Demografischer Kollaps: Politiker ohne Plan für sterbende Regionen
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Vergreiste Dörfer und leere Schulen – Studien warnen: Der Bevölkerungsschwund wird ländliche Gebiete hart treffen. Sind Politiker überfordert?
Deutschland steht in den kommenden Jahrzehnten vor großen demografischen Herausforderungen. Laut einer aktuellen Studie des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung (BiB) und des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) wird die Alterung der Babyboomer-Generation hauptsächlich dünn besiedelte ländliche Regionen treffen, während Großstädte weniger stark betroffen sein werden.
Stadt-Land-Gefälle bei der Alterung der Bevölkerung
Bereits heute besteht ein Stadt-Land-Gefälle bei der Alterung der Bevölkerung. Frank Swiaczny vom BiB erklärt: "Künftige Wanderungen werden diese Trends der regionalen Alterung in naher Zukunft nicht mehr grundsätzlich verändern." Für ländliche Kreise prognostizieren die Forscher bis 2035 einen drastischen Anstieg des Verhältnisses von Personen im Rentenalter zu Personen im Erwerbsalter. Dies werde Auswirkungen auf kommunale Steuereinnahmen und Ausgaben haben.
Auch die Bevölkerungszahl wird sich regional sehr unterschiedlich entwickeln. Steffen Maretzke vom BBSR sagt:
Auf Basis unserer Berechnungen wird die Bevölkerung in ländlichen Kreisen bis 2070 bei fast allen Wanderungsszenarien teilweise erheblich zurückgehen. In Großstädten hingegen ist ein Rückgang der Bevölkerungszahl nur bei geringer Zuwanderung aus dem Ausland zu erwarten.
Eine weitere Studie des BiB aus dem vergangenen Jahr zeigt, dass besonders in peripheren und strukturschwachen Regionen Ostdeutschlands seit geraumer Zeit ein Überschuss an jungen Männern besteht, da viele junge Frauen abwandern.
Laut BiB-Forscher Nico Stawarz sieht es momentan nicht danach aus, dass sich die Geschlechterproportionen im ländlichen Osten schnell angleichen werden. Als positiv wertet er allerdings den Trend zur Wanderung in die ostdeutschen Städte, wovon langfristig auch die umliegenden Gemeinden profitieren könnten.
US-Studie prognostiziert massiven Bevölkerungsrückgang in Städten
Deutschland steht mit solchen Herausforderungen nicht allein da. Auch in Nordamerika sind Städte und Kommunen mit ähnlichen Problemen konfrontiert. Forscher weisen darauf hin, dass die Städteplanung dies aufnehmen müsse.
So geschehen in einer Studie, die im vergangenen Jahr in der Fachzeitschrift Nature Cities veröffentlicht wurde. Sie prognostiziert, dass bis 2100 fast die Hälfte der rund 30.000 US-Städte zwischen zwölf und 23 Prozent ihrer Einwohner verlieren wird. Dies werde erhebliche Auswirkungen auf die Infrastruktur und die verbleibende Bevölkerung haben, so die Autoren.
Die leitende Autorin Sybil Derrible von der University of Illinois Chicago warnte:
Unsere derzeitigen Planungen basieren alle auf Wachstum, aber fast die Hälfte der Städte in den USA verliert Einwohner. Wir müssen uns von einer wachstumsorientierten Planung verabschieden, was einen enormen kulturellen Wandel in der Stadtplanung und -technik erfordern wird.
Störungen der Grundversorgung durch Bevölkerungsrückgang
Ein erheblicher Bevölkerungsrückgang werde beispiellose Herausforderungen mit sich bringen, die zu Störungen der Grundversorgung wie Nahverkehr, sauberes Wasser, Strom und Internetzugang führen könnten.
Gleichzeitig berge das Bevölkerungswachstum in ressourcenintensiven Städten und Vororten das Potenzial, Ressourcen aus den von Entvölkerung betroffenen Gebieten abzuziehen und deren Probleme weiter zu verschärfen, so die Forscher.
Regional gesehen werden laut der Studie der Nordosten und der Mittlere Westen der USA am stärksten von der Entvölkerung betroffen sein. Auf Bundesstaatenebene werden Vermont und West Virginia mit einem Rückgang von mehr als 80 Prozent der Städte die stärksten Verluste verzeichnen.
Neue Ansätze in der Stadtplanung gefordert
Die Autoren hoffen, dass ihre Ergebnisse den politischen Entscheidungsträgern als Weckruf dienen, sich von einer wachstumsorientierten Planung zu verabschieden und nach ortsspezifischen Lösungen für Städte zu suchen, die von einem Bevölkerungsrückgang betroffen sein werden. Derrible betont:
Wir sollten dies nicht als Problem betrachten, sondern als Chance, unsere Vorgehensweise zu überdenken. Es ist eine Chance, kreativer zu sein.
Sowohl in Deutschland als auch in den USA wird der demografische Wandel in den kommenden Jahrzehnten viele Städte und Regionen vor große Herausforderungen stellen. Um die Lebensqualität der verbleibenden Bevölkerung zu sichern und eine funktionierende Infrastruktur zu erhalten, sind neue Ansätze in der Stadtplanung und -entwicklung gefragt.