Vergiftet und geehrt: Nachhaltigkeitspreis für Fishrot-Whistleblower
Mit dem Handicap dauerhafter Vergiftungserscheinungen reiste der Isländer Jóhannes Stefánsson nach Göteburg, um dort den Win-Win-Nachhaltigkeitspreis persönlich entgegenzunehmen
Jóhannes Stefánsson, Whistleblower aus der Fischfangnation Island, konnte vergangene Woche den Win-Win-Nachhaltigkeitspreis der schwedischen Großstadt Göteborg entgegennehmen, der ihm bereits im April verliehen worden war und in diesem Jahr unter dem Motto des Kampfes gegen Korruption stand. Aufgrund des hohen Preisgeldes von rund 100.000 Euro und seinem Fokus auf globale Umweltbelange gilt er als der vielleicht renommierteste Nachhaltigkeitspreis.
Wie die Preisverleiher mitteilen, habe Jóhannes Stefánsson bewiesen, dass auch Individuen Korruption bekämpfen können. Mit seinen Enthüllungen hochkorrupter Geschäftspraktiken rund um Fischfangquoten in Namibia und Angola hat Stefánsson nicht nur Minister ins Gefängnis gebracht, sondern auch eine ganze Industrie umgekrempelt. Eine Industrie, die auf der Basis organisierter Kriminalität Profite erwirtschaftet.
Für den Nachhaltigkeitspreis waren 64 Personen und Gruppen aus 34 Ländern nominiert, darunter das International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ), Integrity Watch Afghanistan und Hamzat Lawal aus Nigeria, der Gründer der Initiative Follow-The-Money. Stefansson bekam den Zuschlag vor vier anderen hochverdienten Finalisten, darunter Staatsanwalt und Mafiajäger Nicola Gratteri, der seit Jahresbeginn Klage gegen 350 mutmaßliche Mafiosi der kalabrischen ’Ndrangheta erhebt.
Gratteri steht unter Personenschutz, ebenso wie Stefánsson, wenn er mal in Sachen der Fishrot-Affäre unterwegs ist. Dass Gratteris Personenschutz vom italienischen Staat bezahlt wird, Stefánsson seinen Personenschutz aber aus der eigenen Tasche bezahlen muss, macht deutlich, wie gut der Isländer die Geldprämie gebrauchen kann.
Alle drei Hauptmerkmale von Korruption
Seit seinem Leak von mehr als 30.000 Dokumenten, die Wikileaks vor zwei Jahren als Fishrot-Files veröffentlichte, steht Stefánsson unter einer dauerhaften Bedrohung. Die Dokumente enthüllen Details über die Machenschaften in der globalen Fischerei-Industrie. Sie stammen von seinem Arbeitgeber Samherji und dessen Tochterunternehmen. Im engeren Sinne geht es um die Plünderung der Fischgewässer in Namibia und Angola, in deren Vorstufe bei der Erteilung der Fischfanglizenzen alle drei Hauptmerkmale von Korruption am Werke sind. Neben den korrupten Geldnehmern gehören zu Korruptionsgeflechten die bestechenden Geldgeber und die Geldverschieber, ohne deren Expertise die weltweite Korruption eine Chance auf Austrocknung hätte.
In die Fishrot-Affäre sind weit über 20 Länder verwickelt, darunter Polen, Großbritannien und die USA. Korruptionsgelder wurden über mutmaßliche Briefkastenfirmen auf Inselstaaten wie Zypern, Mauritius oder den Marschall-Inseln nach Dubai transferiert, unter Hilfestellung der norwegischen Staatsbank DNB.
Briefkastenfirmen sind in vielen Ländern legal. Über europäsichen Ländern wie den Niederlanden oder Großbritannien werden jedes Jahr Milliardenbeträge gewaschen. Einer der Hauptgründe für die starke Stellung des Finanzplatzes London ist die Verflechtung mit britischen Überseegebieten, in denen die Reichen dieser Welt ihre Milliardenbeträge verstecken. Laut AML Intellligence rühren fast zwei Drittel aller Strafgelder für Finanzverbrechen in Europa aus Geldwäschetransaktionen. Im Fishrot-Bezug wurde die Geschäftsbank von Samherji, die DNB Bank, wegen Geldwäsche von der norwegischen Finanzaufsicht zu einer Strafe von rund 40 Millionen Euro verdonnert.
