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Verdorbene Oktober-Überraschung: Wie die Republikaner Jimmy Carter die Wiederwahl stahlen

US-Präsident Jimmy Carter im Wahlkampf von 1980. Bild: Autor/-in unbekannt, Public domain, via Wikimedia Commons

Ein Politveteran gestand dem sterbenden US-Präsidenten Jimmy Carter eine Intrige, die ihm 1980 den Wahlkampf sabotierte. Das sind die Hintergründe, und wie Ronald Reagan davon profitierte.

Jimmy Carter, 39. Präsident der Vereinigten Staaten, bereitet sich in diesen Tagen nach schwerer Krankheit im Alter von 98 Jahren unter palliativer Behandlung auf seinen Tod vor. Der texanische Politveteran Ben Barnes, einst selbst als Präsidentschaftskandidat gehandelt, hat dies zum Anlass genommen, noch zu beider Lebzeiten sein Gewissen zu erleichtern.

Wie nun in der New York Times nachzulesen ist, gestand Barnes seinem Parteifreund öffentlich, wie man den Präsidenten vor der Wahl ausgetrickst [1] hatte.

Sabotierte Oktober-Überraschung

Der Demokrat Carter hatte im Wahlkampf von 1976 nach dem Watergate-Skandal und den Enthüllungen über die Verbrechen der CIA die Republikaner aus dem Weißen Haus verdrängt. Wie schon Kennedy hatte sich Carter insbesondere die Geheimdienst-Gemeinde durch Entlassungen zum Feind gemacht. Etliche seiner Berater liefen zu den Republikanern über.

Im Wahlkampfjahr 1980 hatte Carter einen schweren Stand. So waren etwa während der Iranischen Revolution 52 Angehörige der US-Botschaft in Teheran als Geiseln genommen worden. Ein Versuch, die US-Bürger militärisch mit einem Spezialkommando zu befreien, scheiterte durch einen Unfall in einem frühen Stadium kläglich. Stattdessen bemühte sich Carter nun auf dem Verhandlungsweg um eine Freilassung.

Hätte Carter im Oktober 1980 - kurz vor dem traditionellen Wahltag im November – mit einem solchen Verhandlungserfolg aufwarten können, hätte sich ein solcher Coup zweifellos an den Wahlurnen ausgewirkt, nach Meinung vieler Experten sogar wahlentscheidend. Sein republikanischer Konkurrent Ronald Reagan sprach von einer "October Surprise", die man in seinem Lager befürchtete. Doch aus geheimnisvollen Gründen ließ Teheran Carter auflaufen, die Geiseln saßen weiterhin fest. Herausforderer Reagan gewann die Wahl furios.

Dass die republikanischen Strippenzieher ihre Finger im Spiel hatten, ist seit Jahrzehnten ein offenes Geheimnis [2]. Carter selbst hatte sich 1990 auf das Geständnis [3] des einstigen iranischen Präsidenten Abolhassan Bani-Sadr bezogen, der sich 1980 mit seinem Mitrevolutionär Ayatollah Khomeini überworfen hatte und ins Exil geflohen war. Bani-Sadr präzisierte 2013, dass Reagan und Khomeini sich entsprechend verständigt hätten. Um die Geheimhaltung zu gewährleisten, habe Khomeini sogar zwei Berater Bani-Sadrs exekutieren lassen.

Eine Untersuchungskommission, die dem Verdacht nachging, entlastete 1993 jedoch offiziell die Reagan-Leute. Die sabotierte Oktober-Überraschung wurde zur Verschwörungstheorie ausgerufen.

Doch jetzt gesteht mit Ben Barnes erstmals ein namhafter US-Politiker seine Beteiligung an der realen Verschwörung gegen den Präsidenten und nennt Details.

Zwei umtriebige Texaner

Ben Barnes war in den 1960er-Jahren ein aufstrebender Politiker in Texas gewesen. Seit Jahrzehnten steuerten die als Big Oil bekannten [4] texanischen Ölmilliardäre die Präsidentenwahlen mit hohen Spenden, Lobbyisten und schmutzigen Tricks.

