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Verheerende Bilanz: Warum der UN-Nachhaltigkeitsgipfel jeden beunruhigen sollte

Jutta Blume

UN-Generalversammlung. Bild: Manuel Elias, Vereinte Nationen

Energie und Klima – kompakt: 2015 wurden die UN-Nachhaltigkeitsziele beschlossen. Im Zentrum: die Beseitigung von Hunger und Armut, sauberes Wasser und Umweltschutz. Warum geht es der Welt dann heute schlechter?

Derzeit findet in New York der Nachhaltigkeitsgipfel der Vereinten Nationen statt. Dieser steht im Zeichen einer verheerenden Bilanz, was die Erfolge der Agenda 2030 angeht – der Umsetzung von 17 Nachhaltigkeitszielen, die von der Staatengemeinschaft im Jahr 2015 beschlossen worden waren und die bis zum Jahr 2030 erreicht sein sollen.

Bei der Beseitigung des Hungers beispielsweise ist die Entwicklung eher negativ: Die Zahl der Hungernden ist zur Halbzeit der Agenda auf 735 Millionen angestiegen.

Eine Ursache dafür, dass die Ziele für eine nachhaltige Entwicklung immer schwerer zu erreichen sind, ist das bisherige Versagen der Staaten im Kampf gegen die Klimakrise. Die Weltorganisation für Meteorologie (WMO) stellt gemeinsam mit einer Vielzahl multinationaler Institutionen fest, dass die Menschheit fern davon ist, ihre Klimaziele einzuhalten.

Dies untergrabe die Anstrengungen, Hunger, Armut und mangelnde Gesundheit zu beseitigen, oder den Zugang zu sauberem Wasser und Energie zu verbessern. Dargelegt wird das in einem Ende vergangener Woche vorgelegten Bericht "United in Science" [1].

Laut Bericht befindet sich die Menschheit nur bei 15 Prozent der Nachhaltigkeitsziele auf dem richtigen Weg. Zwischen 1970 und 2021 wurden fast 12.000 Katastrophen registriert, die auf extreme Klima- und Wetterereignisse zurückzuführen sind.

Diese forderten insgesamt über zwei Millionen Todesopfer und wirtschaftliche Schäden in Höhe von 4,3 Billionen US-Dollar. 90 Prozent der Todesopfer und 60 Prozent der ökonomischen Verluste entfielen auf Entwicklungsländer und verhinderten somit nachhaltige Entwicklung, heißt es in der Pressemitteilung der WMO [2].

Währenddessen wird wenig getan, um die Emissionen bis zum Jahr 2030 in nötigem Maß zu reduzieren – um die globale Erwärmung auf 1,5 Grad zu beschränken, müssten sie um 45 Prozent gegenüber 1990 gesenkt werden. Im Jahr 2022 sind die CO2-Emissionen aber um ein Prozent gegenüber dem Vorjahr angestiegen und für 2023 zeichnet sich ein weiterer Anstieg um 0,3 Prozent ab. Der Emissionsanstieg im Jahr 2022 sei dabei in erster Linie auf eine Erholung des Flugverkehrs zurückzuführen.

Der Bericht listet auf, inwiefern sich die Klimakrise auf die einzelnen Nachhaltigkeitsziele auswirken könnte. So könnten 670 Millionen Menschen bis zum Jahr 2030 von Hunger betroffen sein, was zum Teil durch Extremwetter bedingt sein dürfte.

Extremwetter und Hitzewellen werden voraussichtlich den allgemeinen Gesundheitszustand verschlechtern und zu mehr vorzeitigen Todesfällen führen. Hinzu kommt die Gesundheitsbelastung durch schlechte Luftqualität in den Städten, die ebenfalls lebensverkürzend wirkt.

Überflutungen, Dürren und die Veränderungen von Niederschlagsmustern stellen eine große Herausforderung für ein nachhaltiges Management von Wasserressourcen dar. Veränderungen des Lebens in den Ozeanen durch den Klimawandel gefährden die Gemeinschaften, die von Fischfang leben und die etwa auf den Küstenschutz durch Meeresökosysteme angewiesen sind. Dies sind nur einige Bereiche, in denen der Klimawandel die menschlichen Lebensgrundlagen gefährdet.

Mehr, aber nicht genügend Tempo bei globaler Energiewende

Wie bei der Flutkatastrophe in Libyen jüngst gesehen, verfügen nur etwa die Hälfte aller Länder über hinreichende Frühwarnsysteme für verschiedene Bedrohungsszenarien. Gerade Frühwarnsysteme könnten aber helfen, Todesopfer und Schäden zu minimieren. Wissenschaft kann mit hochauflösenden Klimamodellen und Wettervorhersagen zu nachhaltiger Entwicklung beitragen, betont die WMO, etwa als Grundlage für eine klimaangepasste Landwirtschaft, zur Prävention von Epidemien und eben durch Frühwarnsysteme. Die allgemeine Tendenz bleibt aber dennoch fatal:

Das Jahr 2023 hat nur allzu deutlich gezeigt, dass der Klimawandel da ist. Rekordtemperaturen versengen das Land und heizen die Meere auf, während extreme Wetterereignisse rund um den Globus Verwüstungen anrichten. Wir wissen zwar, dass dies erst der Anfang ist, aber die globale Reaktion bleibt weit hinter den Erwartungen zurück. Auf halbem Weg zum Jahr 2030, in dem die Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDGs) erreicht werden sollen, ist die Welt auf dem falschen Weg,

… sagt UN-Generalsekretär António Guterres.

