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Verbote von Hamas und Samidoun: Keine SolidaritÀt mit Antisemiten

Peter Nowak

Parade palÀstinensischer Dschihadisten. Archivbild: Hadi Mohammad / CC-BY-4.0

Teile der Linken verabschieden sich von reflexhafter PalÀstina-SolidaritÀt. Das ist angesichts der Hamas-Pogrome in Israel eine gute Nachricht. Was zu hoffen bleibt.

Dass Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) heute neben einem Hamas-BetĂ€tigungsverbot auch das Verbot des palĂ€stinensischen Netzwerks Samidoun ankĂŒndigte [1], war keine Überraschung. Schließlich wird es schon lĂ€nger gefordert, weil aus den Reihen der Organisation immer wieder das Existenzrecht Israels in Frage gestellt wurde.

In den letzten Monaten hatten sich neben einem Teil der Linken auch Linksliberale dagegen ausgesprochen, dass mehrere Demonstrationen, an denen Samidoun-Aktivisten beteiligt waren, mit der BegrĂŒndung verboten wurden, dass dort israelfeindliche Parolen verbreitet werden könnten.

Nachdem Scholz mit seiner Rede im Bundestag das Verbot der Organisation jetzt zur Chefsache gemacht hat, hĂ€tte man vermuten können, dass die UnterstĂŒtzung fĂŒr das Netzwerk noch wĂ€chst. Da ist es schon ĂŒberraschend, dass die strömungsĂŒbergreifende linke SolidaritĂ€tsorganisation Rote Hilfe [2] nun ihre Kampagne gegen die Ausweisung des Samidoun-Sprechers Zaid Abdulnasser [3] beendet hat [4].

An seiner individuellen Bedrohungslage als GeflĂŒchteter und SchutzbedĂŒrftiger als palĂ€stinensischer Syrer hat sich nichts geĂ€ndert. SolidaritĂ€t heißt fĂŒr uns, dass keine Person wegen ihrer politischen AktivitĂ€ten seine individuellen Grundrechte verlieren darf. Doch selbstverstĂ€ndlich gibt es auch bei uns Grenzen der SolidaritĂ€t, wenn linke Grundprinzipien verletzt werden.

Die Prinzipien, die uns dabei in unserer politischen und finanziellen SolidaritĂ€t leiten, sind: Das Eintreten fĂŒr die Ziele der Arbeiter:innenbewegung, die internationale SolidaritĂ€t, der antifaschistische, antisexistische, antirassistische, demokratische und gewerkschaftliche Kampf sowie der Kampf gegen Antisemitismus, Militarismus und Krieg. Diese Prinzipien definieren auch unsere Grenzen. Samidoun hat diese eindeutig verletzt. Daher erklĂ€ren wir die UnterstĂŒtzung der Kampagne mit sofortiger Wirkung fĂŒr beendet.


ErklÀrung der Roten Hilfe

Auf den ersten Blick ist die AufkĂŒndigung der SolidaritĂ€t erstaunlich in einem Augenblick, in dem ein Organisationsverbot nĂ€her rĂŒckt. Zudem könnte man auch argumentieren, dass die Kampagne gegen eine Ausweisung des Samidoun-Sprechers nicht bedeuten muss, dass auch ein Strafverfahren gegen ihn Deutschland abgelehnt wird.

Mit dem Kampf gegen Ausweisungen soll mitunter auch nur eine Doppelbestrafung aufgrund der ethnischen Herkunft und einer auslĂ€ndischen StaatsbĂŒrgerschaft verhindert werden.

Bruch mit reflexhafter UnterstĂŒtzung der vermeintlich Schwachen

Trotzdem ist die ErklĂ€rung der Roten Hilfe vom emanzipatorischen Standpunkt aus zu begrĂŒĂŸen. Es ist ein Bruch mit der fast reflexhaften UnterstĂŒtzung der vermeintlich Schwachen im Nahostkonflikt, nach deren Lesart an allen Ereignissen dort immer nur Israel die Schuld trĂ€gt [5] - eine Position, die die israelischen Journalisten Adi Schwartz und Einat Wilf in ihrem Buch "Der Kampf um RĂŒckkehr" [6] ĂŒberzeugend kritisierten.

