Verhandlungspoker um Massenvernichtungswaffen

In New York beraten ab Montag 188 Staaten über die Zukunft des Atomwaffensperrvertrages

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Ende der 60er Jahre begannen die Weltmächte intensiver über die (Selbst)Zerstörungskraft ihrer riesigen Waffenarsenale nachzudenken und schlossen einen Vertrag über die Nichtweiterverbreitung (Nonproliferation) von Atomwaffen. Deren Besitz sollte auf die USA, die Sowjetunion, Frankreich, Großbritannien und die Volksrepublik China beschränkt bleiben. Mit dem Ziel, alle anderen Staaten am Erwerb von atomwaffenfähigem Material zu hindern, war auch die Idee einer weltweiten Abrüstung unter internationaler Aufsicht verbunden. Der Atomwaffensperrvertrag trat 1970 in Kraft und wurde mittlerweile von über 180 Staaten unterzeichnet, unter ihnen auch Frankreich und die Volkrepublik China, die sich der Vereinbarung 1992 anschlossen.

Die Atommächte Indien und Pakistan sind dem Vertrag bis heute nicht beigetreten, gleiches gilt für Israel, das sich über den Besitz oder Nicht-Besitz von Atomwaffen ausschweigt. Nordkorea unterschrieb die Vereinbarung im Jahr 1985, kündigte dieselbe aber bekanntlich im Jahr 2003. Der Atomwaffensperrvertrag, der zunächst 25 Jahre gültig sein sollte, wurde 1995 auf unbestimmte Zeit verlängert.

In seiner 35jährigen Geschichte war das Vertragswerk stets heftig umstritten. Kritiker sprachen von "nuklearer Apartheid" und bemängelten, dass die Atommächte ihre militärischen und wirtschaftlichen Vorteile für alle Zeiten absichern wollten und nur bedingt Interesse daran hätten, ihren vertraglichen Verpflichtungen nachzukommen und andere Staaten bei der friedlichen Nutzung der Kernenergie zu unterstützen. Auch die bescheidenen Fortschritte im Bereich der atomaren Abrüstung gaben stets Anlass zu heftigen Auseinandersetzungen. Nach vorsichtigen Schätzungen werden rund 15 Jahre nach Ende des Kalten Krieges weltweit noch 16.500 Atomsprengköpfe gelagert. Ein Zusatzprotokoll zum Sperrvertrag, das den Inspektoren der Internationalen Atomenergiebehörde die Möglichkeit einräumen würde, unangemeldete Kontrollen in Anlagen ihrer Wahl durchzuführen, wurde bislang erst von wenigen Staaten ratifiziert.

"Issues that do not exist"

Genug Zündstoff also für die am Montag in New York beginnende Konferenz, die sich turnusmäßig alle fünf Jahre mit der Zukunft des Atomwaffensperrvertrages befasst. In Nordkorea und im Iran bahnen sich seit geraumer Zeit Probleme von bislang nicht exakt vorstellbaren Ausmaßen an. Und auch wenn man sich in New York bis dato noch keine detaillierteren Vorstellungen über Tagesordnungspunkte und Schwerpunktthemen gemacht zu haben scheint, sind Experten sicher, dass sich die USA veranlasst sehen, auf eine Verschärfung der jetzigen Bestimmungen zu dringen, um fortan schon im Verdachtsfall die Unterbrechung eines nationalen Atomprogramms verlangen und bei eventueller Zuwiderhandlung Sanktionen des Weltsicherheitsrats initiieren zu können. Wenn die gesamte Technik der Urananreicherung ein Exklusivrecht bleibt, ist die Bush-Regierung offenbar bereit, einer großzügigen Auslieferung von Reaktorbrennstäben zuzustimmen.

Mehr Transparenz bei eventuellen Abrüstungsbemühungen, ein Verzicht auf Atomtests oder auf die Entwicklung neuer Waffensysteme - all das ist von den USA freilich nicht zu erwarten. "Issues that do not exist" nennt der umstrittene US-Diplomat Robert R. Bolton, den US-Präsident als US-Botschafter an die UN schicken will, den gesamten Themenkomplex, und so dürften es auch die Europäer schwer haben, ihre an sich kluge und mindestens verhandelbare Position durchzusetzen, welche darauf hinausläuft, die Nicht-Verbreitung von Atomwaffen und deren Vernichtung als gleichrangige Aufgaben zu betrachten.

Zahlreiche Schwellen- und Entwicklungsländer haben bereits angekündigt, den USA vorwerfen zu wollen, einmal mehr mit zweierlei Maß zu messen. Dieser Einschätzung wird sich der Iran ganz sicher anschließen, zumal das Land mit seinem Atomprogramm nicht nur ökonomische, politische und militärische Interessen verteidigt. Längst ist es ebenso wichtig geworden, in einer schwierigen Region und vor der gesamten Weltöffentlichkeit das Gesicht zu wahren.

