Vereinte Nationen: Zu alt für die neue Weltordnung

Rolf Bader
UN-Flagge mit den Ölzweigen als sich drehenden Pfeilen

Die UNO steht vor ihrer größten Bewährungsprobe. Nach 80 Jahren UN-Charta drängen viele Staaten auf eine Reform der verkrusteten Strukturen. Doch mächtige Gegner haben andere Pläne.

Dieses Jahr 2025 wird entscheidend sein für die Vereinten Nationen. 80 Jahre UN-Charta und das bevorstehende UN-Jubiläum im Oktober sind Anlass, die Reformfähigkeit der Weltorganisation, der 193 Staaten aller fünf Kontinente angehören, auf den Prüfstand zu stellen.

Dazu wurden 42 deutsche UN-Experten, Wissenschaftler/innen verschiedener Universitäten, die deutsche UN-Botschaft in New York und das Auswärtige Amt befragt. Folgende Fragen wurden an die Experten gestellt:

  • Wie schätzen Sie die Chancen für eine Reform der UNO ein?
  • Im Besonderen des UN-Sicherheitsrats?
  • Wie könnten NGOs in Deutschland diesen Prozess unterstützen?
  • Macht es überhaupt Sinn, sich einzubringen?

Ausgangspunkt des Reformprozesses ist der UN-Zukunftspakt1, der am 22. September 2024 mit großer Mehrheit – 143 Staaten stimmten dem Pakt zu – von der UN-Generalversammlung verabschiedet wurde.

Auch über 600 internationale NGOs und die globale Zivilgesellschaft haben sich an seiner Entstehung engagiert beteiligt; ein Hoffnungszeichen für eine vielleicht friedlichere Zukunft der Weltgemeinschaft. Der Zukunftspakt könnte den Weg für eine Reform der Vereinten Nationen ebnen und die Weichen für die Bekämpfung von Hunger und Armut, für Friedenssicherung, die Reform der internationalen Finanzarchitektur bis zu Klimaschutz und künstlicher Intelligenz stellen.

"Dass der Pakt gelungen ist, obwohl wir auf den letzten Metern wirklich Schwierigkeiten hatten, einen Konsens zu finden. Und dass der Multilateralismus lebt, das war wirklich sehr schön und auch ein Erfolg für uns", so die deutsche UN-Botschafterin.

Die Welt und ihre geopolitischen Realitäten entsprächen bei weitem nicht mehr denen von 1945, als die UN-Charta verabschiedet wurde. Auch deshalb sei die Reform des Sicherheitsrates ein zentrales Anliegen Deutschlands.

Durch breites internationales Engagement setzt sich Deutschland auf vielfältige Art und Weise für die Ziele der Vereinten Nationen ein – zum Beispiel durch die Entsendung von Truppen für internationale Friedensmissionen, durch umfassende Mittel für nachhaltige Entwicklung, Stabilisierung und humanitäre Hilfe und durch systematisches Eintreten für den Schutz der Menschenrechte.

Zudem ist Deutschland – Pflicht- und freiwillige Beiträge zusammengerechnet – der zweitgrößte Beitragszahler zum UN-System insgesamt. Zuletzt hat Deutschland gemeinsam mit dem Ko-Vorsitz Namibia die Verhandlungen über den UN-Zukunftspakt zum Erfolg geführt.

Auswärtiges Amt

Deshalb strebe Deutschland einen ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat an, so die Position der alten Bundesregierung.

Diese Position wird von den befragten Experten sehr kritisch beurteilt. Sie sei weder durchsetzbar noch sinnvoll. Sie empfehlen der künftigen Bundesregierung daher, davon Abstand zu nehmen. Vielmehr sei es wichtig, der veränderten Weltlage Rechnung zu tragen und sich dafür einzusetzen, dass der Globale Süden stärker als bisher im Sicherheitsrat vertreten ist.

Einschätzung der aktuellen Lage der Vereinten Nationen: Eine schlechtere weltpolitische Ausgangslage kann man sich derzeit kaum vorstellen. Donald Trump wird die UNO weiter marginalisieren und sich vermutlich, wie bereits mit dem Austritt aus der WHO und dem Pariser Klimaabkommen geschehen, schrittweise aus der multilateralen Verantwortung zurückziehen.

Was das russische Regime unter Wladimir Putin von Prinzipien wie dem Gewaltverbot hält, zeigt der Krieg in der Ukraine. Die USA unter Donald Trump spielten eine eigene Rolle und bedienten sich der UN nur noch bei Bedarf. Ähnliches gelte für China und Indien.

Europa und die USA würden in der UN an Einfluss verlieren

Statt auf eine grundlegende Reform der Vereinten Nationen zu setzen, gelte es, Mindeststandards und Grundprinzipien des Multilateralismus zu verteidigen.

Die UN-Experten hoben das entschlossene Handeln des Internationalen Gerichtshofs (IGH) und des Internationalen Strafgerichtshofs (ICC) in jüngster Zeit hervor. Allerdings fehlten exekutive Durchsetzungsinstrumente. Diese wären notwendig, um die Handlungsfähigkeit der Gerichte zu stärken.

Militarisierung der Entwicklungszusammenarbeit verhindern Wichtig sei es, in konkreten Krisen (Gaza-Israel, Ukraine, Sudan, Abwicklung von USAID, Gefährdung humanitärer Mindeststandards und humanitärer Hilfe etc.) anzusetzen und dort die vernünftigen Stimmen und multilateralen Institutionen zu verteidigen und gegebenenfalls in ihrer Autonomie zu stärken.

Ferner gilt es, so die Empfehlung an die neue Bundesregierung, die Eigenständigkeit des Politikfeldes Entwicklungszusammenarbeit zu bewahren und einer Militarisierung entgegenzuwirken.