Sie legen in dem Buch dar, wie im Nahen Osten palĂ€stinensische FlĂŒchtlinge in der vierten Generation erzeugt werden, um damit eine Lösung des Nahostkonflikts zu verhindern. Schwartz und Wilf zeigen auf, wie seit Jahren die Verletzung der Rechte der im FlĂŒchtlingsstatus gehaltenen Menschen in vielen arabischen Staaten wie Syrien, Jordanien und dem Libanon ignoriert wird.

Trotzdem gelang es der pro-palÀstinensischen Propaganda, den Schuldigen immer nur in Israel sehen. Ein Teil der Linken in vielen LÀndern folgte diesen Verdikt fast reflexartig. Einige linke Gruppen redeten auch noch wenige Stunden nach dem Eindringen der Hamas auf israelischen Gebiet vom Erwachen des palÀstinensischen Volkes, das sich erhoben habe.

Höchstens deren anfĂ€ngliche Uninformiertheit ĂŒber den wahren Charakter des islamistischen Überfalls kann hier als mildernder Umstand gelten. Die wahre Dimension der grĂ¶ĂŸten Massaker an JĂŒdinnen und Juden an einem Tag nach dem Ende des NS-Regimes wurde erst nach Tagen bekannt. In der taz schreibt ein Korrespondent aus Israel ĂŒber einen der von den Islamisten ĂŒberfallenen Kibbuzim:

Neben drei sorgsam abgestellten Kinderfahrrädern liegen sechs Leichensäcke. Mehr als hundert Kibbuz- Bewohner wurden ermordet, wie mehrere von der Nachrichtenagentur afp befragte israelische Militärs bestätigen, manche sprechen sogar von 150 toten Zivilisten. In dem Teil des Kibbuz, in dem die jungen Erwachsenen lebten, sind die kleinen Häuser ausgebrannt.

"Die Palästinenser zündeten sie an, um die Bewohner nach draußen zu zwingen", sagt der Offizier Barak. Dann hätten die Angreifer mit Maschinengewehren auf sie geschossen. "Aber viele starben lieber im Feuer, statt von den Terroristen getötet zu werden. Wir haben viele Leichen in den Häusern gefunden", berichtet der 24-Jährige.


Joris Fioriti, taz

Ähnliche Szenen spielten sich beim Überfall auf das Rave-Festival im SĂŒden Israels ab. Die Feiernden waren völlig hilf- und wehrlos, als ihre Mörder dort eintrafen. Sie hatten auf Schutz durch die israelische Polizei verzichtet. Es ist kein Zufall, dass viele israelische Kommentatoren bei den Mordtaten der Islamisten an die Verbrechen der Nazis denken. Das ist keine Propaganda, sondern liegt in der Art der Verbrechen. Die Menschen wurden nur gequĂ€lt, verletzt und ermordet, weil sie Juden waren. Hier hat sich ein islamistischer Vernichtungs-Antisemitismus Bahn gebrochen.

BankrotterklÀrung der palÀstinensischen Linken

Das muss fĂŒr alle, die sich noch irgendwie auf links und emanzipatorisch halten, ein Grund sein, innezuhalten und nicht sofort wieder damit zu beginnen, aufzuzĂ€hlen, wo ĂŒberall Israel Fehler gemacht hat. Daher ist die ErklĂ€rung der Roten Hilfe ein positiver Schritt.

Denn Samidoun hat bisher die Verbrechen der Islamisten mit keinem Wort kritisiert. Dabei steht diese Organisation der PFLP, einer vorgeblich marxistischen palĂ€stinensischen Organisation nahe, die lange Zeit immer wieder betonte, dass sie fĂŒr einen israelischen Staat kĂ€mpfe, in dem alle Teile der Bevölkerung, auch die jĂŒdische, friedlich zusammenleben sollen.