Geldwäschetransaktionen über skandinavische Banken sind Weltklasse. Über die dänische Danske Bank wurden rund 200 Milliarden Euro gewaschen, worauf ein anderer Whistleblower, der Brite Howard Wilkinson, aufmerksam machte.
Im Falle Norwegens profitiert die Staatskasse vom Whistleblower Jóhannes Stefánsson. Ihm haben die Norweger 40 Millionen Euro zu verdanken. Dass Stefánsson dafür nicht ganz leer ausgeht, stellen jetzt die Verleiher des Win-Win-Nachhaltigkeitspreises sicher. Stefánsson kann es gut gebrauchen, denn seit seinem Weggang von Samherji laboriert er an den Folgen einer Vergiftung durch Personen, die möglicherweise im Kontext von Fishrot agierten.
So sagte auch die Moderatorin Madeleine bei der Zeremonie am Donnerstag, Whistleblower wie Stefánsson müssten "unbequeme Entscheidungen treffen und Opfer bringen, um über die Zeit etwas Besseres zu erreichen". Nur wer sich traue, zu verlieren, könne auch gewinnen, dafür stehe das "Win" in "Win Win".
Stefánsson hat sich getraut, ja er hat alles aufs Spiel gesetzt. Die Moderatorin sagt, erst wer inspiriert sei, könne handeln. Stefánsson sagt, seine Inspiration sei sein Gewissen. Normalerweise seien es die Einheimischen in den Ländern, die die Fischereirechte innehaben, die die Fangquoten bekommen und an Firmen wie Samherji verkaufen. Fischereirechte sollten nicht Politikern zufallen, so Stefánsson.
Auch der Win-Win-Preisträger aus dem Jahr 2011, der vor drei Jahren verstorbene Ex-UNO-Generalsekretär Kofi Annan, wurde ausgezeichnet, weil er sich für die Menschen in Afrika einsetzte. Und Gro Harlem Brundland, ex-Ministerpräsidentin Norwegens, gewann im Jahre 2002 denselben Win-Win-Preis für ihre wegweisende Verknüpfung der Ideen Nachhaltigkeit und Entwicklung.
Sein Wunsch: mehr Schutz für Whistleblower
Korruption ist ein entscheidender Faktor, Nachhaltigkeit und damit globale Gerechtigkeit zu verhindern. Am Abend der Verleihung gibt Ulrik Åshuvu, Chef von Transparency International Schweden, zu bedenken, traurigerweise würde Korruption derzeit weltweit zunehmen. Åshuvu fragte Stefánsson, was er sich denn auf seinem ganzen Weg am meisten gewünscht habe, seit er 2016 bei Samherji aufgehört habe - denn auch wenn er heute ein Held sei, so sei er doch normalerweise relativ alleine, ja einsam?
Frei heraus sagt Stefánsson, er wünsche sich einen größeren Schutz für Whistleblower, sowohl in finanzieller Hinsicht als auch physisch. Korrupte könnten sich zumeist den physischen Schutz leisten, während Whistleblower mit dem Fahrrad zum Gerichtssaal fahren würden. Selbst sein Land Island gewähre Whistleblowern kaum Schutz, während er in Namibia immerhin den Status eines Kronzeugen innehabe.
Die Fischerei-Industrie ist ein wahres Haifischbecken. In einem Umfeld, in dem selbst Nationen illegale Fischereisubventionen zahlen, erstaunt es nicht, dass sich Island zurückhält, einen Hinweisgeber angemessen zu schützen. Für Island bedeutet die Fischerei fast alles. Weltweit fließen bis zu 30 Milliarden Euro an Subventionen in die Fischerei, von denen nach Schätzungen der Welthandels- und Entwicklungskonferenz UNCTAD 20 Milliarden direkt die Überfischung fördern. Die Welthungerhilfe zitiert eine Studie, dass ohne staatliche Subventionen bis zu 54 Prozent der Hochseefischgründe unprofitabel wären.
Wer will denn allen Ernstes dagegen anstinken? Am Abend der Verleihung mahnt eine Aktivistin, die Gewerkschaften in Schweden würden eine Zunahme an Vergeltungsmaßnahmen bemerken, weswegen Mitarbeitern zunehmend Angst hätten, überhaupt den Mund aufzumachen.