Letzte Woche ist auch der "Breakthrough Agenda Report 2023" [3] der Internationalen Energieagentur (IEA), der Internationalen Agentur für Erneurbare Ernergien (IRENA) und der United Nations Climate Change High-Level Champions erschienen. Dieser zum zweiten Mal erschienene jährliche Bericht betrachtet den Fortschritt sauberer Technologien in fünf Schlüsselsektoren: Energieversorgung, Straßenverkehr, Stahlerzeugung, Wasserstoffherstellung und Landwirtschaft – in diesem Jahr noch ergänzt um Gebäude und Zementherstellung. Diese sieben Bereiche seien für über 60 Prozent der globalen Treibhausgasemissionen verantwortlich.

Auch in diesem Bericht wird beklagt, dass die Emissionen noch immer steigen und die nationalen Reduktionsziele der Länder nicht ausreichend sind, um die vereinbarten Klimaziele einzuhalten. Dennoch sehen die Autor:innen, dass sich der Umstieg auf saubere Energien und nachhaltige Technologien sich in vielen Sektoren beschleunigen würde.

In immer mehr Ländern ist Strom aus erneuerbaren Energien erschwinglicher als Strom aus fossilen Brennstoffen, und in etwa 30 Prozent der Länder trägt er zu mehr als 50 Prozent der Stromerzeugung bei. Der Absatz von Elektroautos nimmt exponentiell zu und könnte – wenn sich dieses Tempo fortsetzt – bis 2030 bequem den Anforderungen eines Szenarios entsprechen, das mit dem Erreichen von Netto-Null-CO2-Emissionen bis 2050 vereinbar ist,

… heißt es in der Zusammenfassung. (Ob die Verkaufszahlen von Elektroautos ein Indikator für Emissionsreduktion sind, darüber dürfte sich allerdings streiten lassen.) In manchen Sektoren würden nachhaltige Lösungen noch nicht in großem Stil umgesetzt, und da eine solche Umsetzung Zeit brauche, müsste nun damit gestartet werden.

Darüber hinaus konzentrieren sich die Investitionen in saubere Energietechnologien und emissionsarme Produkte und Materialien auf die Volkswirtschaften der Industrieländer und nicht auf die Länder mit der schnellsten Entwicklung und dem größten Wirtschaftswachstum.

Laut dem Bericht entfallen 83 Prozent der neu installierten Kraftwerksleistung auf erneuerbare Energieträger, auch wenn sich die neu installierte Leistung bis 2030 noch verdreifachen muss. Weitaus stärker vervielfachen muss sich die Erzeugung von grünem Wasserstoff: von einer Megatonne im Jahr 2022 auf 70 bis 125 Megatonnen bis 2030.

Im Straßenverkehrssektor erfreuen sich Elektroautos mit 14 Prozent der verkauften Neuwagen wachsender Beliebtheit. Gleichzeitig werden Standards für den globalen Handel mit Gebrauchtwagen gesetzt, sodass die schmutzigsten Fahrzeuge aus dem Verkehr gezogen würden.

Im Stahlsektor würden bis 2030 mehr als 100 Megatonnen emissionsarm erzeugten Stahls benötigt, momentan seien Kapazitäten für 13 Megatonnen angekündigt. Im Gebäudesektor steigen die Emissionen seit 2015 um ein Prozent pro Jahr an.

Effizienzgewinne würden dabei durch größere Gebäudeflächen aufgefressen. Ebenso sind die Emissionen der Zementproduktion seit 2015 angestiegen. Technologien zur nahezu emissionsfreien Zementherstellung würden bisher nicht in kommerziellem Maßstab eingesetzt.

Um die Transition zu sauberen Technologien voranzutreiben, sei mehr politische Verbindlichkeit notwendig, argumentiert die IEA, wie etwa durch die internationale Anpassung von Standards und Regeln. Eine solche politische Praxis würde mehr Investitionen mobilisieren und die Anwendung der Technologien beschleunigen.


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-9309512

Links in diesem Artikel:
[1] https://public.wmo.int/en/resources/united-in-science-2023
[2] https://public.wmo.int/en/media/press-release/climate-change-undermines-nearly-all-sustainable-development-goals
[3] https://www.iea.org/reports/breakthrough-agenda-report-2023