Wenn die PFLP diesen Anspruch ernst nehmen wĂŒrde, mĂŒsste sie die islamistischen Verbrechen unmissverstĂ€ndlich verurteilen. Denn wer kann noch glauben, dass nach den antisemitischen Pogromen der letzten Tage im SĂŒden Israels, noch ein jĂŒdischer Israeli noch einen Funken Vertrauen in die Propaganda einer Organisation haben kann, die vom friedlichen Zusammenleben redet, aber die Massaker nicht nur nicht verurteilt, sondern sie noch als großartigen Aufstand der unterdrĂŒckten PalĂ€stinenser darstellt?

Diese Verirrung der palĂ€stinensischen Linken hat eine lange Vorgeschichte. In den 1970er-Jahren betonten palĂ€stinensische Linke immer, ihr Kampf richte sich nicht gegen Juden, sondern angeblich nur gegen Zionisten. In der Praxis wurde diese Unterscheidung nie durchgehalten. Mit dem Erstarken des Islamismus im arabischen Raum und den palĂ€stinensischen Gebieten wurde die Selbstaufgabe eines Großteils dieser Linken dort deutlich.

"Befreit Gaza von der Hamas" hĂ€tte die linke Parole sein mĂŒssen

Dabei hĂ€tten die palästinensischen Linken aus Eigeninteresse die ersten sein mĂŒssen, die diese vom Iran unterstĂŒtzen Islamisten bekĂ€mpfen mĂŒssen. Denn sie verfolgen alle Linken, Feministinnen und Liberalen, wo sie die Möglichkeit dazu haben. Das zeigt sich am Gaza-Streifen besonders gut. Bevor sie ihn zu einer Basis gegen Israel ausbauten, haben sie alle, die irgendwie in Opposition zu ihrem menschenverachtenden Programm standen, verfolgt.

Erinnert sich noch jemand an eine Gruppe junger Menschen, die sich in Gaza vor einigen Jahren gegen die Hamas-Propaganda wandten und bald das Gebiet verlassen mussten? Eigentlich hĂ€tte die Parole "Befreit Gaza von der Hamas" fĂŒr alle Linken eine SelbstverstĂ€ndlichkeit sein mĂŒssen – aus eigener Betroffenheit und auch der palĂ€stinensischen. Sie hĂ€tten statt dessen auch mit den Linken und Liberalen in Israel kooperieren im Kampf gegen die islamistische Konterrevolution kooperieren mĂŒssen.

Es ist auch eine Folge dieses Versagens, dass die israelische Armee nun mit der Kraft ihres MilitĂ€rs versuchen wird, Gaza von der Hamas zu befreien. Dabei werden wieder viele, auch unschuldige Menschen sterben und sofort wird wieder Israel die alleinige Schuld gegeben. Dabei ist die Hamas der Grund, die sich nie fĂŒr die BedĂŒrfnisse der Menschen im Gaza interessierte. FĂŒr sie war und ist es nur eine Basis fĂŒr ihren antisemitischen Kampf.

Es wĂ€re zu hoffen, dass die Pogrome der Hamas bei bisher nicht lernfĂ€higen Teilen der Linken auch in Deutschland zum Umdenken fĂŒhren. Die kurze ErklĂ€rung der Roten Hilfe ist daher eine gute Nachricht. Sie ist keine Unterwerfung unter die deutsche StaatsrĂ€son, sondern folgt einem linken Minimalkonsens, der viel zu oft gebrochen wurde: Es kann keine Kooperation mit Antisemiten geben.


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-9333053

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.zdf.de/nachrichten/video/bundeskanzler-scholz-regierungserklaerung-israel-hamas-100.html
[2] https://www.rote-hilfe.de
[3] https://samidoun.net/de/2023/09/drohende-abschiebung-interview-mit-zaid
[4] https://www.rote-hilfe.de/news/bundesvorstand/1252-rote-hilfe-berlin-beendet-unterstuetzung-fuer-kampagne-gegen-ausweisung-des-samidoun-sprechers-zaid-abdulnasser
[5] https://www.telepolis.de/features/Israel-Projektionsflaeche-fuer-Wut-die-ganz-andere-Ursachen-hat-9289256.html
[6] https://www.hentrichhentrich.de/buch-der-kampf-um-rueckkehr.html