UN-Haushalt stabilisieren

Zur Stabilisierung und Finanzierungssicherheit sollte Deutschland auf eigene Initiative seinen Pflichtbeitrag freiwillig und dauerhaft erhöhen. Langfristig würde die Umwandlung von freiwilligen in regelmäßige Zahlungen allen nützen und vielleicht Nachahmer finden, so die Empfehlung der UN-Experten.

Die befragten UN-Expertinnen und -Experten sind sich zu 100 Prozent einig, dass die Zivilgesellschaft und insbesondere die NGOs einen wichtigen Beitrag zum Gelingen einer UN-Reform leisten können. Ihr Engagement und ihr Einsatz seien unverzichtbar und zu unterstützen.

Allerdings müssten die NGOs ihre Einflussmöglichkeiten realistisch einschätzen. Die UNO sei eine globale Staatenorganisation mit 193 Mitgliedsstaaten. Sie sei keine Organisation der NGOs oder der Zivilgesellschaft. In der UNO gäbe es einflussreiche Staaten, die eine aktive Beteiligung der Zivilgesellschaft strikt ablehnten.

Man müsse sich realistische Ziele setzen, um Enttäuschungen zu vermeiden. Ein wohldosiertes und vernetztes Vorgehen sei enorm wichtig.

Die Strategien der NGOs müssten langfristig ausgerichtet sein – mit einem Zeithorizont von mindestens fünf bis zehn Jahren.

Vernetzung und Bündelung der NGOs notwendig

Notwendig sei die Vernetzung der NGOs und eine "tiefgreifende Bündelung". Es gelte das Grundprinzip: keine Alleingänge, sondern Kooperation und Nutzung von Synergien. Als Erfolgsmodell wird der Atomwaffenverbotsvertrag hervorgehoben, der 2021 in Kraft treten wird.

"Die nicht staatliche Welt, bei uns in Deutschland und anderswo, hat das Potenzial, die Richtung des UN-Reformprozesses zu beeinflussen. Voraussetzung ist allerdings, dass es zu einer vertieften Bündelung der Zusammenarbeit kommt. Das wird zweifellos viel Arbeit und neue Kosten mit sich bringen", so die Einschätzung von Hans Christoph von Sponeck, ehemaliger Beigeordneter Generalsekretär der Vereinten Nationen.

Auf der Zivilkonferenz richtete António Guterres in seiner beeindruckenden Abschlussrede den eindringlichen Appell an die Teilnehmer und Teilnehmerinnen:

Stärken Sie die Reputation und das Image der UNO – in Ihrem Land und in Ihrer Region. Informieren Sie über die UNO. Damit leisten Sie einen ganz wichtigen Beitrag für die Vereinten Nationen!

Dies wurde auch durch die Expertenbefragung bestätigt

Das Wissen und die Kenntnisse über die Vereinten Nationen in der deutschen Bevölkerung werden als gering eingeschätzt.

Aufklärung und Information über die Vereinten Nationen seien zwar in erster Linie Aufgabe aller 193 Mitgliedsstaaten. NGOs könnten sich aber in vielfältiger Weise daran beteiligen, u.a. durch regionale Bildungsarbeit in Schulen. Einen wichtigen Beitrag leiste seit Jahren die Deutsche Gesellschaft für die Vereinten Nationen (DGVN).

Der Diskurs über die Vereinten Nationen darf nicht denen überlassen werden, die ihren Wert nicht erkennen können oder wollen. Deshalb ist es so wichtig, dass sich zivilgesellschaftliche Initiativen sowohl in den außenpolitischen als auch in den öffentlichen Diskurs einbringen. Ihr wichtiges Engagement sollte aber nicht daran gemessen werden, ob die vorgeschlagene UN-Reform in den nächsten fünf Jahren gelingt. Derzeit gehe es leider darum, die UN so gut wie möglich zu retten.

Prof. Christoph Weller, Universität Augsburg

"Einflussreiche NGOs sollten ein der UN ähnliches 'Weltforum' gründen. Das seine ethischen Werte in einer 'atmenden' Zukunftscharta paraphiert, regelmäßig überprüft und in medialer Echtzeit zur Abstimmung stellt. Das Weltforum sollte seinen Sitz nicht in New York, sondern in Afrika oder einem anderen Kontinent des Südens haben", so der Vorschlag des Filmproduzenten Harald von Wieckowski, der unter anderem Filme für die UN produziert hat.

Gelänge dieses visionäre Vorhaben, könnte zumindest die von den Experten/innen empfohlene "Bündelung" und Nutzung von Synergien der internationalen NGOs erreicht werden.

Die Vereinten Nationen sind seit ihrer Gründung ein Staatenbündnis, das bis heute von den Atom-, Veto- und Weltmächten – allen voran den USA – dominiert wird. Die Standorte New York als Sitz der UNO, Washington mit dem Internationalen Währungsfonds und der Weltbank sowie Genf mit der Weltgesundheitsorganisation WHO sind sichtbarer Ausdruck dieser Dominanz.

Das Aufbrechen der Verkrustungen im Gesamtsystem der UNO ist unabdingbar, wenn der angestrebte Reformprozess gelingen soll. Auf dem Prüfstand stehen u.a. die UN-Charta, die Organisations- und Entscheidungsstrukturen, die Chancen für mehr Demokratie und die Beteiligung der Zivilgesellschaft.

Rolf Bader, geb. 1950, Diplom-Pädagoge, ehem. Offizier der Bundeswehr, ehem. Geschäftsführer der Deutschen Sektion der Internationalen Ärzte:innen für die Verhütung des Atomkrieges/Ärzte:innen in sozialer Verantwortung e.V. (IPPNW).