Doch es geht nicht allein um die Amerikaner, sondern auch um ihre europäischen Verbündeten, und vielleicht sogar um chinesische Drohgebärden, Indien und Pakistan und die gefährliche Situation im Nahen Osten. Der brasilianische Konferenzpräsident Sergio de Queiroz Duarte erklärte im Vorfeld, alle Atommächte hätten "sehr wenig" getan, um ihren eigenen Verpflichtungen aus dem Atomwaffensperrvertrag nachzukommen, nämlich im Gegenzug zu den Staaten, die sich verpflichten, keine Atomwaffen zu entwickeln und zu besitzen, ihre Atomwaffen abzubauen.

Atomwaffen in Europa

Der Vorwurf mag wenigstens im Hinblick auf die in Europa stationierten amerikanischen Atomwaffen ungerecht erscheinen, denn von den ehemals mehr als 7.000 sind nach einer Studie des Natural Resources Defence Council "nur" 480 übriggeblieben (480 Atombomben lagern noch in europäischen Staaten). Dazu kommen freilich noch britische und französische Bestände, und außerdem handelt es sich zum Teil um Waffen, welche über die vielfache Sprengkraft der Hiroshima-Bombe verfügen.

150 von ihnen lagern in Deutschland, das den Speervertrag 1975 unterzeichnete. Und zwar inklusive Artikel 2, in dem es heißt:

Jeder Nichtkernwaffenstaat, der Vertragspartei ist, verpflichtet sich, Kernwaffen oder sonstige Kernsprengkörper oder die Verfügungsgewalt darüber von niemandem unmittelbar oder mittelbar anzunehmen, Kernwaffen oder sonstige Kernsprengkörper weder herzustellen noch sonstwie zu erwerben und keine Unterstützung zur Herstellung von Kernwaffen oder sonstigen Kernsprengkörpern zu suchen oder anzunehmen.

Es ist also gar nicht nötig, Spekulationen über amerikanische Geheimbunker anzustellen, um festzustellen, dass dieses in der Praxis offensichtlich sehr dehnbare Vertragswerk nicht überall gleichermaßen ernst genommen wird. Büchel oder Rammstein tun es auch, und da das mittlerweile sogar der FPD aufgefallen ist, fordern die Freien Demokraten - in einer kleinen Koalition mit den Bündnisgrünen - kurz vor der New Yorker Konferenz den Abzug der taktischen Nuklearwaffen aus Deutschland. Die gelb-grüne, durchaus wahlkampfwirksame Friedensinitiative stößt an der Spitze der Bundesregierung allerdings auf wenig Gegenliebe, denn die Bereitschaft der SPD, dem übermächtigen transatlantischen Bündnispartner schon wieder auf die Füße zu treten, hält sich verständlicherweise in engen Grenzen.

Auch an diesem Beispiel wird deutlich, dass der Atomwaffensperrvertrag nicht nur globale Auswirkungen, sondern sehr viel mit nationalen Partikularinteressen zu tun hat. Und wenn man ganz genau hinschaut, landet das Thema sogar irgendwann vor der eigenen Haustür. Zum Beispiel vor der des Heidelberger Sozialpädagogen Hermann Theisen. Der Atomwaffengegner bekam vor einigen Tagen Besuch von der Staatsanwaltschaft Koblenz, die 1.800 Exemplare eines Flugblattes beschlagnahmte, dessen Autorschaft von Theisen überhaupt nicht bestritten wurde. Er hatte darin Bürger und Soldaten des mit vermutlich elf Atomsprengköpfen bestückten Fliegerhorstes Büchel im Namen der Gewaltfreien Aktion Atomwaffen abschaffen aufgefordert: "Verweigern Sie jegliche Beteiligung an der völkerrechts- und grundgesetzwidrigen nuklearen Teilhabe. Ermutigen Sie ihre Kameraden, sich ihrem Ungehorsam anzuschließen!"

Ende März war Theisen zusammen mit der Friedensaktivistin Johanna Jaskolski in dieser Angelegenheit vom Landgericht Koblenz freigesprochen worden, weil sein Aufruf nicht rechtswidrig, sondern "noch" durch die Meinungsfreiheit gedeckt sei. Die Vorsitzende Richterin attestierte den beiden sogar eine "respektable und diskutable" Rechtsauffassung , gleichwohl geht die ermittelnde Staatsanwaltschaft offenbar weiter dem Verdacht der "öffentlichen Aufforderung zu Straftaten" nach.

Ob in New York Ergebnisse erzielt werden, die nicht nur dem Weltfrieden dienen, sondern auch die ganz konkreten Bedrohungen in vielen Städten und Regionen beseitigen, muss abgewartet werden. Viel Raum für Hoffnung lassen die verhärteten Fronten allerdings nicht.