Barnes Mentor und späterer Geschäftspartner war der ursprüngliche Demokrat John Conally, der 1960 vergeblich die Präsidentschaftskandidatur seines engen texanischen Freundes Lyndon B. Johnsons unterstützt hatte. 1963 hatte Conally dann als Gouverneur von Texas bei John F. Kennedys fatalem Besuch in Dallas vorn in der Präsidentenlimousine gesessen und wurde an der Hand getroffen.

Conally sprach stets von mehr als drei Schüssen, wie sie zu den drei im "sixth floor" gefundenen Patronenhülsen gepasst hätten. Conally hatte geraunt, dass er einen Verdacht habe, sich aber hierzu nicht äußern werde.

Im Dezember 2022 freigegebene Dokumente [5] über die abweichenden Befunde der Ärzte im zivilen Parkland Hospital in Dallas und der illegalen, aber quasi offiziellen Obduktion im Marinehospital in Maryland bestätigten mindestens eine weitere Einschusswunde und die Sicherstellung von zwei Geschossen im Körper des Präsidenten. Bei offiziell zwei Fehlschüssen beweist dies mindestens einen vierten Schuss und widerlegt damit die Darstellung im Warren-Report.

Der eng mit Johnson befreundete Conally gehörte zur Clique ultrakonservativer texanischer Spitzenpolitiker und Superreicher, die ihren Einfluss in Washington über die Parteigrenzen hinweg konsequent zu sichern wussten. Nachdem Conally von den Demokraten noch immer nicht für das Präsidentenamt aufgestellt wurde, verwandte sich Conally 1968 für die Republikaner, die sich nach der Ära des texanischen Demokraten Johnson nun wieder hoher Wahlkampfspenden aus Texas erfreuten. Als Spendensammler fungierte der texanische Senator und Ölunternehmer George H. W. Bush, der selbst auf das Amt des Vizepräsidenten schielte.

Nixon machte Conally 1971 zum Finanzminister und zog ihn sogar als Vizepräsident oder Nachfolger in Betracht. Wie so viele im Umfeld von Johnson fiel jedoch auch Conally durch Korruption auf.

Barnes selbst verfehlte sein Wahlziel als Gouverneur von Texas. Als Vizegouverneur konnte er jedoch für den Texaner George H. W. Bush arrangieren, dass dessen Sohn George W. Bush bei der texanischen Nationalgarde unterkam, was ihm den Wehrdienst in Vietnam ersparte.

Trotz Conallys Parteiwechsel unterstützte Barnes seinen Freund bei dessen Ambitionen auf das Präsidentenamt. Gemeinsam gründeten sie mit Krediten eine Baugesellschaft, kauften eine Reihe an Firmen, darunter eine regionale Airline, ein Ölunternehmen, ein Restaurant und eine Werbeagentur. Außerdem gaben sie ein Magazin für Western Art heraus.

Nachdem sich Conally 1979 auch bei den Republikanern nicht als Kandidat durchsetzen konnte, unterstützte er die Kampagne des damaligen kalifornischen Gouverneurs Ronald Reagan, von dem Conally sich Barnes zufolge eine Position als Außen- oder Verteidigungsminister erhoffte.

Der Schattenmann

Reagans Wahlkampfleiter war der Steuerrechtsexperte William Casey, der im Zweiten Weltkrieg im trickreichen Kriegsgeheimdienst OSS gearbeitet hatte. Zum Handwerk des umstrittenen Geheimdienstes gehörte vorwiegend Desinformation zur Beeinflussung der öffentlichen Meinung.

Wahlkampfstratege Casey wendete seine Kunst der schwarzen Propaganda jedoch gegen die eigene Bevölkerung an. Bereits während Nixons Wahlkampf von 1968 hatte Casey heimlich mit der Regierung von Südvietnam geklüngelt und erfolgreich Friedensverhandlungen mit der Regierung Johnson sabotiert, um den Demokraten im Wahlkampf zu schaden [6]. Caseys Manipulation verlängerte den Krieg und kostete so weiteren 20.000 US-Amerikanern und Hunderttausenden Vietnamesen das Leben.

