibt es überhaupt keinen Grund. Auch Neuwahlen würden in der Mitte gewonnen. Es brächte nichts, der AfD verbal oder gar inhaltlich hinterherzulaufen, um von dort Wähler zurückzuholen. So geht das nicht. Für jeden Wähler, den man zurückgewänne, verlöre man zwei in der Mitte. Nein, es geht darum, überzeugende Problemlösungen zu präsentieren. Nur das kann dazu führen, dass diejenigen Bürger, die aus einer reinen Protesthaltung die AfD gewählt haben, zu uns zurückkehren. Viele haben doch ihr Kreuz bei den Populisten gemacht, um die anderen Parteien zu ärgern. Ein Denkzettel, den alle Demokraten ernst nehmen sollten.
Ist das nicht ein weiteres Argument gegen eine Große Koalition?
Ruprecht Polenz: Richtig ist, dass es für die Demokratie besser wäre, wenn der Regierung eine Opposition als "Regierung im Wartestand" gegenüber stünde. Das wäre eine Opposition aus FDP, Grünen, AfD und Linken nicht. Aber im Augenblick geht es nicht darum, gute Gegenargumente zu sammeln, sondern an einer Lösung zu arbeiten.
Friedrich Merz äußerte sich noch deutlicher: Die Strategie, möglichst alle Wähler auf der anderen Straßenseite ins Koma zu versetzen, dürfte sich erledigt haben, sagte er. Es dürfe nicht mehr egal sein, "mit wem man eine beliebige Regierung zusammenschustert."
Ruprecht Polenz: Das ist nicht zuende gedacht. Glaubt Herr Merz allen Ernstes, die kleineren Parteien würden mit festen Koalitionsaussagen in einen Wahlkampf gehen? Mit Verlaub, es würde schon merkwürdig anmuten, wenn gerade die CDU sagte, wir machen jetzt einen Wahlkampf, damit wir hinterher mit der FDP oder mit den Grünen eine Regierung bilden können. Da sähe die CDU als große Partei ziemlich dämlich aus. Ich halte auch nichts von der immer wieder kolportierten These, der Wahlkampf der Union habe die Bevölkerung eingeschläfert.
Wie erklären Sie sich die teils heftigen Aussagen Ihres Kollegen Merz?
Ruprecht Polenz: Das kann ich Ihnen nicht beantworten. Klar ist: Wer im Wahlkampf Themen vermisst hat, die die Gesellschaft auseinanderreißen, der verkennt, dass die CDU für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft steht.