Es ist dieser Konflikt, warum Schwedens Ministerin für zivile Angelegenheiten, Lena Micko, Stefánsson bei der Übergabe der Trophäe sagt, Stefánsson habe den Preis "sehr gut verdient". Auf Anfrage teilt mir Stefánsson mit, die Anerkennung, die ihm durch den Göteborger Nachhaltigkeitspreis Win Win zuteil werde, sei sehr groß und stark, denn sie werde viel dazu beitragen, dass es weitergehe, und die Botschaft vermitteln, dass Whistleblower und ihre Arbeit wichtig seien. Eine Anerkennung dieser Größenordnung habe eine große Bedeutung für den laufenden Kampf um Gerechtigkeit.
Die Vereinten Nationen wollen die globale Gerechtigkeit über 17 definierte Ziele für eine nachhaltige Entwicklung vorantreiben. Konkret gehören hierzu die Beendigung von Ungleichheit zwischen Ländern und von Armut, die Sicherstellung von Ernährungssicherheit, die Bewahrung und nachhaltige Nutzung der Ozeane, Meere und Meeresressourcen und nicht zuletzt friedliche Gesellschaften und starke Institutionen. Auf allen Ebenen sollen rechenschaftspflichtige Institutionen entstehen.
Auch wenn Stefánsson anfangs in die Machenschaften seiner Firma hineingezogen wurde, hat sich Stefánsson wahrhaft in alle diesen Zielen verdient gemacht.
Viele Menschen finden es hart zu glauben, dass eine Organisationskultur einen starken Einfluss auf das Verhalten des Einzelnen innerhalb der Organisation ausüben kann. In unserer Kultur wollen wir glauben, dass Individuen ihr eigenes Schicksal selber kontrollieren können. Doch ist nicht lebens- bzw. überlebensfähig, wer nicht in die Sprache, die Gebräuche, die Tradition seiner Gesellschaft eingeführt, also zivilisiert wird. Ungefähr so sagte es einmal Alexander Schuller, Soziologe aus Berlin.
Sich bei schweren Verfehlungen fälschlicherweise zurückzuhalten, sich (auch unter Androhung von Konsequenzen) ausbremsen zu lassen, ist aber äußerst problematisch. Doch was tut man, wenn man den verborgenen Strukturen seiner Organisation gewahr wird? Stefánsson sagte am Abend der Verleihung, normalerweise schwiegen die Menschen, weil sie Kinder, Familie und eventuell ein abzuzahlendes Haus hätten.
Ist Stefánsson also ein guter Whistleblower oder ein schlechter? Nachdem der akademische Skeptiker Cicero mit mutigen Reden Aufmerksamkeit erlangt hatte, stieg er irgendwann in den Rang eines dem römischen Staate verpflichteteten Konsuls auf. Am Ende wurde Cicero ermordet, weil er einen Korruptionsfall nach dem anderen aufdeckte. Staaten, also Behörden, könnten Betrugsfälle stärker nachverfolgen, sie scheuen sich aber vor den immensen Kosten langjähriger Gerichtsverfahren gegen finanzstarke Gegner.
Der vor zwei Jahren verstorbene Bundesverfassungsrichter Ernst-Wolfgang Böckenförde war der Auffassung, dass der freiheitliche säkularisierte Staat von Voraussetzungen lebt, die er selbst nicht garantieren kann. Er könne aber als freiheitlicher Staat nur bestehen, "wenn sich die Freiheit, die er seinen Bürgern gewährt, von innen her, aus der moralischen Substanz des einzelnen und der Homogenität der Gesellschaft reguliert."
Feste moralische Basis
Die moralische Substanz des Jóhannes Stefánsson ist es, was die Jury zur Verleihung des Nachhaltigkeitspreises bewogen haben muss, selbst wenn Stefánsson zu Beginn Teil des Bestechungshandelns gewesen war. Stefánsson bewies nicht nur eine feste moralische Basis, sondern ebenso Mut und Aufrichtigkeit - in einem geradezu gnadenlos aufklärenden Kampf gegen die global verbreitete Korruption.
Von Namibia über Norwegen bis hin nach Island hat Stefánsson den Bewohnern der Staaten einen enormen Dienst im Sinne der Freiheit erwiesen. Weil er mit seinem Leak die Freiheit seiner Bewohner gestärkt hat, sollten die involvierten Staaten mehr Verantwortung übernehmen, und ihm - wie die USA dies vorbildlich tun - einen Teil der Staatseinnahmen überlassen. Zunächst einmal aber geht es Stefánsson um die Wiederherstellung seiner Gesundheit, dass er wieder normale Nahrung aufnehmen und danach auch wieder am Leben teilnehmen kann.
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