Wahlsieger Nixon belohnte den zynischen Casey mit der Position als Leiter der Börsenaufsicht. Als Geschäftsmann brachte es Casey zum Milliardär.

Auch im Wahlkampf von 1980 war Casey nicht zimperlich. So kam Casey vor dem TV-Duell zwischen den Kandidaten in den Besitz des Briefings für Carter.

Casey gilt bereits seit Jahrzehnten als der Mann, der den verwegenen Plan ausheckte, wie schon die Südvietnamesen auch die Iraner zu bestechen, um die demokratische Regierung schlecht aussehen zu lassen. Was jedoch fehlte, war ein Kontakt zur mit den USA verfeindeten Regierung des Iran.

Eine geheimnisvolle Reise in den Mittleren Osten

Conally lud seinen Geschäftspartner Barnes im Juli 1980 auf eine vorgeblich rein private Reise in den Mittleren Osten ein. Sie besuchten die Hauptstädte von Jordanien, Syrien, Libanon, Saudi-Arabien, Ägypten und Israel.

Erst vor Ort erfuhr Barnes den eigentlichen Zweck der Reise. Conally bat regionale Machthaber darum, eine Botschaft an den Iran zu vermitteln: Behaltet die Geiseln bis nach der Wahl, Reagan bietet euch dann ein besseres Geschäft an. Bei der Rückreise nach Houston machte Conally einen konspirativen Zwischenstopp ausgerechnet in Dallas, wo er Casey persönlich am Flughafen berichtete.

Barnes kann nicht aus eigener Anschauung bestätigen, wie der Iran die Botschaft beantwortete. Doch ausgerechnet am Tag von Reagans Inauguration ließ der Iran die Geiseln frei. Offenkundig hatte man den Deal akzeptiert.

Reagan ernannte Casey zu seinem neuen CIA-Direktor, der den von Carter eingehegten Geheimdienst wieder zu einem Instrument aggressiver Außenpolitik restrukturierte. Casey verstarb 1987 im Amt. Conally wurde nur das für ihn unattraktive Energieministerium angeboten, sodass er sich aus der Politik zurückzog. Die gemeinsamen Firmen mit Barnes gingen insolvent.

Offenes Geheimnis

Anfang der 1990er-Jahre kam der Verdacht auf, Casey sei 1980 im Sommer zunächst nach Madrid und dann im Oktober nach Paris gereist, wo er mit Vertretern des Iran ein Abkommen finalisiert habe. Wie The Intercept zusammengetragen hat, hatten etliche von Barnes Ansprechpartnern die Treffen eingeräumt [7].

So hatte etwa Palästinenserführer Yasser Arafat von als "Republikaner" bezeichneten Emissären berichtet, die dem Iran für dessen Zuwarten Waffenlieferungen angeboten [8] hätten. Arafat will deren Ansinnen abgelehnt haben, anderer Darstellung zufolge soll Arafat jedoch in Madrid mit Casey verhandelt haben.

Der Biograf des damaligen Chefs des französischen Auslandsgeheimdienstes Alexandre de Marenches berichtet, de Marenches habe ihm heimlich anvertraut, er hätte im Oktober 1980 ein Treffen zwischen Casey und Iranern in Paris arrangiert. Nach seinem Regierungsantritt heuerte Reagan unverzüglich de Marenches als Berater an.

Die Untersuchungskommission konnte 1993 für die Sabotage jedoch keine Beweise finden. Allerdings hatte man dem Komitee ein für Präsident Bush bestimmtes Dokument vorenthalten, das die Behauptung einer Reise Caseys nach Madrid stützte. Auch ein Papier der Russen, die von drei Verhandlungen Caseys in Madrid und Paris berichteten, wurde unterschlagen. Eine Kopie [9] fiel jedoch 2011 dem investigativen Journalisten Robert Parry in die Hände.

Dem russischen Dossier zufolge hatte der Iran Ersatzteile für die F-4- und F-5-Flugzeuge sowie M-60-Panzer begehrt und eine schrittweise Normalisierung der Beziehungen zu den USA vorgeschlagen.

Begleitet wurde Casey von keinem Geringeren als Reagans "Running Mate" George H. W. Bush, der in der Regierung Ford als CIA-Direktor fungiert hatte. Auch CIA-Mann Robert Gates, der 1991 CIA-Direktor und 2002 Verteidigungsminister wurde, habe mitgewirkt. Nach Reagans Wahlsieg hatte man sich außerdem über die Lieferung von Boden-Boden-Raketen der Lance-Klasse sowie zur Lieferung von Ersatzteilen für F-14-Kampfflugzeuge verständigt, was über Waffenhändler abgewickelt wurde.

Während Präsident Carter das verfassungsmäßige Recht auf solche Geheimverhandlungen zugestanden hätte, hatten die Republikaner damals keine solche Kompetenz. Die geheime Verbindung zum Iran dürfte der Auftakt für fragwürdige Waffengeschäfte gewesen sein, die später als Iran-Contra-Affäre bekannt wurden.

Eine Verbindung Caseys zu Conally und Barnes blieb jedoch allen gänzlich verborgen. Soweit sich die Darstellung von Barnes überprüfen ließ, ist diese konsistent, sogar ein Kontakt von Conally zu Reagan im Juli 1980 ist belegt.

Der knapp 85-jährige Barnes hätte auch kein plausibles Motiv, um mit einem erfundenen "Verdienst" wie diesem zu prahlen. Im Gegenteil wollte der 43 Jahre lang schweigende Barnes eigentlich einen Ruf als Verräter vermeiden. Doch die Situation des sterbenden Carter stimmte ihn um. Die Geschichtsschreibung erfordere es, zu erfahren, was passiert sei, und er selbst wolle einen Weg finden, um mit der Sache ins Reine zu kommen.

Noble Lüge

Eine bittere Pointe liegt in dem Widerspruch, dass Reagan sich öffentlich ausgerechnet als Patriot inszeniert [10] hatte, der Verhandlungen mit "Terroristen" ablehnte. Wie nunmehr klar ist, waren es in Wirklichkeit genau solche Geschäfte, denen der zur Lüge neigende Schauspieler seine Präsidentschaft verdankte.

Soweit erkennbar, wurde in deutschen Medien über Barnes Geständnis offenbar nicht berichtet. Enthüllungen über die Schattenseiten [11] der Präsidenten Reagan und Bush sind hierzulande offenbar unerwünscht.


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-8116294

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.nytimes.com/2023/03/18/us/politics/jimmy-carter-october-surprise-iran-hostages.html
[2] https://youtu.be/hUadyr0LJU8?t=1446
[3] https://www.csmonitor.com/Commentary/Global-Viewpoint/2013/0305/Argo-helps-Iran-s-dictatorship-harms-democracy
[4] https://www.telepolis.de/features/Big-Oil-Die-Oelbarone-in-Texas-7345503.html
[5] https://jfkfacts.substack.com/p/jfk-doctors-were-slapped-with-gag
[6] https://www.nytimes.com/2017/01/02/us/politics/nixon-tried-to-spoil-johnsons-vietnam-peace-talks-in-68-notes-show.html
[7] https://theintercept.com/2023/03/24/october-surprise-ben-barnes/
[8] https://www.google.com/books/edition/The_Good_Spy/N8hvDwAAQBAJ?hl=en&gbpv=1&dq=Douglas%20Brinkley%20%E2%80%9CYou%20should%20know%20that%20in%201980%20the%20Republicans%20approached%20me%20with%20an%20arms%20deal%22&pg=PA247&printsec=frontcover
[9] https://www.consortiumnews.com/archive/xfile1.html
[10] https://markcrispinmiller.substack.com/p/stop-the-presses-the-new-york-times
[11] https://www.telepolis.de/news/Auf-den-Hund-gekommen-4244823.html